„Die größten Ängste der Leipzigerinnen und Leipziger werden der Analyse zufolge ausgelöst durch die sich verteuernden Wohn- sowie stark steigende Lebenshaltungskosten“, so fasst das Amt für Statistik und Wahlen ein besonderes Befragungsergebnis zusammen, das mit der Bürgerumfrage 2022 zum ersten Mal abgefragt wurde. Wovor fürchten sich die Leipzigerinnen und Leipziger am meisten?
Vorbild ist eine regelmäßige und bundesweite Befragung einer großen Versicherung. Die das natürlich durchaus auch aus Eigeninteresse tut. Aber damit werden ja Ängste nicht irreal. Und bei genauerem Hinschauen merkt man auch, dass ganz und gar nicht alle dieselben Ängste teilen. Wer aber seine Ängste im medialen Raum platzieren kann, der betreibt auch Politik.
Denn davon lassen sich Politiker leiten und Parlamente umstimmen, wenn nur genug Druck aufgebaut wird. Und Medien arbeiten mit so einem Druck der aufgebauschten Ängste.
Das wird schon deutlich, wenn man Ängste benennt wie die, dass „die Zahl der Flüchtlinge durch Kriege und Umweltkatastrophen steigen wird“ oder dass „sich der politische Extremismus ausbreitet“.
Die landen in der Gesamtbefragung 2022 zwar nur auf Rang 3 und 4 (jeweils 64 Prozent Zustimmung), aber nicht wirklich weit hinter den Ängsten, die für viele Leipziger tatsächlich akut und existenziell geworden sind: 70 Prozent der Befragten befürchten, dass Wohnen zu teuer wird. Und 69 Prozent befürchten, dass die Lebenshaltungskosten (zu) stark steigen.
Während das größte Problem, das noch vor zehn Jahren die Leipziger beschäftigte, derzeit kaum noch eine Rolle spielt: Nur 12 Prozent fürchten, dass sie von Arbeitslosigkeit betroffen sein werden.
Die Kluft zwischen den Generationen
Aber richtig spannend wird diese Befragung an dem Punkt, an dem unterschiedliche Generationen sich völlig unterschiedlich äußern. Ein Problem, das auch schon in der klassischen Frage nach den Leipziger Problemen in den Leipziger Bürgerumfragen sichtbar wurde. Denn die Generationen sind ja nicht gleich stark vertreten.
Während die in den 1990er Jahren halbierten Geburtenjahrgänge eben auch im Erwachsenenalter statistisch in der Minderheit bleiben, hat die deutliche Zunahme der Älteren und Alten in der Leipziger Bevölkerung auch die Schwerpunkte in der Politik jahrelang für sich verzerrt.
Stichwort: Sicherheit und Ordnung.
Und so spiegelt es auch die Frage nach den Ängsten.
Während die jüngeren Jahrgänge sich davor fürchten, dass Wohnung und täglicher Einkauf unbezahlbar werden, meinen 78 Prozent der über 65 Jahre Alten, dass man sich vor der steigenden Zahl der Flüchtenden fürchten sollte. 58 Prozent fürchten, dass sie bei einem „Krieg hier nicht mehr sicher“ sind.
Und ebenso fällt auch die starke Zustimmung zur Angst vor Extremismus mit 73 Prozent auf. Was einerseits natürlich ist, denn ältere Menschen fürchten sich tatsächlich mehr vor solchen Dingen. Aber wenn ihre Ängste die gesellschaftliche Debatte bestimmen, dann verzerrt das die Politik und die Wahrnehmung der Probleme, die tatsächlich gelöst werden müssen.
Denn Flüchtende, Kriege und Extremismus sind alles keine Themen, die auf lokaler Ebene gelöst werden können. Wobei die Sache mit dem Extremismus auch auf ein anderes Problem verweist: die Aufbauschung gesellschaftlicher Konflikte in der medialen Darstellung. Denn wenn immer mehr Phänomene unter Extremismus verkauft werden, erscheint natürlich das Bild einer immer extremistischeren Welt.
Was wiederum – so funktioniert das nun einmal – auch wieder Rückenwind für tatsächliche Extremisten ist, die dann gern unterm Mäntelchen von Autorität und Verbotspolitik den Weg in politische Wahlerfolge suchen.
Alles Extremismus?
Welche Art Extremismus die Befragten dann jeweils vermuteten, verrät die Auswertung dann nicht. Ist es der aktuell wieder von einigen Medien gehypte Linksextremismus? Oder doch der Rechtsextremismus, der 2022 wieder mehr Fallzahlen produziert hat, wie das BKA meldete?
Und es gibt ja noch mehr Extremismen. Manche verkleiden sich dann als Populismus und spielen lammfromm, während sie eigentlich dieselben autoritären Ziele verfolgen wie die offiziell registrierten Extremismen.
Und was macht jetzt eine Stadtverwaltung daraus, wenn ihr die Senioren in geballter Wucht ihre teils auch irrationalen Ängste vorhalten, die jüngere Bevölkerung – hier die 18- bis 25-Jährigen – aber ganz andere, elementare Ängste benennen wie das zu teure Wohnen (87 Prozent) oder die heftig gestiegenen Lebenshaltungskosten (75 Prozent)? Wonach richtet sich Politik da?
Nicht immer nach rationalen Gründen, das wissen wir. Denn Parteien wollen Stimmen und Siege und gehen auch mit den irrealsten Ängsten hausieren, wenn sie damit nur Mehrheiten generieren können. So gesehen eine sehr aufschlussreiche Frage, die sich mit Fragen nach Zufriedenheit und Herausforderungen in der Stadt ergänzt. Dazu kommen wir im nächsten Beitrag zum Vorabbericht zur Bürgerumfrage 2022.
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