Mit jeder Bürgerumfrage fragt die Stadt Leipzig auch ab, womit die Leipzigerinnen und Leipziger besonders zufrieden sind und wo sie die größten Herausforderungen sehen. Und jedes Mal zeigen genau diese Antworten, wie dramatisch die Lebenswelten der Alten und der Jungen auseinander fallen. Und dass man sich auf Mehrheitsbefragungen am besten nicht verlassen sollte, denn dann würden die jungen Stadtbewohner mit ihren Wünschen gnadenlos untergehen.
Wie sehr das Denken der Älteren die Stadtpolitik bestimmt, war ja am Mittwoch, dem 17. Mai, in der Ratsversammlung wieder in Echtzeit zu erleben: Reihenweise Stadträte sprachen zu einer Verkehrspolitik, die aus dem Baukasten des 20. Jahrhunderts stammt und vor allem die Gewohnheiten der älteren, autofahrenden Generationen zum Richtmaß macht.
Mit falschen und verqueren Argumenten, aber vor allem einer Haltung, die Leipzigs Verkehrssystem offenbar im Zustand der 1990er Jahre einfrieren will.
Eine regelrechte Rebellion der Konservativen. So kann man natürlich keine zukunftsfähige Politik gestalten. Auch wenn so manche Partei auf die Stimmen der Senioren schielt. Das hat ja auch in der Vergangenheit immer wieder funktioniert, vielleicht auch 2024 wieder, wenn der Stadtrat neu gewählt wird?
Herausforderung Verkehr
Das weiß niemand. Nur kann man an den Zufriedenheitswerten durchaus ablesen, wo die älteren Leipziger völlig anders ticken als die jüngeren. Wenn auch nicht ganz, denn wenn der Verkehr als größtes wahrgenommenes Problem bei Jüngeren (44 Prozent) so deutlich an Zuspruch verloren hat gegenüber 2021 (hier waren es bei den jüngeren Leuten 60 Prozent), was heißt das dann?
Hat sich die Lage für Autofahrer entspannt? Werden Straßenbahn und Radwege nicht mehr als Problem gesehen? Oder war schon die Aufregung von 2021 völlig überzogen und gerade die Älteren sagen sich: Da wurde mal wieder heißer gekocht als gegessen?
Denn die jungen Erwachsenen (18 bis 25 Jahre) sehen den Verkehr nach wie vor mit 44 Prozent als zweitgrößte Herausforderung, die Senioren mit 34 Prozent aber nicht unbedingt. Wollen die autoverliebten Fraktionen im Stadtrat hier also wieder Gemüter in Wallung bringen, die sich längst beruhigt haben? Oder wollen sie ablenken davon, dass ÖPNV und Radverkehr in der Vergangenheit immer nur stiefmütterlich behandelt wurden?
Sicherheit und Wohnungssituation
Jedenfalls sind die Leipziger Senioren längst wieder bei ihrem Lieblingsthema: Sicherheit und Ordnung. Aus ihrer Sicht (62 Prozent Zustimmung) ist das die größte Herausforderung in Leipzig. Noch vor Sauberkeit und Ordnung (46 Prozent). Themen, die für die jüngeren Leipziger, die sich eine Existenz und eine Familie aufbauen wollen, so gar nicht die erste Geige spielen.
Denn bei ihnen stehen ganz elementare Herausforderungen ganz oben auf der Liste: zuallererst das Wohnen mit 54 Prozent, denn sie sind es, die zur Familiengründung verzweifelt nach einer bezahlbaren Wohnung suchen und sie immer öfter nicht finden. Und gleich nach Verkehr (44 Prozent) nennen sie Armut und Einkommen als Herausforderung: 38 Prozent. Da gehört es schließlich zusammen: Wer am Start seines Berufslebens noch nicht viel verdient, kann sich auch Wohnungen auf dem freien Markt kaum noch leisten.
Und dass genau das sehr reale Probleme sind, machen auch die Prioritäten der Leipziger Eltern deutlich, für die nach der Herausforderung „Kitas und Schulen“ (53 Prozent) ebenfalls gleich das (teure) Wohnen kommt (51 Prozent) und danach Armut und Einkommen (41 Prozent).
Sorgen auch bei Armut und Inflation
Alles Wertungen, die darauf hindeuten, dass Leipzig an ganz entscheidenden Stellen sehr familienunfreundlich geworden ist. Und das bezahlbare Wohnen gerade für Familien mit Kindern gehört ganz oben mit dazu.
Und während die Problemsicht auf Verkehr und Kriminalität und Sicherheit gegenüber 2021 sogar um 9 bzw. 7 Prozentpunkte zurückgegangen ist, gab es bei der Angabe zu Armut und Einkommen einen deutlichen Zuwachs von 30 auf 39 Prozent. Die steigenden Preise für Energie und Alltagsbedarf haben ganz unübersehbar viele Leipziger, die vorher noch einigermaßen zurechtkamen mit ihrem Geld, in finanzielle Nöte gestürzt.
Was vor zehn Jahren in der noch preiswerten Stadt Leipzig zum Leben ausreichte, erweist sich im Inflationsjahr 2022 als deutlich zu wenig.
Medizinische Versorgung und falsches Profitdenken
Und parallel dazu nahm auch die Sorge um die medizinische Versorgung deutlich zu – von 12 auf 20 Prozent. Wobei es nicht nur die Senioren mit 25 Prozent als Problem sehen, wenn sogar in einer Großstadt wie Leipzig die Wartezimmer immer voller werden und Politiker aus lauter Langeweile auch noch in der Notaufnahme Gebühren kassieren wollen, statt das kaputtreformierte deutsche Gesundheitssystem endlich wieder in Ordnung zu bringen.
Auch die jungen Leute sehen hier mit 16 Prozent ein Problem heranwachsen, genauso wie die Eltern mit 18 Prozent.
Ein Ergebnis, das zumindest zeigt, wie falsche und vor allem von Profitdenken getriebene Entscheidungen im Bund nun gründlich auch auf die Kommunalebene durchschlagen und zeigen, dass „Märkte“ gar nichts regeln. Schon gar nicht zum Wohl der Menschen, die auf funktionierende Sozialsysteme angewiesen sind.
Keine Kommentare bisher