Bevor Leipzigs Statistiker die neue Bevölkerungsvorausberechnung vorlegen, diskutieren sie im am Montag, dem 17. April, vorgestellten Quartalsbericht die Tücken, die auftauchen, wenn man die Bevölkerungsentwicklung in Leipzig voraussagen möchte. Immerhin warten lauter Ämter in der Stadt auf Zahlen, mit denen sie irgendwie planen können.
„Die Leipziger Bevölkerungsvorausschätzung 2019 prognostiziert die Einwohnerentwicklung der Stadt Leipzig in drei Szenarien bis zum Jahr 2040. Mit dem Vorliegen der Einwohnerzahlen zum Jahresende 2022 können nun die ersten vier Jahre des Prognosezeitraums evaluiert werden“, geht das Amt für Statistik und Wahlen auf den aktuellen Rechenprozess ein.
„Die Einwohnerentwicklung der Jahre 2020 und 2021, die von Effekten der COVID-19-Pandemie überlagert wurde, lag deutlich unterhalb des unteren Prognoseszenarios. Sowohl die Wanderungsgewinne als auch die Zahl der Geburten fielen geringer aus als die in der Bevölkerungsvorausschätzung angenommenen Werte.“
Das heißt: Da blieb die Bevölkerungsentwicklung deutlich hinter den Erwartungen zurück. Aber dann kam der Februar 2022: „Das Jahr 2022 war dagegen geprägt durch die Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine, in dessen Folge sich bis zum Jahresende 2022 rund 9.900 Schutzsuchende aus der Ukraine in Leipzig niederließen. Auch ohne Berücksichtigung der Fluchtmigration ergab sich ein deutlicher Anstieg des Außenwanderungssaldos, sodass Leipzig im Jahr 2022 den zweitstärksten Bevölkerungszuwachs seit der Wende verzeichnen kann.
Binnen lediglich drei Jahren waren damit zwei nicht prognostizierbare Ereignisse mit erheblichem Einfluss auf die Einwohnerentwicklung zu beobachten, die in den zugrundeliegenden Annahmen nicht berücksichtigt sind.“
Das andere war die unerwartet niedrige Geburtenrate, die sich sogar von der bundesweiten Entwicklung abgekoppelt hat, wie Dr. Christian Schmitt, Leiter Amt für Statistik und Wahlen, am Montag feststellte. Während die zusammengefasste Geburtenziffer bundesweit zwischen 1,5 und 1,6 je Frau liegt, ist sie in Leipzig auf 1,2 abgesackt, also auch noch deutlich unter die 1,45 Kinder je Frau, mit denen die Statistiker 2019 gerechnet haben.
Schmitt vermutet, dass dahinter einfach die Tatsache steht, dass junge Menschen vor allem zu Studium und Ausbildung nach Leipzig kommen und Kinder meist erst dann bekommen, wenn sie sich im Berufsleben etabliert haben. Was ja das hohe Erstgebärendenalter von 30, 31 Jahren mit sich bringt.
Im Quartalsbericht wird auch noch nach anderen Ursachen für diesen massiven Verzicht auf Kinder in Ostdeutschland Ausschau gehalten.
So wird auf eine Untersuchung des Instituts für Wirtschaftsforschung in Dresden (ifo Dresden) zu Faktoren der Kinderlosigkeit für Ostdeutschland Bezug genommen: „Aus der Forschungsliteratur greifen die Forscher/-innen den Befund auf, dass eine Erwerbstätigkeit von Frauen in Ostdeutschland keinen Einfluss darauf hat, ob sie Kinder bekommen oder nicht. Anders in Westdeutschland – dort hat die Beschäftigung von Frauen einen negativen Einfluss auf die Familienplanung.
Um den Gründen für Kinderlosigkeit in Ostdeutschland näher auf die Spur zu kommen, verwendeten die Forscher/-innen Daten ostdeutscher Frauen über 40 und ostdeutscher Männer über 45 Jahre. Sie konnten nachweisen, dass folgende Faktoren (in absteigender Wichtigkeit) Kinderlosigkeit in Ostdeutschland begünstigen: eine hohe relative Wichtigkeit von Hobbies, Freunden und Beruf, ein geringerer Anteil an Personen mit Kindern im Bekannten- und Freundeskreis, eine geringere ideale Kinderanzahl, Befürchtungen gegenüber Kindern und Elternschaft sowie eine größere Geschwisteranzahl.“
Eine Studie, die wissenschaftlich freilich sehr fragwürdig ist, wie wir an dieser Stelle schon einmal untersucht haben.
Gerade deutsche Frauen verzichten auf Kinder
Und die damit auch nicht erklärt, warum in Leipzig die Geburtenrate derart stark gefallen ist. Und es ist eigentlich noch viel prekärer, wie Michael Naber in seinem Beitrag zur Prognose erzählt: „Die Prognoseabweichungen in Bezug auf die erwarteten Geburten bezieht sich dabei in 2022 fast ausschließlich auf die Geburten deutscher Mütter: Durch das Absinken der TFR (TFR = zusammengefasste Geburtenziffer, d. Red.) dieser Bevölkerungsgruppe von 1,31 auf nur noch 1,11 innerhalb von vier Jahren wurden 2022 nur noch 4.974 Kinder von deutschen Müttern geboren, 1.163 weniger als angenommen.
Die TFR von Müttern ohne deutsche Staatsangehörigkeit erholte sich dagegen nach mehreren Jahren des Rückgangs wieder auf ein Niveau von 1,79, so dass im Jahr 2022 statt der erwarteten 940 Kinder nur 888 Kinder von ausländischen Müttern geboren wurden.“
Aber – wie Christoph Bein in einem weiteren Beitrag anmerkt: Es ist kein reines Leipziger Problem, sondern betrifft alle Großstädte. „Der starke Geburtenrückgang im letzten Jahr war allerdings kein spezifisches Leipziger Phänomen, sondern konnte in vielen weiteren Städten der Bundesrepublik beobachtet werden: So sank die Zahl der Geburten im selben Zeitraum beispielsweise in Dresden um 15 % (vgl. Landeshauptstadt Dresden 2023), in Stuttgart um 12,9 % (vgl. Landeshauptstadt Stuttgart 2023) und in München um 9,8 % (vgl. Landeshauptstadt München 2023).
Der Leipziger Geburtenrückgang 2022 fiel somit im Städtevergleich noch relativ ‚moderat‘ aus. Dennoch sank die Zahl der Geburten auf den niedrigsten Stand seit 2014.“
Das kann mit irgendwelchen psychischen Komponenten, die das ifo-Institut vermutete, nichts zu tun haben. Was die Vorausberechnung für die nächsten Jahre natürlich nicht leichter macht.
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