Nachdem nun der Stadtrat mehrfach das Thema (fehlender) Windkraftanlagen und möglicher Solarinstallationen im Stadtgebiet thematisiert hat, hat das Amt für Statistik und Wahlen im jüngsten Quartalsbericht 2/2022 eine Meldung des Umweltbundesamtes vom Juli aufgegriffen. Höchst aktuell natürlich auch vor dem Hintergrund massiv gestiegener Gaspreise. Und der Tatsache, dass Deutschland seine eigenen Klimaziele zu verpassen droht. Denn der Ausbau lahmt.
Auch wenn das Umweltbundesamt fürs erste Halbjahr 2022 wieder eine positive Entwicklung ausmachte.
„Nach Untersuchungen des Umweltbundesamtes wurden im ersten Halbjahr 2022 etwa 14 Prozent mehr Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugt als in den ersten sechs Monaten des Vorjahres. Insgesamt konnten über 137 Terawattstunden (TWh) erneuerbarer Strom erzeugt werden, Vorjahreswert 121 TWh (jeweils Januar bis Juni)“, fasst der Quartalsbericht zusammen.
„Gründe für die Entwicklungen waren zum einen günstigere Witterungsbedingungen als im Vorjahr – mehr Wind und mehr Sonnenschein. Darüber hinaus machte sich jedoch auch der steigende Zubau an neuen Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen) bemerkbar.
Im ersten Halbjahr 2022 konnten etwa 3,65 Gigawatt an neuer PV-Leistung installiert werden, trotz aktueller Lieferschwierigkeiten und Preisanstiege liegt der Zuwachs an PV-Anlagenleistung somit deutlich über den Vorjahren. Insgesamt steigt der Anteil der ‚Sonnenenergie‘ an der gesamten Stromerzeugung.
Im Mai und Juni 2022, den sonnenreichsten Monaten des ersten Halbjahres, wurden jeweils neue Höchststände bei der PV-Stromerzeugung registriert. In diesen beiden Monaten wurde aus PV-Anlagen in etwa so viel Strom ins öffentliche Netz eingespeist wie aus allen Erdgas- und Steinkohlekraftwerken zusammen.“
Da könnte man dann sagen: Es geht voran.
Trauermärchen Windkraft
Aber der Blick auf die zu installierende Windkraft ernüchtert. Denn das Herumdoktern am EEG-Gesetz zuletzt unter der Großen Koalition von Angela Merkel 2016 zeigt Folgen. Bis heute. Gegen alle Kritik wurde damals ein Ausschreibungsmodus gesetzlich verankert, der kleine und mittlere Marktteilnehmer praktisch ausschließt bei der Bewerbung um neue Windkraftanlagen.
„Ein Blick auf die Entwicklung der aus Wind gewonnenen Energieleistung sieht zunächst auch positiv aus. Wegen besserer Windbedingungen als im windarmen ersten Halbjahr des Vorjahres stieg die Stromerzeugung aus Windenergie um etwa 18 Prozent von 58 TWh (2021) auf 69 TWh im aktuellen Jahr an. Die Windenergie steuerte damit etwa die Hälfte des gesamten erneuerbaren Stroms bei. Etwas mehr als vier Fünftel (fast 57 TWh) des Windstroms wurde an Land erzeugt, der Rest von Windenergieanlagen auf See (etwa 12 Twh)“, stellt der Quartalsbericht fest.
Konstatiert dann aber: „Der Zubau neuer Windkraftanlagen an Land liegt im 1. Halbjahr 2022 mit weniger als 0,90 Gigawatt (GW) jedoch auf unverändert niedrigem Niveau. Die installierte Leistung stieg in den ersten sechs Monaten des Jahres von 56,1 GW um nur etwa 1,5 Prozent auf 57,0 GW. Nach dem Ziel der Bundesregierung soll die insgesamt installierte Leistung von Windenergieanlagen an Land im Jahr 2030 115 GW betragen. Der Bau neuer Windkraftanlagen an Land muss zur Zielerreichung somit deutlich beschleunigt werden.“
Das ist dann wieder die schöne Floskel, mit der die Deutschen sich alle Wünsche erfüllen – im Himmelreich der Träume. Den die Realität sieht anders aus. Erst recht in Drückebergerland Sachsen, wo der Windkraftausbau auf Landes- und kommunaler Ebene jahrelang ausgebremst wurde.
Schlusslicht Sachsen
In Sachsen ist im ersten Halbjahr 2022 unterm Strich nur eine einzige Windenergieanlage neu hinzugekommen. Der bundesweite Vergleich zeigt: Unter den Flächenländern liegt Sachsen mal wieder auf dem letzten Platz. So gefährdet das Land die eigene Energieversorgung und macht sich von Stromimporten aus anderen Bundesländern abhängig, meldete der Bundesverband WindEnergie (BWE), Landesverband Sachsen, im Juli.
„Dass bei der erneuerbaren Windkraft trotz des Krieges in der Ukraine und der absehbaren Energieknappheit nichts vorangeht, liegt an der jahrelangen Verhinderungspolitik der sächsischen Staatskanzlei und der zuständigen Landesämter“, kritisierte Prof. Martin Maslaton, Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen des BWE.
„Die CDU-geführten Häuser agieren gegen die Zukunftsinteressen des Landes, dessen Wirtschaft und dessen Kommunen auf eine Energieversorgung mit klimaneutralem Strom aus der Heimatregion angewiesen sind.“
In Sachsen wurde im ersten Halbjahr 2022 unter dem Strich nur eine einzige Windenergieanlage neu errichtet. So kamen nur 6 Megawatt installierte Windenergieleistung hinzu. Zwei neuen Anlagen mit zusammen 7 Megawatt steht dabei eine zurückgebaute Anlage mit 1 Megawatt gegenüber.
Zum Vergleich: Bundesweit wurden 239 Windräder mit einer Leistung von knapp 1.000 Megawatt zugebaut. Gleichzeitig wurden im ersten Halbjahr 2022 bereits 82 Anlagen mit knapp 100 Megawatt zurückgebaut.
Ausschreibungen bringen kaum neue Windkraft
Auch in den nächsten Jahren sieht es für die Windkraft nicht gut aus, betonte der BWE. In den beiden bisherigen Ausschreibungsrunden des Jahres wurde für Sachsen lediglich eine Leistung von 40 Megawatt vergeben. Das entspricht etwa zehn neuen Anlagen und berücksichtigt noch nicht den zu erwartenden Rückbau.
Von den in Ausschreibungen bezuschlagten Anlagen werden nicht alle gebaut – erfahrungsgemäß liegt die Realisierungsquote bei etwa drei Viertel. Die verbleibenden Anlagen werden dann im Laufe von circa zwei Jahren tatsächlich auch errichtet.
„Damit ändern auch die neuen Ausschreibungsrunden am Windkraft-Stillstand in Sachsen fast nichts“, stellt Prof. Maslaton fest.
„Von der Mobilität über die Wärmeversorgung bis zu Industrieprozessen wird die gesamte Energieversorgung mittelfristig von fossilen Brennstoffen auf grünen Strom umgestellt werden. Es ist eine Katastrophe für die heimische Wirtschaft, wenn Sachsen morgen seine gesamte Energie in anderen Bundesländern wie Brandenburg einkaufen muss, die den Ausbau der Windkraft heute mit Augenmaß voranbringen.“
Es fehlt an Flächen
Gebremst wird in Sachsen immer noch auf Ebene der Regionalen Planungsverbände. Denn sie müssen Vorrangflächen für Windkraftanlagen ausweisen. Aber durch die Bank haben sie die Novellierung der Regionalpläne in den vergangenen Jahren dazu genutzt, den Stillstand beim Windkraftausbau zu zementieren und nur winzige Bruchteile der regionalen Flächen überhaupt für Windkraft zu öffnen.
Was mittlerweile selbst das grün-geführte Umweltministerium alarmiert, hatte es die Planungsverbände doch dringend aufgefordert, die Regionalpläne kurzfristig für den Ausbau der Windenergie zu überarbeiten. Aber nichts passiert. Auch nicht im phlegmatischen Planungsverband Westsachsen, zu dem Leipzig gehört.
Am 27. Oktober sah sich Sachsens Staatssekretär für Energie und Klimaschutz, Dr. Gerd Lippold, genötigt, einen dringenden Appell zu veröffentlichen.
„Erneuerbare Energien haben mehrfachen Nutzen. Sie bedeuten Klimaschutz, sie bedeuten Unabhängigkeit von Importen, sie produzieren kostengünstigen Strom und sind ein immer wichtigerer Standortfaktor für die Industrie. Die jetzige Preiskrise durch den russischen Angriffskrieg macht das mehr als deutlich. Deshalb brauchen wir so schnell wie möglich Flächen, auf denen Windkraftanlagen installiert werden können“, sagte er.
„Ehemalige Tagebaue können und sollen hierzu einen Beitrag leisten. Gleichzeitig wissen wir, dass diese Flächen nicht immer schnell nutzbar sind. Um jetzt bei der Windenergie voranzukommen, ist die Flexibilisierung der Planung ein wichtiges Instrument. Viele Kommunen wollen Windparks, weil das Geld in die Kasse und günstigen Strom für die Unternehmen bringt. Das wollen wir außerhalb der Regionalplanung bis Jahresende ermöglichen und daran arbeiten wir.“
Das könnte also bedeuten, dass die fast überall konservativ gestrickten Planungsverbände beim Thema Windkraft entmachtet werden. Auch wenn noch nicht klar ist, wie es die Staatsregierung bewerkstelligen will.
Windkraft statt Kohle
Der Hinweis auf die Tagebaubetreiber kam nun aber beim BWE wieder ganz schlecht an.
„Statt der einseitigen Bevorzugung eines privaten Konzerns, fordern wir beim Ausbau der Erneuerbaren Energien Chancengleichheit für alle mittelständischen Unternehmen aus Sachsen“, erklärte Prof. Martin Maslaton, Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen des BWE, am 27. Oktober.
Bei den Beratungen des Windenergie-an-Land-Gesetzes im Bundesrat wollte Sachsen da aus Sicht des BWE eine einseitige Bevorteilung der Leag und Mibrag durchsetzen. Fast sämtliche Flächen, die der Freistaat für die Windenergie bereitstellen will, sollen danach auf alten Bergbau-Flächen ausgewiesen werden.
Die angestrebten zwei Prozent der Landesfläche würden sich dann in der faktischen Verfügung des Mutterkonzern EPH, einem tschechischen Konzern, befinden, so der BWE Sachsen.
Von der angestrebten Gesetzesänderung der Staatskanzlei um CDU-Ministerpräsident Kretschmer würde mit der Mibrag ein Unternehmen begünstigt, in dem Ex-Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) seit 2019 als Aufsichtsratsvorsitzender tätig ist, betonte der BWE noch.
„Das Land Sachsen darf die Entwicklung der Erneuerbaren nicht auf einzelne Orte fokussieren und einem einzelnen Konzern überlassen. Damit verzögert es die Energiewende und beraubt die im Land gewachsenen Windenergie-Unternehmen ihrer Entwicklungschancen“, so Maslaton.
Wenn Sachsen den Schwerpunkt der Erneuerbare-Energien-Entwicklung auf ehemalige Bergbauflächen legen will, dann müsse es um diese Flächen einen fairen Kampf der besten Konzepte geben. Die Flächen, erläutert Maslaton, wurden vor Jahrzehnten für den Kohleabbau enteignet und an die Kohleunternehmen für den Zweck des Kohleabbaus übergeben.
„Die Kohleindustrie ist verpflichtet, die alten Tagebauflächen wieder herzustellen. Sie hat aber kein Recht darauf, sie für alle Zeit ausschließlich zu nutzen.“
Doch auch Lippold hatte ja schon betont, dass der Zugriff auf die einstigen Tagebauflächen größtenteils noch Zukunftsmusik ist und oft erst nach Ende des Kohleabbaus 2035 (im mitteldeutschen Revier) bzw. 2038 (in der Lausitz) erfolgen kann. Das ist natürlich viel zu spät, um überhaupt noch einen wesentlichen Beitrag zur Klimaneutralität bis 2030 zu leisten.
Für die Entwicklung der Erneuerbaren in Sachsen wäre eine Konzentration auf alte Kohleflächen zeitlich und strukturell eine dramatische Fehlsteuerung, schätzt auch Maslaton ein. Die Flächen stünden oft erst nach dem Kohle-Ausstieg – also aktuell 2038 – zur Verfügung: viel zu spät für Klimaschutz und Energiewende.
„Die sächsischen Kommunen und Industrieunternehmen wollen die Energiewende in Sachsen dezentral vorantreiben. Mit dem Repowering vorhandener Standorte und mit neuen Solar- und Windparks. Der Wille und die Flächen sind da“, so Maslaton. Jetzt muss man sehen, ob es die Staatsregierung mit der Verfügbarmachung von Flächen in kommunaler Hoheit ernst meint.
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