Sie sind ja überall in Stadtbild zu sehen – mal als hingekritzelter Tag, mal als großflächiges Bild: Graffiti. In der Diskussion der Stadtgesellschaft oft als Verschandelung des Stadtbildes diskutiert, als „Schmiererei“ und Zerstörung fremden Eigentums. Ganze Serien von Polizeimeldungen beschäftigen sich ja mit der Sachbeschädigung durch Graffiti und der meist nächtlichen Jagd nach den Tätern. Aber wie halten es die Leipziger selbst mit diesen Kunstwerken?
Leipzigs Verwaltung jedenfalls hat ihre martialische Haltung aus der jüngeren Vergangenheit aufgegeben. Zumindest ein Teil von ihr. Natürlich auch, weil, die ganze überhitze Jagd auf die Graffiti-Künstler nichts gebracht hat. Weder sind die Sprühaktionen weniger geworden, noch haben die Verfolgungsaktionen durch die Polizei oder – mit Hubschrauber- durch die Bundespolizei, das Geringste an der sich immer wieder verjüngenden Szene geändert.
„Graffiti etablieren sich zunehmend als eine Form der Street-Art, die politische Ideen oder soziale Meinungsäußerungen transportiert und sich von einer Art Antikultur immer mehr in den Mainstream der Kunstwelt gewandelt hat“, schreiben die Autorinnen des Berichts zur Bürgerumfrage 2021.
„Als Bildträger dienen häufig Straßenbahnen, Züge, Hauswände oder andere Bereiche im öffentlichen Raum. Oftmals sind es Markierungen, die von den Eigentümern der Bahnen oder Gebäudefassaden in der Regel nicht gewollt sind.“
Wem gehört der öffentliche Raum?
Wir haben es ja an dieser Stelle schon mehrfach thematisiert, dass es hier nicht nur um Kunst oder Nicht-Kunst geht, sondern um Kommunikation und die Frage, wer eigentlich auf welche Art im öffentlichen Raum kommunizieren darf. Wer den öffentlichen Raum mit seinen Zeichen besetzen darf.
So schwer das manchem Älteren fällt: Graffiti sind eine Form der öffentlichen Auseinandersetzung. Und der Raumnahme. Übrigens nicht nur durch irgendwelche parolenmalenden Fußball-Fans, die damit Areas für ihren Verein markieren, sondern auch durch Besitzende und Nicht-Besitzende.
Leipzig gibt seit einigen Jahren jährlich 100.000 Euro zur Graffiti-Prävention aus und versucht, die Sache irgendwie zu kanalisieren. Dazu gehört auch das Bereitstellen von Flächen, die ganz legal besprüht werden können.
Und danach wurde dann in der Bürgerumfrage 2021 auch direkt gefragt.
„Was halten jedoch die Leipzigerinnen und Leipziger davon: Sollte die Stadt Leipzig legale Flächen für Graffitigestaltungen zur Verfügung stellen?“, heißt es dazu im Bericht.
„Fast alle Befragten (88 Prozent) bejahen diese Frage, insbesondere Studierende/Schüler/-innen (97 Prozent) bzw. jüngere Erwachsene (96 Prozent). Aber auch von den Seniorinnen und Senioren kommt von circa drei Vierteln Zustimmung für die Bereitstellung legaler Flächen für Graffiti. Werden öffentliche Flächen gezielt für Graffitigestaltungen zur Verfügung gestellt, ist die Akzeptanz unter der Bevölkerung deutlich höher als bei illegalen, eigentumsschädigenden Graffitis.“
Das steht da so. Aber Mehrzahl ist schon Graffiti. Einzahl ist Graffito.
Da ist aber auch sofort wieder die Unterscheidung da – gute und „illegale“ Graffiti. Wenn man die Leipziger fragen würde, ob sie in ihrem Wohnumfeld legale Flächen für Graffitigestaltung kennen, dürften die meisten ins Grübeln kommen. Dem einen oder anderen werden noch offiziell ausgeführte Graffiti einfallen – zum Beispiel die unter Betreuung durch den Graffitiverein entstandenen, teils sehr beeindruckenden Kunstwerke.
Aber wo sind die Flächen, wo junge Leute sich ausprobieren können? Wo ist ihrer Phantasie keine Grenze gesetzt und kein öffentlicher Auftrag dahinter? Davon gibt es nicht viele. Und schon gar nicht in allen Stadtteilen.
Der Bericht zur Bürgerumfrage zeigt die Zustimmungswerte der Befragten auch noch auf Ortsteilebene. Mit besonders hohen Zustimmungswerten im Waldstraßenviertel und in Gohlis-Süd. Dort aber gibt es erst recht keine legalen Graffiti-Wände.
Street-Art nur an ausgewählten Orten?
Was dann die Frage aufwirft: Wie viele solcher Flächen kann die Stadt überhaupt bereitstellen? Und wo befinden sie sich? Und inwiefern können sie all die jungen Leute, die nachts mit Sprayflasche um die Häuser ziehen, davon abbringen, frisch geweißte Häuserwände zu besprühen und sich dafür lieber auf legalen Flächen auszutoben?
Das sind Fragen, die nicht gestellt wurden. Wohl auch deshalb, weil die Initiatoren der Frage in einem anderen Amt sitzen als die Autoren des Berichts. Sodass letztlich von der Formel „Street-Art, die politische Ideen oder soziale Meinungsäußerungen transportiert“ nicht viel übrigbleibt als der selige Bürgerwunsch, man möge den Street-Art-Künstlern legale Wände geben, an denen sie sich verwirklichen können.
Was aber wird mit der „sozialen Meinungsäußerung“ im öffentlichen Straßenraum? Die ja nun, wenn man die Polizeimeldungen liest, nicht akzeptiert wird? Genauso wenig wie das Besprühen von S-Bahnen und Straßenbahnen?
Man ahnt, dass das Thema nicht ansatzweise erledigt ist, wenn es mehr legal bereitgestellte Flächen für Graffiti-Kunst gibt.
Es gibt 2 Kommentare
Wenn es schön anzusehen ist, also wenigstens ein Bild-Motiv hat, ist die Akzeptanz sicher höher.
Aber die allermeisten Graffiti in Leipzig sind hässlich-sinnlose Schriftzüge. Und das ist tatsächlich nur eins, nämlich Sachbeschädigung (und Folter für die Augen). Ja, es gibt gute und schlechte Graffiti, leider überwiegt die Anzahl der schlechten deutlich.
>So schwer das manchem Älteren fällt…
Man merkt ab und zu, dass Herr Julke öfter das Bild vom politisch engagierten, eher grün-links verorteten Jugendlichen vor Augen hat, mit einer gewissen Portion Verachtung auf die eigene Alterskohorte, wenn er Texte über die Gesellschaft schreibt. Ich bin ein bisschen (!) näher dran als er und kann sicher sagen, dass auch junge Menschen nach Reisen in andere Städte und Länder erkennen, wo es sauberer ist (oder schmutziger) als in Leipzig. Es stört nicht nur “manch Älteren”, wenn die Wand oder Straßenbahn besprüht wurde.
Mal wieder wird hier so getan, als ob Sprayen ein Gemeinrecht wäre, was man als Gesellschaft irgendwie ermöglichen und vielleicht kanalisieren müsste. Das Ding ist nur, dass die Gesellschaft im Allgemeinen nichts davon hat, wenn der Zug besprüht wurde. Andererseits könnte man ja auch eine Umfrage machen, ob die nächste Generation Fahrzeuge der S- und Straßenbahn ohne Fenster geliefert wird. Man würde Geld und Gewicht sparen, und die Sprayer hätten mehr kreative Fläche.
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> Mit besonders hohen Zustimmungswerten im Waldstraßenviertel und in Gohlis-Süd. Dort aber gibt es erst recht keine legalen Graffiti-Wände.
Wohnen dort denn die jungen Künstler? 😉