Dass so viele Leipziger im dritten Jahr der Corona-Pandemie so langsam nachlässig werden, kann auch damit zu tun haben, dass sie bislang eine Infektion vermeiden konnten. Denn in der Bürgerumfrage 2021 gaben nur 7 Prozent der Befragten an, eine Corona-Infektion gehabt zu haben. Bei den über 65-Jährigen sind es sogar nur 3 Prozent. Da staunt man dann gar nicht mehr über Senioren ohne Maske in der Straßenbahn.

Denn keine Bevölkerungsgruppe hat außerdem in so großem Ausmaß angegeben, dass es in ihrem Umfeld überhaupt keine Infektion gab. 60 Prozent der Alten sagten das, obwohl die Gesamtbevölkerung das nur zu 31 Prozent angab.

Ein durchaus bedenkenswerter Befund. Nicht weil das davon erzählt, dass es im Umfeld der alten Leute weniger Infektionen gab. Die Zahl erzählt eher davon, wie sehr die Sozialkontakte der Alten geschrumpft sind. Gleichzeitig sind sie sich noch etwas stärker als die Gesamtbevölkerung der Gefährlichkeit einer Erkrankung bewusst. Aber eben doch nur zu 26 bis 32 Prozent. Da ist jede Menge Luft für Leichtsinnigkeit.

Ausagen zur Betroffenheit durch Corona-Infektionen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021
Aussagen zur Betroffenheit durch Corona-Infektionen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021

Dabei ist es nur eine Minderheit, die sich gegen das Coronavirus nicht impfen lassen will.

„Die Bereitschaft zur Impfung gegen das Coronavirus ist unter Leipzigerinnen und Leipzigern sehr hoch“ stellt der Bericht fest. „Lediglich 6 Prozent der Befragten geben an, dass sie sich nicht gegen Corona impfen lassen möchten oder können. Dieser Anteil ist höher unter den Befragten, die mit ihrem Leben im Großen und Ganzen (sehr) unzufrieden sind (19 Prozent). Auch in den Altersgruppen zwischen 35 und 49 Jahren finden sich etwas häufiger (10 Prozent) Personen, die angaben, sich nicht impfen zu lassen.“

Und die Gelegenheit wollten sich Leipzigs Statistikerinnen auch nicht entgehen lassen, nach den Gründen für die Verweigerung einer Impfung zu fragen.

Auch das ist aufschlussreich.

„Am häufigsten liegen Bedenken aufgrund von Nebenwirkungen (68 Prozent) und das Gefühl unter Druck gesetzt zu werden (64 Prozent) zugrunde. Die Hälfte der nicht geimpften Befragten erklärt die Impfentscheidung damit, auf Langzeitstudien warten zu wollen, weitere 31 Prozent sehen keinen Bedarf für eine Impfung“, kann man aus den Antworten herauslesen.

Gründe, sich nicht gegen CoVID19 impfen zu lassen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021
Gründe, sich nicht gegen COVID19 impfen zu lassen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021

Im Kern steckt darin natürlich auch ein Unbehagen, das auch andere Bevölkerungsteile haben, die zwar Impfung und Schutzmaßnahmen unterstützen, aber dann doch das Gefühl hatten, dass von dem versprochenen Zusammenhalt aus den ersten Monaten der Pandemie wenig übrig geblieben ist.

„Dabei fällt auf, dass insbesondere die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie von der Mehrheit jeweils (eher) negativ beurteilt werden. So erwarten 77 Prozent der Befragten (eher) negative Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft, lediglich vier Prozent erwarten (eher) positive. Im Vergleich zur Befragung 2020 sinkt der Anteil der hinsichtlich dieses Aspekts positiv gestimmten Befragten damit deutlich (-14 Prozentpunkte)“, heißt es im Bericht.

„Auch bei den Auswirkungen auf die persönliche Situation sinkt bzw. stagniert der Anteil der positiv gestimmten Befragten im Jahresvergleich. Während etwa 57 Prozent der Befragten im Jahr 2020 noch (sehr) positive Auswirkungen auf den Zusammenhalt in der Familie erwarten, sinkt dieser Wert 2021 auf nur noch 38 Prozent. Auch bei den wahrgenommenen Auswirkungen auf die eigene Gesundheit überwiegt eine (eher) negative Einschätzung.“

Die Wurzeln der Gesellschaft

So eine Pandemie geht an die Wurzeln jeder Gemeinschaft und stellt genau das infrage, was da an Solidarität und Zusammenhalt eigentlich gewollt war und kurz auch zu erleben war. Aber die Einschränkungen haben auf alle Menschen deutliche Auswirkungen. Denn Menschen brauchen Nähe und Kontakte. Gerade die jüngeren Befragten benannten das als Problem.

„Hier fällt das Urteil bei den jungen Erwachsenen (18 bis 24 Jahre) am negativsten aus, obwohl diese Gruppe – zumindest in der Breite – am wenigsten vulnerabel gegenüber dem Virus ist. Mediziner weisen jedoch darauf hin, dass gerade bei jüngeren Menschen durch Ausgangssperren und Lockdowns die Prävalenz von Einsamkeitsempfindungen deutlich zugenommen hat. Diese haben wiederum Wechselwirkungen auf physische und psychische Erkrankungen, zum Beispiel durch erhöhte Risiken für Depressionen, Angststörungen, für einen riskanten Suchtmittelkonsum oder für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Haserück, 2021).“

Und die Befragung bestätigt auch, dass die Einschränkungen durch die Pandemie vielen Leipzigern auch heftige Einkommenseinbußen beschert haben. Und zwar zwei Gruppen besonders: „28 Prozent der Leipziger Haushalte geben an, seit Beginn der Corona-Pandemie Einkommensverluste erlitten zu haben. Die höchste Wahrscheinlichkeit für Einkommenseinbußen durch die Pandemie liegt bei Kurzarbeit vor, die länger als drei Monate dauert. Eine überdurchschnittliche Betroffenheit zeigen Haushalte mit geringem Einkommen, signifikant häufiger berichten Befragte von Einkommensverlusten, die aktuell unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle leben. So berichten 45 Prozent der armutsgefährdeten Haushalte von Einkommensverlusten, während dies nur auf 18 Prozent der einkommensreichen Haushalte zutrifft.“

Das sind genau die Haushalte, die nun im Jahr 2022 auch noch mit massiv gestiegenen Energiekosten und Preisen beim täglichen Einkauf konfrontiert werden.

Und da überrascht es auch nicht, dass die wirtschaftlich hauptsächlich Betroffenen auch das Agieren von Bundes- und Landesregierung und der Stadt am schlechtesten bewerten.

Noten für die verschiedenen politischen Ebenen für den Umgang mit der Pandemie. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021
Noten für die verschiedenen politischen Ebenen für den Umgang mit der Pandemie. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021

„Der Umgang der Bundesregierung mit der Corona-Pandemie wird dabei am kritischsten bewertet: 46 Prozent der Befragten vergeben hier die Note 5 oder 6. Ähnlich schlecht wird die Landesebene beurteilt (40 Prozent Note 5 oder 6). Die Bewertung der kommunalen Ebene ist hingegen etwas positiver“, heißt es im Bericht.

„Insbesondere für die Bundes- und Landesebene fallen die negativen Urteile folgender Gruppen auf: Soloselbstständige, junge Menschen und mit dem eigenen Leben und der eigenen wirtschaftlichen Situation unzufriedene Befragte. Positiver urteilen hingegen ältere Befragte ab 75 Jahren, also die Gruppe, die durch die verschiedenen Maßnahmen auch vorrangig geschützt werden sollte.“

Da überrascht es dann auch nicht, dass die Befragten die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie fast genauso negativ sehen wie die Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und nicht viel besser ist die Sicht auf den Zustand des Gesundheitswesens, das in den Corona-Jahren immer wieder an den Grenzen der Belastbarkeit arbeitete.

Dass diese Einschätzung dann im persönlichen Umfeld wieder eine ganz andere ist, bestätigt eine alte Diskrepanz, die in Leipziger Bürgerumfragen immer wieder sichtbar wird: Der Blick auf Stadt und Gesellschaft ist immer viel kritischer und negativer als die Sicht auf das eigene persönliche Erleben.

Vielleicht ein Thema der medialen Darstellung, denn wie es Stadt und Gesellschaft geht, erfahren die meisten Befragten ja wirklich nur durch die Medien, oft sogar nur noch aus den „Social Media“, die nicht wirklich dafür bekannt sind, ein halbwegs realistisches Bild von der Welt zu zeichnen.

Aber das prägt Meinungen und Sichtweisen. Und am Ende auch Gefühle und Reaktionen auf Zumutungen, die dann scheinbar unverhofft und unverdient auf den Einzelnen herniederprasseln.

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