Die Bürgerumfrage 2021 beschäftigte sich nicht nur mit den Einkommen der Leipziger an sich, sondern auch mit einer Quote, die zumindest Sozialbürgermeistern immer wieder Bauchschmerzen macht: der Armutsgefährdungsquote. Von Gefährdung sprechen die Statistiker deshalb, weil hier auch Personengruppen mit drinstecken, die aus anderen Gründen wenig Geld haben – Studierende und Azubis zum Beispiel. Aber eben auch Rentner, ALG-II-Empfänger, Niedriglöhner usw.
Der Bericht führt dazu u. a. an: „Obwohl im Bereich des Haupterwerbsalters das geringste Armutsrisiko vorliegt, schützt auch Erwerbstätigkeit nicht vor einem geringen Einkommen. Im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird das Armutsrisiko bei Erwerbstätigen als ‚In Work Poverty‘ beschrieben (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2021). Deutschlandweit waren 2018 8 Prozent der Erwerbstätigen von Armut bedroht (nach Bundesmedian). In Leipzig liegt der Anteil 2021 bei ca. 7 Prozent, d. h. auf vergleichbarem Niveau.“
Dass das Thema Armutsgefährdung jetzt wieder im Fokus steht, hat damit zu tun, dass der Anteil der Armutsgefährdeten in Leipzig seit drei Jahren wieder wächst. Obwohl die Stadt prosperiert.
Wir haben hier beide Tabellen mit eingefügt, die das zeigen. Die erste zeigt die Armutsgefährdung nach bundesdeutschen Maßstab und im Vergleich mit anderen Halbmillionenstädten. Auch da sieht man, dass 2018 der Trend urplötzlich abbrach, mit dem die Armutsgefährdungsquote mit der positiven Wirtschaftsentwicklung der Stadt immer weiter gesunken war.
Die Wirtschaftsentwicklung ist ja 2018 nicht abgebrochen. Im Gegenteil. Auch in den nächsten Jahren wuchs Leipzigs Wirtschaft, stieg die Beschäftigtenzahl und stiegen auch die Durchschnittseinkommen.
Und das gleiche Bild beim lokalen Median, wo die Armutsgefährdung nicht am Bundesdurchschnitt der Einkommen ermittelt wird, sondern am lokalen. Und auch hier stieg die Leipziger Armutsgefährdungsquote an. Und zwar nicht erst seit 2018. Hier scheint der Wiederanstieg schon 2016 anzusetzen.
Den deutlichen Anstieg 2021 bringen die Autoren des Berichts mit der Corona-Pandemie in Zusammenhang, die ja tatsächlich einige tausend Leipziger in Kurzarbeit schickte, aber auch heftige Auswirkungen auf Bereiche wie Hotellerie, Gastronomie und Kultur hatte. Viele Selbstständige, die vorher noch ein stabiles Einkommen hatten, verloren Auftritte und Aufträge und mussten sich im Jobcenter melden.
Aber das kann nur die Erklärung für einen kurzfristigen Effekt sein. Nicht dafür, dass die Armutsgefährdungsquote schon mitten im wirtschaftlichen Aufschwung eingesetzt hat. Ein Aufschwung, der eben nicht nur gut bezahlte Arbeitsplätze mit sich brachte. Sondern auch neue prekäre Jobs mit eher lausiger Bezahlung.
Und wie schnell man da unter die Armutsgefährungsschwelle rutscht, machen die beiden für 2021 gültigen Zahlen deutlich: „Wird der lokale Einkommensmaßstab angelegt, also 60 Prozent vom mittleren städtischen Nettoäquivalenzeinkommen, liegt die Schwelle zur Armutsgefährdung bei 1.027 Euro (Mikrozensus 2021, vorläufige Werte19). Nach bundesweitem Maßstab (Mikrozensus 2021, vorläufige Werte20) liegt die Armutsgefährdungsschwelle bei 1.148 Euro.“
Und da wird der eigentliche Grund für die Zunahme der Armutsgefährdung sichtbar.
Im Bericht heißt es dazu: „Bei Betrachtung der einkommensstärksten 20 Prozent aller Leipzigerinnen und Leipziger fällt die dynamische Einkommensentwicklung ab 2016 ins Auge. Dementgegen konnten die einkommensschwächsten 20 Prozent zwar auch Einkommenszuwächse verbuchen, die monetäre Differenz zwischen beiden Gruppen wird in absoluten Beträgen jedoch immer größer. Betrug die Einkommensdifferenz zwischen dem oberen und unteren Quintil 2011 noch ca. 910 Euro, waren es 2021 bereits rund 1.410 Euro. Die relative Einkommensdifferenz blieb dagegen mit 54 vs. 57 Prozent nahezu unverändert. Auch die Einführung des Mindestlohns 2014 mit regelmäßigen Anpassungen auf 9,60 Euro/Stunde (2. Halbjahr 2021, Erhebungsphase) konnte die Entwicklung der absoluten Einkommensdifferenz zwischen den obersten und untersten 20 Prozent nicht stoppen.“
Womit die Autoren des Berichts so ganz nebenbei anmerken, dass ein erheblicher Teil der Leipziger Erwerbstätigen auch vom Mindestlohn nicht profitiert und weiterhin in einem Segment des Arbeitsmarktes beschäftigt ist, in dem weiterhin nur an der Armutsgrenze verdient wird. Und wo dann auch die prozentualen Zuwächse bei den Gehaltsverhandlungen nicht helfen, den Abstand zu den Besserverdienenden kleiner werden zu lassen.
Im Gegenteil, wie auch Dr. Christian Schmitt, Leiter des Amtes für Statistik und Wahlen, bei der Vorstellung des Berichts am Donnerstag, 29. September, feststellte. 10 Prozent Zuwachs bei 1.000 Euro Einkommen sind nun einmal nur 100 Euro, während diese 10 Prozent bei 3.000 Euro Einkommen eben 300 Euro sind. Man hat zwar die gleiche prozentuale Steigerung – aber die Schere zwischen den Einkommensklassen klafft gerade deswegen immer weiter auseinander.
Und so konnte Schmidt auch darauf hinweisen, dass aus dem Abstand von 907 Euro zwischen dem Einkommensmedian der reichsten und der ärmsten 20 Prozent seit 2011 inzwischen 1.414 Euro geworden sind. Was dann fast zwangsläufig immer mehr Menschen aus den prekären Einkommensgruppen unter die berechnete Armutsgefährdungsschwelle rutschen lässt.
Keine Kommentare bisher