Corona hat augenscheinlich auch im Amt für Statistik und Wahlen der Stadt kräftig zugeschlagen. Sehnsuchtsvoll warten alle Statistik-Begeisterten auf die Auswertung der Bürgerumfrage 2021. Am Donnerstag soll sie kommen. Denn je mehr Zeit vergeht, umso unaktueller wird ja alles, was darin steht. Und so verblüfft es auch nicht, wenn Leipzigs neuer Demokratie-Monitor nicht die Zahlen von 2021 enthält, sondern die von 2020.
Der wurde jetzt dem Stadtrat zur Kenntnis vorgelegt, nachdem die Ratsversammlung eben so einen Bericht dezidiert gefordert hatte – adäquat zum Sachsen-Monitor, den die Staatsregierung seit 2016 veröffentlicht.
„Der Leipziger Demokratie-Monitor 2020 zeigt, dass die deutliche Mehrheit der Leipzigerinnen und Leipziger menschenfeindliche Haltungen und demokratiefeindliche Einstellungen ablehnt“, betont das Demokratiereferat Leipzig zur Veröffentlichung des Demokratie-Monitors.
„Knapp drei Viertel der Befragten distanzieren sich hierbei von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und weniger als 10 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Kommunalen Bürgerumfrage stimmt rechtsextremen Aussagen zu. Die Daten verdeutlichen, dass Personen mit bestimmten soziodemografischen Merkmalen stärker zur Abwertung von unterschiedlichen sozialen Gruppen neigen.
Beispielsweise nehmen Vorurteile tendenziell mit steigendem Alter, niedrigerem formalen Bildungsgrad sowie mit größerer Entfernung vom Stadtzentrum zu. Insgesamt offenbart der Vergleich mit dem Sachsen-Monitor 2018 eine geringere Zustimmung der Leipzigerinnen und Leipziger zu xenophoben, politikverdrossenen und demokratiegefährdenden Einstellungen als der sächsische Durchschnitt.“
Autoritäre Tendenzen und Politikverdrossenheit
Wobei die Auswertung auch einen Widerspruch deutlich macht, der vom Dilemma unserer heutigen Demokratie erzählt.
Das sind die beiden Punkte:
„Autoritäre Tendenzen nehmen mit steigendem Alter, niedrigerem Schulabschluss und anwachsender Entfernung des Wohnorts zur Innenstadt zu. Diese Korrelation ist bei keiner anderen Dimension so deutlich zu erkennen, wie bei dieser. Umgekehrt heißt das aber auch: Je jünger, je höher gebildet und je näher am Stadtzentrum lebend, desto geringer ist die Akzeptanz für Autoritarismus.
Politikerverdrossenheit ist weit verbreitet, vor allem unter jüngeren Menschen. Zwei Drittel aller Befragten vermissen einen engen Kontakt zu Politikerinnen und Politikern. Zudem schätzt sich die Hälfte der Befragten als politisch nicht selbstwirksam ein und in etwa ebenso viele erkennen kein Primat der Politik vor der Wirtschaft. Damit geht aus den Befunden ein deutliches Warnsignal hervor: Offenbar wird die demokratische Praxis in Leipzig in erster Linie nicht mit politischen Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger in Verbindung gebracht.“
Die Autoren des Monitors sind ziemlich erstaunt über den konkreten Befund: „Die in Abbildung 12 aufgelisteten Ergebnisse dieser Dimension sind in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Sie zeigen, dass Politikerverdrossenheit in Leipzig weit verbreitet ist. Zwei Drittel der Befragten sehen nicht, dass sich Politikerinnen und Politiker um einen engen Kontakt zur Bevölkerung bemühen. Lediglich 2 % stimmen dieser Aussage vollumfänglich zu, bei insgesamt 22 % Zustimmung.
Damit ist das Stimmungsbild der Leipziger Stadtbevölkerung bei dieser Frage wie bei keinem anderen Item des Leipziger Demokratie-Monitors so nah am Stimmungsbild des Bundeslands: Sachsenweit lag die Zustimmung 2018 bei 71 %, also fünf Prozentpunkte über dem Leipziger Ergebnis; die Ablehnung war mit 25 % sogar höher (Sächsische Staatskanzlei 2018b: 129).
Auch beim Blick auf den Zusammenhang zwischen Zustimmungswerten und soziodemografischen Merkmalen sind die Ergebnisse dieses Items erstaunlich: Weder bei der Wohnlage noch beim Bildungsabschluss steigt die Politikerverdrossenheit mit wachsender Entfernung zum Zentrum bzw. mit absteigendem Bildungsgrad. Auch beim Alter lässt sich aus den Daten ein bemerkenswerter Befund ableiten (siehe Abbildung 13): Je jünger die Befragten sind, desto stärker ist die Politikerverdrossenheit.“
Geht es um Politikernähe oder um Beteiligung?
Und das trotz eines sehr aktiven Jugendparlaments und diversen Formen der Bürgerbeteiligung, die dann trotzdem nicht als niederschwelliger Zugang zur Politik verstanden werden.
Und das ist ein Problem, denn es geht – wie die Autoren feststellen – um Selbstwirksamkeit. Wer sich nicht als selbstwirksam erlebt, wird verdrossen. „Die eine Hälfte erkennt keine eigenen politischen Einflussmöglichkeiten, die andere Hälfte schätzt diese als positiv ein oder antwortet mit ‚weiß nicht‘ (5 %)“, heißt es im Monitor.
Doch wahrscheinlich ist auch der Fokus dabei der falsche und es geht gar nicht um die „Politikerinnen und Politiker“, die sich „um einen engen Kontakt zur Bevölkerung bemühen“ sollten. Jeder, der will, kann an Stadtratssitzungen und Sitzungen von Stadtbezirksbeiräten und Ortschaftsräten teilnehmen. Das alles ist öffentlich.
Aber auch arbeitsreich und oft frustrierend. Wer die gewählten Politikerinnen und Politiker fragen würde, würde wahrscheinlich ein ganz ähnliches Frustrationslevel vorfinden. Denn Demokratie ist nicht frei und un-bedingt. Das zeigt ja die Frage nach dem Einfluss der Wirtschaft auf die Politik, der 44 Prozent der Befragten mehr Macht als den Parlamenten zuschreiben.
Der Einfluss der Wirtschaft
In der Politik wird das dann oft unter den Stichworten „Arbeitsplätze“, „Versorgungssicherheit“ oder „Steuereinnahmen“ verhandelt. Politiker, die behaupten, Wirtschaft hätte nur geringen Einfluss auf Politik, die lügen sich selbst in die Tasche.
Aber die Wählerinnen und Wähler, die so tun, als wäre das nicht so, sind ebenso naiv. Ohne eine funktionierende Wirtschaft keine funktionierende Demokratie. Auch wenn hinter dem Topos noch etwas anderes steckt – nämlich die Frage nach Lobbyismus und dem Missbrauch wirtschaftlicher Macht. Denn dass Kommunen wie Leipzig erpressbar sind, wird spätestens dann immer offensichtlich, wenn es mal wieder ums Mieten, Bauen und bezahlbare Grundstücke für Infrastrukturen geht.
Es scheint auch ein sehr naives Bild von Demokratie auf hinter den Fragen, die der Monitor beleuchtet. Und da wäre man bei den Medien, die eigentlich Verantwortung haben, ein möglichst authentisches Bild von Demokratie zu bieten. Was aber nur wenige tun. Die meisten haben ihre Berichterstattung in den vergangenen Jahren zunehmend zur Zirkusnummer werden lassen und schreiben in groß gedruckten Schlagzeilen Politikerinnen und Politikern eine Macht und einen Handlungsfreiraum zu, den sie nicht haben.
Den sie oft auch deshalb nicht haben, weil ihnen die Wählerinnen und Wähler nicht die nötigen Mehrheiten gegeben haben. Die scheinbare Machtlosigkeit der Wähler ist oft schlichtes Resultat ihrer eigenen Interessen, die sie bei jeder Wahl mit ihrer Stimmabgabe bekunden.
Und da könnte sich auch die höhere Politikverdrossenheit der jüngeren Befragten erklären, denn sie bilden in Leipzig auch bei jeder Wahl die Minderheit. Die älteren Jahrgänge dominieren und bestimmen damit immer wieder auch den Ausgang der Wahl. Womit es dann eben auch ihre Thermen sind, die stärkeres Gewicht finden.
Während ein Thema, das gerade junge Menschen immer stärker bedrückt, dabei immer wieder ausgebremst wird: Es ist der Umbau Leipzigs zu einer klimafreundlichen Stadt.
Tief verankerte neoliberale Vorurteile
Der Demokratie-Monitor beleuchtet auch diverse Dimensionen der Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremer Vorurteile, die in Leipzig zwar deutlich geringer ausgeprägt sind als im Sachsendurchschnitt. Aber wenn man etwa auf die Vorurteile gegenüber Langzeitarbeitslosen schaut (ein ganz zentraler neoliberaler Topos), dann merkt man, wie sehr diese auch medial geschürten Vorurteile auch in Leipzig das Weltbild vieler Menschen bestimmen.
„Wie in Abbildung 17 zu sehen, sind vor allem die hohen Zustimmungswerte für das Item in den Gebieten des Stadtrandes auffällig. Im Stadtrand 2 bejahen fast zwei Drittel der Befragten die Aussage. Im Vergleich zum Bereich Innenstadt verdoppeln sich somit die Zustimmungswerte“, kann man da lesen.
„Stadtrand 2“ umfasst die 1999 / 2000 eingemeindeten Ortsteile mit ihren fast noch dörflichen Strukturen. Dort werten 64 Prozent der Befragten Langzeitarbeitslose mehr oder weniger ab. Aber auffällig ist auch der ebenfalls recht hohe Wert von 45 Prozent im „Stadtrand 1“. Hier befinden sich nämlich die großen Plattenbausiedlungen mit Grünau, Lößnig und Paunsdorf, wo oft eben Menschen landen, die wenig verdienen, in Sozialbezug sind und sich die Wohnungen in der Innenstadt nicht leisten können.
Hier prallen dann alle sozialen Konflikte der Stadt aufeinander. Auch wenn das medial gepflegte Bild von den „Langzeitarbeitslosen“ in der Regel nichts mit der tatsächlichen Lebensrealität derer zu tun hat, die den Sprung in eine finanziell gut dotierte Festanstellung nicht schaffen.
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