Die Arbeitsagentur Sachsen spricht von einem „ungewöhnlich starken Anstieg“ der Arbeitslosigkeit im August, die Bundesagentur von einer „robusten Entwicklung trotz globaler Unsicherheiten“. Steffen Leonhardi, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Leipzig, meinte am Mittwoch, 31. August: „Der Krieg in der Ukraine, Lieferengpässe und teilweise drastische Preiserhöhungen belasten die wirtschaftliche Entwicklung. In der Folge haben sich die Erwartungen der Unternehmen momentan eingetrübt.“
Eingetrübt – ein Wort, das meist in den diversen „Konjunkturumfragen“ von Kammern und Wirtschaftsinstituten auftaucht. Als wäre ein Arbeitsmarkt eine Art Landschaft mit mal sonnigem und mal trübem Wetter. Und ansonsten eine reine Naturerscheinung.
„Die Arbeitslosigkeit steigt aktuell zudem, weil arbeitsuchende ukrainische Geflüchtete nun in der Grundsicherung betreut werden. Die Entwicklung der nächsten Monate bleibt mit hohen Unsicherheiten verbunden“, meint Leonhardi noch. Und verstärkt damit das Bild.
Krisen sind Zeiten, in denen alte Gewissheiten scheitern
Das zeigt sich in der Regel in Krisenzeiten und in der Interpretation von Krisen, die innerhalb der reinen Marktbedingungen nicht zu lösen sind. Die sozialen und politischen Dimensionen lassen sich schlichtweg nicht in die beeindruckenden Formeln packen, mit denen Ökonomen glauben, Wirtschaftsentwicklungen berechnen zu können.
Sie konstruieren lauter „reine“ Märkte, auf denen scheinbar eine Handvoll Faktoren genügen, um auch die Entwicklung der nächsten Monate und Jahre vorausberechnen zu können. Aber gerade geraten alle diese reduzierten Rechensysteme selbst in die Krise. Denn sie vernachlässigen sowohl die Umwelt und das Klima, die jetzt immer stärker auf die verschiedensten „Märkte“ Einfluss nehmen, als auch Demografie und falsche Bildung.
Jahrzehntelang predigten die Vertreter der „reinen Ökonomie“, die jungen Berufsanfänger müssten sich dem sich wandelnden „Arbeitsmarkt“ anpassen und in der Schule schon all die Fähigkeiten erlernen, die sie im Job brauchen. Gerade nervt uns das Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, das im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) unter Beteiligung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) die PIAAC-Studie durchführt.
Diese soll „wichtige Anhaltspunkte für eine Verbesserung der Bildungssysteme liefern. Auf Basis der erhobenen Daten können diese an künftige Anforderungen, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt, angepasst werden, damit nachfolgende Generationen erfolgreich im Leben und Beruf bestehen können.“
Wenn selbst Bundesministerien falsch denken, wird das falsche Denken über Arbeit, Ökonomie und Bildung natürlich weiter erhalten bleiben. Wir werden ganz bestimmt nicht für die Teilnahme an dieser Studie werben.
Denn so seltsam das klingen mag: Aber der „Arbeitsmarkt“ ist ein Konstrukt, das heutzutage davon ausgeht, dass Menschen sich den angebotenen Jobs anpassen müssen. Nur: Wer bestimmt, welche Jobs das sind? Welche Konzerne nehmen da Einfluss, drängen in die Schulen und Lehrpläne, um letztlich nicht die Schüler geistig fit zu machen, sondern ihre Produkte zu platzieren?
Keine Rücksicht auf Psyche und Demografie
„Die Wirtschaft“ gibt es nämlich nicht, egal, mit welchen Konzernmanager deutsche Minister sich regelmäßig zum Schwätzchen treffen. „Die Wirtschaft“ ist nicht der Hort des Wissens. Was ja ringsum zu besichtigen ist. Wäre sie es, hätten wir keine multiplen Natur- und Klimakatastrophen und eine Wirtschaft, die nachhaltig wäre, umwelt- und menschengerecht.
Dass sie auch nicht menschengerecht ist, erzählen die regelmäßigen Berichte der Krankenkassen insbesondere zu den zunehmenden psychischen Erkrankungen der Erwerbstätigen.
Und von Wissenschaftlichkeit kann beim Blick auf Ökonomie nun wirklich keine Rede sein. Seit über 15 Jahren wissen es auch die Lobbybosse und Kammerpräsidenten, dass Deutschland in einen veritablen Fachkräftemangel hineinsteuert – durch viel zu niedrige Geburtenraten, den regelrechten Zusammenbruch der Geburtenrate im Osten in den 1990ern, und ein Bildungssystem, dass Kindern nicht die Freude am Lernen beibringt, sondern sie ihnen austreibt.
Was dann dazu führt, dass heute auch in Leipzig fast jede Branche enorme Nachwuchsprobleme hat – von der Logistik bis zu den Pflegeberufen, von den fehlenden Lehrern bis zu den fehlenden Steuerberatern. Dieser Mangel hat in der Corona-Zeit nicht abgenommen, sondern zugenommen.
Was man nur nicht so deutlich sah, weil gerade die prekär Beschäftigten in den ersten Monaten gleich mal zu Tausenden wieder vor die Tür gesetzt wurden, während die Branchen mit hochqualifizierten Berufen weiter kräftig einstellten.
Und das hat auch mit den anziehenden Rohstoff- und Energiepreisen nicht aufgehört, nur dass jetzt viele Unternehmen, die bislang auf billiges Erdgas in der Produktionskette vertrauten, merken, welchen Preis eine 16 Jahre lang ausgebremste Energiewende hat. Auf einmal glaubt ein russischer Potentat, dass er die Staaten Europas erpressen kann, indem er einfach den Gashahn zudreht.
Das alles war absehbar. Aber fast alle haben die Augen verschlossen und so lange gezögert, bis die Umstellung der Energieversorgung auf einmal richtig teuer geworden ist, weil jetzt alle zugleich rauswollen aus Erdgas und (russischer) Kohle. Verantwortlich und nachhaltig war das alles nie. Jetzt wird es teuer.
Und die Arbeitskräfte werden gebraucht und weiterhin gesucht. Davon erzählen die 10.454 offenen Stellen im August.
Die Ukrainer/-innen in der Arbeitsmarktstatistik
Der Anstieg der registrierten Arbeitslosen geht fast komplett auf die Menschen aus der Ukraine zurück, die sich beim Jobcenter gemeldet haben. Und zwar nicht, weil sie „arbeitslos“ sind, sondern weil das die ihnen zugebilligte Grundversorgung ist und die meisten tatsächlich einen Arbeitsplatz suchen.
Derzeit sind im Jobcenter Leipzig 4.641 erwerbsfähige Personen aus der Ukraine gemeldet. Darunter sind 4.039 Personen als arbeitssuchend und davon 1.344 Menschen als arbeitslos registriert. Da derzeit sukzessive die Gespräche zur Vermittlung mit den Geflüchteten stattfinden, ist davon auszugehen, dass sich die Zahl der als arbeitslos registrierten Geflüchteten aus der Gruppe der gemeldeten Arbeitssuchenden in den nächsten Wochen noch weiter erhöht, betont die Arbeitsagentur.
Und deshalb gingen die Zahlen im August erst einmal wieder rauf.
Die Arbeitslosigkeit ist in Leipzig im August um 1.799 auf 22.338 gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahresmonat gab es freilich 1.075 Arbeitslose weniger, meldet die Arbeitsagentur Leipzig. Die Arbeitslosenquote auf Basis aller zivilen Erwerbspersonen betrug im August 6,8 Prozent; vor einem Jahr hatte sie sich auf 7,2 Prozent belaufen.
„Die positiven Arbeitsmarktentwicklungen des zweiten Quartals haben sich im Juli und August verlangsamt. So ist die Zahl der Arbeitslosen saisonal untypisch gestiegen. Der Anstieg resultiert überwiegend aus den Arbeitslosmeldungen geflüchteter Menschen aus der Ukraine im Jobcenter Leipzig. Darüber hinaus meldeten sich im August deutlich mehr Menschen als sonst nach einem Beschäftigungsende arbeitslos“, meint Steffen Leonhardi zur derzeitigen Entwicklung auf dem lokalen Arbeitsmarkt.
Der Leipziger Arbeitsmarkt in Zahlen
Im August meldeten sich 2.303 zuvor erwerbstätige Personen arbeitslos, 224 mehr als vor einem Jahr. Durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit konnten in diesem Monat 1.563 Personen ihre Arbeitslosigkeit beenden, 117 weniger als vor einem Jahr.
Bis auf die Personengruppe der Ausländer waren Rückgänge gegenüber dem Vorjahresmonat zu verzeichnen, am deutlichsten mit minus 10,2 Prozent bei 15- bis unter 25-Jährigen. Bei den Ausländern stieg die Arbeitslosigkeit im Vorjahresvergleich um 909 Personen an.
In den Ausländern stecken natürlich die Ukrainer/-innen. Und hier wird die Entwicklung nun einmal deutlich. Waren im Juli 5.226 Ausländer in Leipzig als arbeitslos registriert, so waren es im August 6.307.
Die Zahl der langzeitarbeitslosen Menschen ist im zurückliegenden Monat in Leipzig hingegen zurückgegangen. Im August 2022 waren 6.566 Menschen langzeitarbeitslos, 55 weniger im Vergleich zu Juli. Im Vergleich zum August 2021 gab es 1.888 Langzeitarbeitslose weniger, ein Rückgang um 22,3 Prozent.
Im Rechtskreis SGB III lag die Arbeitslosigkeit bei 7.187, das sind 558 mehr als im Vormonat und 549 weniger als im Vorjahr. Die anteilige SGB III-Arbeitslosenquote lag bei 2,2 Prozent.
Im Rechtskreis SGB II gab es 15.151 Arbeitslose, das ist ein Plus von 1.241 gegenüber Juli; im Vergleich zum August 2021 waren es 526 Arbeitslose weniger. Die anteilige SGB II-Arbeitslosenquote betrug 4,6 Prozent.
Im August waren 2.843 Ausbildungsstellen bei der Arbeitsagentur Leipzig gemeldet. Das sind 238 Stellen mehr (+9,1 Prozent) als vor einem Jahr um diese Zeit. Gegenwärtig sind davon noch 928 Ausbildungsstellen unbesetzt. Dies sind 297 unbesetzte Stellen bzw. 47,1 Prozent mehr als im Vorjahr. Offene Ausbildungsstellen sind vor allem in dem kaufmännischen Bereich zu finden.
Dem stehen derzeit 2.534 Bewerberinnen und Bewerber für einen Ausbildungsplatz gegenüber. Dies entspricht einem Rückgang von 239 Personen bzw. -8,6 Prozent im Vergleich zum August 2021.
Von dieser Personengruppe suchen aktuell noch 492 eine Ausbildungsstelle. Dies entspricht 112 Personen weniger bzw. -18,5 Prozent im Vergleich zum August 2021
Ãœber 10.000 offene Stellen auch im August
Im Bezirk der Agentur für Arbeit Leipzig waren im August 10.454 Arbeitsstellen gemeldet, gegenüber Juli ist das ein Minus von 150 Stellen bzw. 1,4 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahresmonat gab es 953 Stellen mehr (+10,0 Prozent). Arbeitgeber meldeten im August 1.439 neue Arbeitsstellen, das waren 599 Stellen bzw. 29,4 Prozent weniger als ein Jahr zuvor.
Seit Jahresbeginn sind damit 13.424 Stellen eingegangen, das ist ein Zuwachs gegenüber dem Vorjahreszeitraum von 815 Stellen bzw. 6,5 Prozent.
Zudem wurden im August 1.493 Arbeitsstellen abgemeldet, 173 oder 13,1 Prozent mehr als im Vorjahr. Von Januar bis August gab es insgesamt 12.238 Stellenabgänge, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist das ein Zuwachs von 1.144 oder 10,3 Prozent.
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