Da staunten auch Leipzigs Statistiker/-innen, als sie bei der Auswertung der Bürgerumfrage 2021 feststellten, dass das alte Lieblingsproblem der Leipziger – „Sicherheit und Ordnung“ – von einem neuen Problem locker überholt wurde: dem „Verkehr“. Am Donnerstag, dem 29. September, stellten Bürgermeister Ulrich Hörning, Dr. Christian Schmitt, Leiter des Amtes für Statistik und Wahlen, und Dr. Andrea Schultz, Abteilungsleiterin Stadtforschung, den Bericht zur Bürgerumfrage vor.

Doch auch Leipzigs Spezialistinnen und Spezialisten in Sachen Statistik wollten wissen, warum Verkehr nun auf einmal ganz vorn liegt im Ranking der Sorgen. „Bei der Einschätzung der größten Probleme löst Verkehr das im Vorjahr am stärksten wahrgenommene Problem Kriminalität und Sicherheit ab. Auffällig ist überdies, dass die einkommensbezogenen Problemfelder, welche im ersten Jahr der Corona-Pandemie an Bedeutsamkeit gewannen, nun wieder etwas zurückgehen: Wirtschaft und Beschäftigung -4 Prozentpunkte, Armut und Einkommen -2 Prozentpunkte“, kann man im Bericht lesen.

Vor allem zwei Dauerbrenner beim Thema Verkehr

Aber unter Verkehr kann alles Mögliche stecken. Jeder ist anders mobil, sieht andere Probleme, hat andere Sorgen.

Und das wird dann tatsächlich deutlich, wenn man die ganzen Verkehrsthemen einfach mal auseinander dröselt.

„Beim Thema Verkehr liegt das Item ÖPNV (Verfügbarkeit/Angebot/Preise/Taktung) auf dem ersten Rang. Die Streuung ist dabei zwischen den Altersgruppen sehr gering“, stellt der Bericht dazu fest.

„Auf dem zweiten Rang benennen die Befragten die Parkplatzsituation (Parkplatzsuche/ Falschparker), was sowohl die Parkplatzsuche als auch Probleme mit Falschparkern beinhaltet. Fast die Hälfte der über 64-Jährigen benennen mangelnde Rücksichtnahme/Fehlverhalten als Problem, für die jüngeren Befragten ist dieser Anteil deutlich geringer.“

Die verschiedenen Probleme im Leipziger Verkehr aus Bürgersicht. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021
Die verschiedenen Probleme im Leipziger Verkehr aus Bürgersicht. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021

Und nur um das zu ergänzen: Allein die Nennung von Parkplatzsituation bei 49 Prozent der Befragten und des ÖPNV bei 48 Prozent hätte genügt, um diese beiden Items vor „Sicherheit und Ordnung“ an die Spitze der Problemliste zu bringen.

Verkehrswende im Aussitzmodus

So betrachtet zeigt die Liste auch, dass die jahrelange Fokussierung auf „Sicherheit“ den Blick darauf verstellt hat, wie sich wesentliche Verkehrsprobleme in Leipzig immer mehr verschärft haben. Dass „Parkplätze“ in Leipzig derart als Problem gesehen werden, hat ja nichts damit zu tun, dass Leipzig den Parkraum eingeschränkt hätte. Aber jede Menge damit, dass die Stadtverwaltung bei signifikant steigenden Zahlen registrierter Autos, Klein-Lkw und Wohnwagen seit Jahren kein flächendeckendes Parkplatzregime eingeführt hat, eine wenigstens im kompletten Innenstadtgebiet geltende Parkordnung.

Die Unlust des Ordnungsamtes, die Parkverstöße überall in der Stadt auch zu ahnden, hat ja damit zu tun. Berechtigterweise wurde die Anfrage gestellt, ob es dafür eigentlich Weisungen gibt oder gar eine offiziell geltende Duldung im Ordnungsamt.

Denn wenn sich die zuständigen Ämter nicht bemüßigt fühlen, ein klares und eindeutiges Parkregime in den dicht besiedelten Innenstadtbereichen anzuordnen, ist Wildwuchs die Folge. Der durch den Unwillen zur Kontrolle noch befeuert wird.

Wo bleibt der Ausbau des ÖPNV?

Und gleichzeitig steht für alle, die bei solchen Kümmernissen mit dem Auto ans Umsteigen denken, die Frage: Wohin eigentlich umsteigen, wenn die Straßenbahnen zu selten fahren oder sich dem Wohngebiet gar nicht annähern? Wenn also der ÖPNV alles andere als „bequem erreichbar“ ist.

Da merkt dann auch ein gutwilliger Autofahrer, dass Leipzigs ÖPNV jahrelang auf Sparflamme fahren musste und der überfällige Netzausbau noch lange nicht begonnen hat.

Und ähnliche Probleme gibt es ja beim Radwegeausbau, der ebenfalls zehn Jahre lang auf Sparflamme fuhr.

Ein Ergebnis dabei: ein Generationenkonflikt. „Am deutlichsten wird der Generationenkonflikt beim Thema Fahrrad- und Gehwege: Während 48 Prozent der unter 35-Jährigen die Verfügbarkeit und den Zustand der Radwege beklagen, ist dies für nur 12 Prozent der über 64-Jährigen zutreffend. Bei der Bewertung der Gehwege kehrt sich dies um, dort benennen 39 Prozent der ältesten Befragtengruppe das Problem, bei der jüngsten sind es nur 15 Prozent“, stellt der Bericht dazu nun fest.

Alte Menschen sind keine Ausrede für ein löcheriges Radwegenetz

Wobei der Zustand des Radwegenetzes eher kein Generationenkonflikt ist, denn die 12 Prozent Nennungen bei den 65- bis 90-Jährigen verzerren die Wahrnehmung. Überhaupt werden mit dieser Bürgerumfrage auch erstmals die 85- bis 90-Jährigen befragt, erklärte Andrea Schultz am Donnerstag bei der Vorstellung des Berichts. Aber gerade das ist eine Altersgruppe, die kaum noch aufs Fahrrad steigt und eher mit Rollator auf den rumpeligen Fußwegen der Stadt unterwegs ist.

Interessanter ist da, dass sämtliche anderen Altersgruppen unter 65 Jahre den Zustand des Radwegenetzes zwischen 36 und 48 Prozent als problematisch ansehen. Genau jene Jahrgänge, die eben noch regelmäßig mit Rad unterwegs sind oder sein möchten.

Jene Jahrgänge, die eben einmal noch im Berufsleben stehen und sich durchaus fragen, ob man lieber mit dem Auto im morgendlichen Stau stehen möchte, oder doch lieber mit dem Rad zur Arbeit fährt. Die Staus wurden in der Befragung dann gleich mal mit dem „unzureichenden Straßennetz“ in einen Topf geworfen, weil augenscheinlich auch in den Köpfen der Statistiker die alte Ansicht steckt, dass es nur an Straßenraum fehlt, wenn es immer wieder zu Staus kommt.

Aber es ist dasselbe Problem wie beim Parkraum: zu viele Autos. Und zu wenige oder zu schlechte Ausweichangebote. Womit man wieder bei der seit Jahren ausgesessenen Mobilitätsstrategie der Stadt wäre. Seit 2018 hat Leipzig zwar ein zukunftsfähiges Mobilitätsszenario. Aber die Umsetzung dauert.

Denn anders, als Planer oft denken, entsteht die Nachfrage nach ÖPNV nicht einfach so, sondern steigt genau in dem Moment, in dem mehr und bessere ÖPNV-Angebote verfügbar sind und die Ticketpreise auch noch bezahlbar und vor allem einfach verständlich sind. Was dann eine Lehre aus dem 9-Euro-Ticket wäre, das von dieser Umfrage natürlich noch nicht erfasst wurde.

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Es gibt 4 Kommentare

Hallo Herr Freitag,
Dass meine Behauptung in dem verlinkten Artikel widerlegt wäre, dass die Parkplätze in der Stadt jedes Jahr reduziert werden, konnte ich auch nach erneutem Durchlesen nicht feststellen. Natürlich ist das einer der Gründe für den Parkplatzmangel, und das nervt die Leute.
Sicherlich auch die Zunahme der Zulassungszahlen, der Punkt stimmt schon auch.

Hallo Cisk,
Damit ist gemeint, dass die Leute, die das stört, eine Partei wählen, die sowas wie “mit uns gibt es keine weiteren “Signalwege” neben bestehenden Radwegen”, oder “wir verbreitern keine Gehwege in wenig frequentierten Wohngebieten auf 3 m”, oder “mit uns im Stadtrat wird die Qualität der vorhandenen Geh- und Radwege verbessert statt jedes Gässchen farblich zu markieren” im Programm stehen hat. Oder “wir schaffen einen kommunalen “Klimanotstand” ab, der an den Toren von Leipzig endet”.

Und laut schreien tut “das Klientel” sicher nicht. Schrill und laut tritt eher die Radfraktion auf. Mit Wortschöpfungen (Gehzeug, Blechlawine), Aktionen (Autos die Luft ablassen) oder Öffentlichkeitsarbeit (“Parking” Day, Radwoche, Badenudelparade).

Es ist doch eher die schweigende Mehrheit, sonst gäbe es ja nicht so viele Autos. Ist doch mit dem Gendern auch so. Viele, viele Frauen im Verein oder auf Arbeit sind dagegen und meckern darüber, wollen auch kein “Flinta” Opfer sein (falls sie den Begriff überhaupt kennen), aber den Mund aufmachen tun sie nicht. Und das meine ich mit “nächstes Mal einfach ne andere Partei wählen”. Das Problem ist nur, dass solche Themen eher die AFD aufgreift, was dann leider doch keine Alternative ist. Ich hoffe da bisschen auf die CDU, dass die sich bisschen profiliert und in die Puschen kommt.

@S:
“…dass die Stadt Leipzig die Anzahl der Parkplätze reduziert! Ich kann nur hoffen, dass die Leute nicht nur auf Umfragen ihre Meinung äußern, sondern bei der nächsten Stadtratswahl entsprechend abstimmen”

Was bitte ist damit denn wieder gemeint?

Es werden dort Flächen für den ruhenden Verkehr gestrichen, wo der fließende Verkehr seinen Raum braucht.
Was schlagen Sie denn vor?
Von Hauskante zu Hauskante alles voller Blech stellen, auch wenn damit Mobilität kaum noch möglich ist?
Jedes Stückchen öffentlichen Raumes zur Abstellkammer all der privaten Stehzeuge degradieren?
Und wieder ausschließlich die Interessen einer bestimmten Klientel bedienen, weil die am lautesten herumschreit?
Und so sollen die Leute zukünftig wieder wählen?

Nein danke!

@Sebastian: Die simple Antwort auf Ihre Frage / Behauptungen: https://www.l-iz.de/politik/kassensturz/2022/06/quartalsbericht-1-2022-auch-2021-immer-mehr-kraftfahrzeuge-auf-leipzigs-strassen-457598

Es geht natürlich längst darum, dass die Anzahl der Privat-Pkw sinken muss. Nur stieg sie 2021 erneut an – auf eine neue Höchstmarke.

Läuft also mit den hausgemachten Problemen. Denn die Verkehrsentwicklungsplanung in Zeiten der Klimakrise läuft auf etwas anderes hinaus – auch angesichts der steigenden Zahl an Radler/-innen. Der öffentliche Verkehrsraum wird neu verteilt.

> Dass „Parkplätze“ in Leipzig derart als Problem gesehen werden, hat ja nichts damit zu tun, dass Leipzig den Parkraum eingeschränkt hätte.
Ist das jetzt eine Feststellung aufgrund eigener Statistik / Umfrage von Ihnen, Herr Julke? Oder nur Ihr eigenes Empfinden? Seit Jahren gehen fast alle Umbauten / Erneuerungen einer Straße mit dem Verlust von Parkplätzen einher. So, wie es in dieser Zeitung bejubelt und bekräftigt wird, aus Überzeugung eben. Und genau das merken die Leute doch auch. Natürlich hat dieses Umfrageergebnis etwas damit zu tun, dass die Stadt Leipzig die Anzahl der Parkplätze reduziert! Ich kann nur hoffen, dass die Leute nicht nur auf Umfragen ihre Meinung äußern, sondern bei der nächsten Stadtratswahl entsprechend abstimmen, statt sich nur am Stammtisch oder unter Kollegen zu beschweren.

> Da merkt dann auch ein gutwilliger Autofahrer, dass Leipzigs ÖPNV jahrelang auf Sparflamme fahren musste und der überfällige Netzausbau noch lange nicht begonnen hat.
Volle Zustimmung.
In Dresden ist übrigens in den letzten Jahren eine Straßenbahn-Neubaustrecke von Gorbitz nach Pennrich und von Friedrichstadt zur Messe gebaut worden, sowie ein Zwischenstück am Wasaplatz neu gebaut worden, außerdem findet gerade die Endplanung für den Neubau einer Straßenbahnstrecke von Löbtau zur TU statt (Teilablösung Buslinie 61). Da gibts Bedarf, da ist großer Wille dahinter. Dort wird ein stimmiges Design eines neuen Fahrzeuges zur Abstimmung der Leute ins Verkehrsmuseum gestellt, da erfindet man den “Combibord” (siehe Wikipedia) und forscht mit der TU über Rasengleis-Sorten, die sich für genau diesen Zweck eignen. Da sind einfach Leute am Werk, die für ihre Sache fachlich wirklich brennen.

> Überhaupt werden mit dieser Bürgerumfrage auch erstmals die 85- bis 90-Jährigen befragt, erklärte Andrea Schultz am Donnerstag bei der Vorstellung des Berichts. Aber gerade das ist eine Altersgruppe, die kaum noch aufs Fahrrad steigt und eher mit Rollator auf den rumpeligen Fußwegen der Stadt unterwegs ist.
Dass Jeder nach seinen Bedürfnissen abstimmt, ist doch klar. Aber interessant, wie zu Gunsten des Lieblingsthemas “Radverkehr” hier die Ergebnisse relativiert werden sollen…Sind ja nur die Alten.
Ja, schieben Sie mal einen Rollstuhl über so manchen Bürgersteig. Über den Gehweg der Fabrikstraße kann man ohne steten Blick nach unten teilweise gar nicht mehr Laufen, ohne zu stolpern. Was ich mir auch wünschen würde: Mehr Kontrollen des Ordnungsamtes beim “Wildwuchs” der Gastro auf den Gehwegen. Beispiel Viet Village Beethovenstraße: Die Fahrradbügel sind umhaust von Tischen und damit überhaupt nicht mehr nutzbar. Einen Kinderwagen durch die schmale Restbreite des Gehweges zu schieben kann man eigentlich vergessen. Das Gleiche vorm KilliWilly mit ihren Pflanzenkübeln und auch an anderer Stelle rund um den Südplatz. Die Leute weichen mangels Platz größtenteils auf die Baumscheiben aus, die zertreten sind und sich bei Regen schlicht in Pfützen verwandeln.

> Die Staus wurden in der Befragung dann gleich mal mit dem „unzureichenden Straßennetz“ in einen Topf geworfen,[…]
Gab es denn eine extra Wahloption für “disfunktional geplant / ausgeführte Straßen”? Wenn nein, hatte man als abstimmende Person kaum eine andere Wahl seinen Missmut darüber auszudrücken, als über “unzureichendes Straßennetz”.
Noch mehr Straßen zu bauen fordert vermutlich nicht die Mehrheit der Leute. Aber diese These, dass viel stehender Verkehr besser für Umwelt und die Stadt ist, die nervt einfach nur in ihrem Grundtenor.

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