Studien zum Wohnungsmarkt in Deutschland erscheinen aller Nase lang. Die meisten sind höchst interessegeleitet, um es einmal zurückhaltend zu formulieren. Und selten öffnen sie den Blick über den Tellerrand. Das gilt auch für Leipzig, wo man die Wohnungsmarktentwicklungen gern aus der eigenen Blase heraus interpretiert. Auch von Verwaltungsseite, als wäre die Stadt ein UFO, das mit dem ländlichen Sachsen drumherum nichts zu tun hat.
Zum Monatswechsel hat die Sächsische Aufbaubank (SAB) das neue Wohnungsbaumonitoring 2021/22 veröffentlicht: Danach wurden im Jahr 2020 mit rund 9.500 Wohnungen so viele Fertigstellungen verzeichnet, wie zuletzt vor 20 Jahren. Maßgeblicher Treiber dieser Entwicklung war der Neubau im Geschosswohnungsbau in den beiden größten sächsischen Städten Leipzig und Dresden. Aktuell bremst die Entwicklung der Baupreise und der Finanzierungskosten diesen Trend aus.
Werden also zu viele Wohnungen gebaut in Sachsen? Denn Sachsen verliert doch wieder Bevölkerung. War das nicht so?
Sächsische Bevölkerung altert und schrumpft
„Die Alterung ist die zentrale Ursache für den erwarteten Rückgang der sächsischen Bevölkerung bis 2060 und demnach auch für die sinkende Zahl der Wohneigentumsbildenden. Von den drei Großstädten Sachsens wird bis 2035 nur für Dresden und Leipzig ein Bevölkerungswachstum von 4 % und mehr prognostiziert, während Chemnitz im selben Zeitraum mit einem Rückgang der Einwohnerzahl um 6 % rechnen muss“, schätzt die SAB ein.
„Der Freistaat gewinnt zwar deutlich aus Bildungswanderungen, kann diese jungen Erwerbstätigen danach oft nicht in Sachsen halten.“
Vor allem in den ländlichen Regionen Sachsens hat sich der Trend zu wachsenden Wohnungsleerständen in den letzten Jahren weiter verstärkt.
Studienleiter Ullrich Rosteck aus der Abteilung Produktmanagement der SAB sagt dazu: „Das räumliche Muster der Wohnungsleerstandsverteilung folgt der demografischen Entwicklung im Freistaat, denn überdurchschnittliche Leerstandsquoten sind vor allem in ländlichen Regionen in einiger Entfernung zu den sächsischen Großstädten zu finden. Ganz anders stellt sich die Situation in den großen Ballungsräumen Dresden und Leipzig mit einer hohen Wohnraumnachfrage bedingt durch Wanderungsgewinne und Geburtenüberschüsse dar.“
Hier kündige sich „seit wenigen Jahren eine Trendwende an, denn die relativ hohen Fertigstellungsraten neuer Wohnungen treffen auf preisbedingte Nahwanderungsverluste der Kernstädte ins Umland sowie steigende Sterbezahlen“, so Rosteck.
Was bedeuten Nahwanderungsverluste?
Nahwanderungsverluste? Ist das nicht das Thema, das Leipzigs Verwaltung so besorgt macht, weil ausgerechnet jüngere Familien mit Kindern ins Umland abwandern? Was dann wieder Argument dafür ist, dass Leipzig noch mehr Eigenheimstandorte braucht?
Die Sache ist nicht so einfach.
Denn hinter dieser – neuen – Suburbanisierung stecken sachsenweite Trends. Das analysiert der Wohnungsbaumonitor der Sächsischen Aufbaubank auch.
„Ein 2019 im Auftrag des Sächsischen Staatsministerium des Inneren durch empirica erstelltes Gutachten ‚Wohnungsmärkte in Sachsen‘ schätzt den Neubaubedarf im Mittel der Jahre 2019 bis 2022 auf jährlich rund 7.800 Wohnungen. Davon entfallen 4.300 auf Mehrfamilienhäuser und 3.500 auf Einfamilienhäuser“, heißt es da speziell zum Bedarf an Wohnungsbau.
„Auch diese deutlich aktuellere Prognose der Wohnungsbedarfe, die neben quantitativen auch qualitative Bedarfe berücksichtigt, wird durch die aktuelle Bautätigkeit deutlich übertroffen. Insbesondere beim Mehrfamilienhausneubau in den Kreisfreien Städten droht eine Entkopplung der Bautätigkeit von der aktuellen Nachfrage. Dies trifft insbesondere auf Dresden zu, das im deutschlandweiten Vergleich der Großstädte in den letzten Jahren bei den Baufertigstellungen im Geschosswohnungsneubau pro Einwohner in die Spitze vorgedrungen ist.“
In der Gesamtbetrachtung mit Bevölkerungsentwicklung und -struktur bestehe „zunehmend die Gefahr, dass Wohnungen gebaut werden, für welche die Nachfrage nicht dauerhaft gesichert erscheint.“
Ein Satz, bei dem gerade all jenen das Herz in die Hose rutschen dürfte, die schon jetzt verzweifelt nach einer bezahlbaren Wohnung in Leipzig suchen.
Aber der Wohnungsbaumonitor wird dann deutlich konkreter: „Hierbei handelt es sich infolge guter Lagen und stark gestiegener Baukosten vorrangig um Wohnungen im hochpreisigen Segment. Diese Angebotsergänzung passt nur teilweise zur Nachfrage in den Kernstädten und verstärkt damit die Umzugsneigung an die Stadtränder oder in das großstädtische Umland.“
Und selbst jene, die für Ausgleich sorgen wollen, schaffen es nicht mehr. Denn „auch für gemeinwohlorientierte Akteure wie regionale Wohnungsgenossenschaften oder kommunale Wohnungsgesellschaften wird es immer schwerer, nachfrageorientiert preisgünstigen Mietwohnraum zu schaffen.“
Der Markt allein regelt gar nichts
Eine Warnung, die man in den üblichen Wohnungsmarktstudien eher nicht findet: dass wahrscheinlich zu viele Wohnungen im hochpreisigen Segment gebaut werden, aber viel zu wenige im niedrigpreisigen Segment, wo die Nachfrage hoch geblieben ist. Aber von den 1.200 benötigten geförderten Wohnungen im Jahr entstehen auch in Leipzig mit den verfügbaren Fördergeldern des Landes nur rund 400 geförderte Wohnungen pro Jahr.
Für 800 Haushalte wird der Bedarf also nicht gedeckt. Und da sich das aufsummiert, bekommt man eine Ahnung davon, dass es zwangsläufig zu Ausweichbewegungen kommen muss. Eine davon ist die Abwanderung in die umliegenden Landkreise.
Aber da gibt es noch einen Effekt. Denn das sind eher nicht die Haushalte, die sich dann ein Eigenheim leisten können. Auch das analysiert der Wohnungsbaumonitor der SAB.
„Die sachsenweit höchsten Zuwächse im Ein- und Zweifamilienhausbestand in der vergangenen Dekade verzeichneten die Stadt Leipzig und die sie unmittelbar umgebenden Umlandregionen um Markranstädt, Markkleeberg, Taucha und Schkeuditz. So wurden in Leipzig zwischen 2011 und 2020 durchschnittlich 350 Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern pro Jahr errichtet.
Auch das weitere Umland im Südraum von Leipzig um Borna und Rötha sowie um Delitzsch im Norden Region Leipzig mit höchsten Zuwachsraten im Ein- und Zweifamilienhausbau wies im Zeitraum zwischen 2011 und 2020 im sächsischen Vergleich überdurchschnittlich hohe Neubauraten im Eigenheimbestand auf“, heißt es im Bericht.
Die zunehmende Verflechtung von Arbeits- und Wohnungsmärkten
Aber die Ursachen dafür liegen eben nicht allein in den Großstädten, auch wenn sie direkt mit der zentralen Rolle der beiden Großstädte Leipzig und Dresden als Motoren der Wirtschaftsentwicklung zu tun haben:
„Hier zeigen sich klare Tendenzen einer zunehmenden Verflechtung von Arbeits- und Wohnungsmärkten, die in den letzten zehn Jahren eine deutliche räumliche Ausdehnung erfahren haben. Einerseits wirken hier positive Anziehungseffekte des Attraktivitätswachstums mit dem Umbau der ehemaligen Kohleregion. Andererseits wird diese Entwicklung von steigenden Grundstücks- und Immobilienpreisen in den Kernstädten getrieben.“
Es sind also mehrere Faktoren, die hier wirken und die der Bericht am Beispiel Dresdens noch etwas genauer zeichnet.
„Gleichwohl zeigt sich auch in der Region Dresden der klare Trend einer kontinuierlichen räumlichen Erweiterung der Arbeits- und Pendlerströme und damit einer Ausweitung des Verflechtungsraumes über das nahe Umland hinaus. Verantwortlich hierfür ist neben der preisbedingten Abwanderung junger Familien aus der Kernstadt auch der inzwischen vergleichbar hohe Preis- und Mietdruck in einigen Umlandgemeinden wie Moritzburg oder Radebeul. Diese Gemeinden weisen in zunehmendem Maße eigene Suburbanisierungstendenzen auf, die wiederum in deren weiteres Umland strahlen.“
Wobei diese Konzentration auf die beiden Großstädte eben auch zu immer größeren Widersprüchen innerhalb Sachsens führen wird – hier die beiden attraktiven Zentren, dort eine zunehmend sich entvölkernde ländliche Landschaft, für die es partout keine Rezepte gibt, um die permanente Abwanderung gerade der jungen Bevölkerung in die beiden Wachstumskerne (und ihr Umland) einzudämmen.
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