In Deutschland wird nur zu gern mit unvollständigen Statistiken gearbeitet, gerade wenn es um Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit geht. Dann fallen allzu schnell all jene Beschäftigten aus dem Raster, die die Statistik deutlich nach unten verschieben würden. Das Ergebnis ist ein falsches Bild vom Wohlstand und seiner Verteilung in Deutschland. Denn auch im Corona-Jahr 2020 hatten nicht alle Leipziger ein Lohnplus von 3,7 Prozent.
Auch wenn die Arbeitsagentur Leipzig das (scheinbar) so meldete: „Das Medianentgelt aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten lag in Deutschland im vergangenen Jahr bei 3.516 Euro brutto. Das Medianentgelt in Ostdeutschland klettert erstmals über die Schwelle von 3.000 Euro auf 3.007 Euro, liegt aber immer noch 619 Euro unter den Löhnen und Gehältern in Westdeutschland. Dort werden im Median 3.626 Euro verdient. Im Jahr 2020 betrug die Differenz 650 Euro. Vor fünf Jahren (2017) lag die Lücke noch bei 739 Euro.“
Und auf den ersten Blick ging es auch in Leipzig für die meisten Beschäftigten munter bergauf: „Im Raum Leipzig lag das Medianentgelt mit 3.203 Euro 8,9 Prozent bzw. 313 Euro unter dem Bundeswert. Gegenüber dem Jahr 2020 sind die Löhne und Gehälter in Leipzig um 113 Euro bzw. 3,7 Prozent gestiegen, deutlich mehr als beim Anstieg im Vorjahresvergleich mit damals 40 Euro bzw. 1,3 Prozent.“
Der höchste Anstieg bei den Entgelten in Leipzig, betrachtet nach ausgewählten Merkmalen, stellte die Arbeitsagentur bei den unter 25-Jährigen fest. Dort stieg das Entgelt im Median um 105 Euro, bzw. 4,6 Prozent auf 2.373.
Anstieg in fast allen Branchen
In fast allen Leipziger Wirtschaftszweigen sind die Entgelte laut dem Entgeltatlas der Arbeitsagentur gestiegen, betont die Arbeitsagentur Leipzig. „Das höchste Plus gab es im Bereich Heim- und Sozialwesen (+ 200 Euro bzw. 7,4 Prozent) sowie in der Herstellung von überwiegend häuslich konsumierten Gütern (+ 151 Euro bzw. 5,5 Prozent).“
Lediglich im Verarbeitenden Gewerbe der Metall-, Elektro-, Stahlindustrie (-47 Euro bzw. -1,2 Prozent) sind die Medianentgelte im Jahresvergleich gesunken, wie die Arbeitsagentur feststellt.
„Dies kann jedoch durch die Kurzarbeit beeinflusst sein. Bei der Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld fließen 80 Prozent der ausgefallenen Arbeitsleistung bzw. des ausgefallenen Entgelts als fiktives Entgelt ein. Kurzarbeit wurde zuletzt verstärkt eingesetzt, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu bekämpfen. Auch ausbleibende Sonderzahlungen oder ausgesetzte Erhöhungen bewirken eine Schwächung der Entgelte.“
Die riesige Spanne der Entgelte
Während jeder dritte Leipziger zwischen 2.000 bis 3.000 Euro verdient, gibt es in beide Richtungen Ausreißer, stellt die Arbeitsagentur Leipzig fest. Unter 1 Prozent der Leipziger Arbeitnehmer (AN) verdienen im Median unter 1.000 Euro brutto, während 18 Prozent über 5.000 Euro erhalten.
In Leipzig entscheidet – so die Arbeitsagentur – weiterhin die berufliche Qualifikation sehr stark über die Entgelthöhe. Für Beschäftigte mit akademischem Abschluss liegt der Median bei 4.541 Euro und mit einem anerkannten Berufsabschluss bei 2.942 Euro. Beschäftigte ohne Berufsabschluss erzielten 2.159 Euro.
Die Unterschiede bei den Entgelten zwischen Mann und Frau, der sogenannte Gender-Pay-Gap, ist auch in Leipzig weiter vorhanden, wenn auch nicht so ausgeprägt wie im Bundesvergleich. Bei den Männern in Leipzig lag der Median mit 3.244 Euro um 96 Euro, bzw. 3,0 Prozent über dem Entgelt der Frauen (3.147 Euro). Im Jahr 2020 betrug die Differenz noch 107 Euro, bzw. 3,5 Prozent.
Zu den Topentgelten gehören in Leipzig weiterhin die Mediziner (6.426 Euro), Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen (5.639 Euro) und Lehr- und Forschungstätigkeiten an Hochschulen (4.995 Euro).
Die geringsten Entgelte wurden im Bereich der Körperpflege (1.646 Euro), der Gastronomie (1.851 Euro) und in der Speisenzubereitung (1.994 Euro) erzielt.
Über 108.000 Teilzeitbeschäftigte von der Agentur für Arbeit überhaupt nicht erfasst
Die Krux besteht freilich darin, dass die Statistik gar nicht alle Beschäftigten erfasst, wie auch der Hinweis der Arbeitsagentur betont: „Die BA erhebt die Entgelte immer zum Stichtag 31. Dezember für alle Vollzeitbeschäftigten.“
Und das verzerrt die Statistik gewaltig, wie Stadtrat Dr. Volker Külow, Sprecher für Gesundheit, Soziales und Senior/-innen der Linksfraktion, am Mittwoch erklärte: „Die heute vorgelegte Statistik der Agentur für Arbeit Leipzig hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Natürlich ist es aus unserer Sicht sehr erfreulich, wenn die Entgelte der Vollzeitbeschäftigten in Leipzig trotz Corona gestiegen sind. Mindestens zwei gravierende methodische Defizite führen jedoch dazu, dass die soziale Realität in Leipzig nicht annähernd adäquat abgebildet wird.“
Und dazu gehört für ihn schon die grobe Skalierung der Verdienstgrenzen (jeweils immer Tausenderschritte). Dadurch „wird der große untere Entgeltbereich im Vollzeitbereich in Leipzig völlig verschleiert, der bei einer bundeseinheitlichen Schwelle von 2.284 Euro liegt und laut einer Studie des WSI-Instituts der Hans-Böckler-Stiftung im Jahr 2020 rund 25 Prozent betrug.“
Da WSI-Institut kam 2020 auf 26,2 Prozent der Leipziger Beschäftigten, die unter dieser Schwelle von 2.284 Euro verdienten. In Sachsen liegt der Anteil sogar deutlich über 30 Prozent.
„Darüber hinaus verweist die Agentur lediglich im Kleingedruckten, dass ‚nur Vollzeitbeschäftigte berücksichtigt‘ wurden“, stellt Külow fest. „Während die Bundesagentur für Arbeit für Leipzig aktuell 279.330 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (svB) und damit eine Beschäftigungsquote von 62,3 Prozent ausweist, erfasst die Leipziger Statistik nur 171.225 sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigte. Damit tauchen über 108.000 Teilzeitbeschäftigte in der Leipziger Statistik mit ihren entsprechend geringeren Löhnen und Gehältern überhaupt nicht auf.“
Und damit verschwinden vor allem jene Beschäftigten aus dieser Statistik, die mit ihrem Geld nur knapp über die Runden kommen und oft sogar unter dem Mindestlohn arbeiten.
„Vor dem Hintergrund der explodierenden Energiepreise und der galoppierenden Inflation ist trotz der gestiegenen Entgelte die soziale Situation nicht nur für die ohnehin prekär lebenden 15 Prozent der Leipziger Bevölkerung sehr angespannt“, findet Volker Külow.
„Die von der Agentur für Arbeit Leipzig heute veröffentlichten Zahlen sind aus unserer Sicht daher alles andere als ein Ruhekissen, ganz im Gegenteil: Der von uns im Stadtrat geforderte ‚Schutzschirm gegen Teuerung – 13-Punkte-Garantieplan‘ bleibt unverändert aktuell.“
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