Irgendwie hรคngen Arbeitslosenquoten und Armutsquoten zusammen. Aber nicht direkt. Denn Arbeitslosigkeit trifft nicht alle gleich. Gut Ausgebildete und Hochqualifizierte geraten viel seltener in die Arbeitslosigkeit als Menschen in schlecht bezahlten Berufen. Und noch eins verrรคt die Statistik: Familien mit Kindern sind hรคufiger auf staatliche Beihilfen angewiesen als der Schnitt der Erwerbstรคtigen.

Was Grรผnde hat. Und einer der zentralen Grรผnde ist das in Deutschland รผbliche Denken darรผber, wie Arbeit organisiert werden soll โ€“ nรคmlich mรถglichst flexibel, mobil und immer bereit. Arbeit endet also nicht mit dem offiziellen Dienstschluss.

Und ganze Branchen erwarten sogar, dass ihre Beschรคftigten รผber die Arbeitszeit hinaus รœberstunden machen und in Bereitschaft sind. Was auch ein Grund dafรผr ist, dass Frauen in vielen dieser oft besser bezahlten Jobs nicht zu finden sind. Denn so eine Arbeitswelt ist letztlich unvereinbar mit der Kinderbetreuung.

Die Statistik, die Paul M. Schrรถder vom Bremer Institut fรผr Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) regelmรครŸig zu den Kindern und Jugendliche in Hartz IV erstellt, macht das sichtbar.

Denn natรผrlich tauchen diese jungen Menschen in der Statistik der Jobcenter auf, wenn ihre Eltern entweder arbeitslos sind oder so schlecht verdienen, dass sie ohne Zuschรผsse vom Jobcenter nicht รผber die Runden kommen.

Leichte Besserung in Sachsen

Da fรคllt zwar auf, dass Sachsen und Leipzig schon seit Jahren nicht mehr zur Spitzengruppe gehรถren. Andere Bundeslรคnder und Stรคdte sind bei den SGB-II-Quoten fรผr Kinder und Jugendliche in den letzten Jahren vorbeigezogen. Aber auch in Sachsen und Leipzig liegen die SGB-II-Quoten fรผr Kinder und Jugendliche deutlich รผber den offiziellen Arbeitslosenquoten.

Vergleich der SGB-II-Quoten unter den deutschen GroรŸstรคdten. Grafik: BIAJ
Vergleich der SGB-II-Quoten unter den deutschen GroรŸstรคdten. Grafik: BIAJ

Die Berechnungsbasis ist zwar unterschiedlich. Die Arbeitslosenquote bezieht sich auf alle Erwerbsfรคhigen, die SGB-II-Quoten der Kinder und Jugendlichen wieder beziehen sich auf alle Kinder und Jugendlichen im jeweiligen Erfassungsbereich.

Aber es mรผssten zumindest ganz รคhnliche Zahlen dabei herauskommen. Das tun sie aber nicht.

So stehen einer Arbeitslosenquote von 6,0 Prozent in Leipzig immer noch 16,6 Prozent Kinder und Jugendliche in Bedarfsgemeinschaften gegenรผber.

In Sachsen ist es รคhnlich: Bei einer offiziellen Arbeitslosenquote von 5,5 Prozent errechnet Schrรถder hier eine SGB-II-Quote bei Kindern und Jugendlichen von 10,5 Prozent.

Was schon darauf hindeutet, dass das Problem in GroรŸstรคdten grรถรŸer ist als in den lรคndlichen Regionen.

Ein Problem der GroรŸstรคdte?

Und dabei hat der deutliche Abbau der Arbeitslosigkeit in Sachsen seit 2010 lรคngst dazu gefรผhrt, dass auch mehr Eltern und auch Alleinerziehende in Arbeit gekommen sind. Das hat auch die SGB-II-Quote bei Kindern und Jugendlichen deutlich gesenkt โ€“ von einst รผber 25 Prozent in Leipzig auf 16,6 Prozent zum Ende 2021.

Mit diesen 16,6 Prozent steht Leipzig inzwischen sogar besser da als viele westdeutsche GroรŸstรคdte. Lag Leipzig einmal mit Berlin zusammen ganz weit oben in diesem Ranking, belegt die Stadt jetzt nur noch Rang 11 unter den deutschen GroรŸstรคdten, hat inzwischen sogar Frankfurt (17,6 Prozent), Dรผsseldorf (17,8 Prozent) und Hamburg (18,9 Prozent) hinter sich gelassen.

Die Spitze in diesem GroรŸstadt-Ranking haben schon lange Essen mit 30,6 Prozent und Duisburg mit 30,3 Prozent. Was eben auch davon erzรคhlt, wie sehr gerade in diesen Stรคdten gut bezahlte Arbeitsplรคtze fรผr Eltern fehlen und ganze Familien in Armut abrutschen, weil es fรผr sie keine Chancengleichheit gibt.

Unter den 400 erfassten Kreisen und GroรŸstรคdten kommt Leipzig freilich nur auf Rang 68, landet also wie fast alle GroรŸstรคdte sehr weit hinten in diesem Feld. Was eben auch davon erzรคhlt, dass sich die heutigen sozialen Probleme zunehmend in den GroรŸstรคdten ballen, die einerseits Hoffnungen auf einen (gut bezahlten) Arbeitsplatz nรคhren, andererseits auf die Bedรผrfnisse von Familien wenig Rรผcksicht nehmen.

Junge Familien ziehen aus den lรคndlichen Regionen weg, lassen dort also die Zahl der Arbeitslosen mit Kindern sinken und damit auch die Zahl der Kinder in Bedarfsgemeinschaften.

Wenn Armut sich vererbt

Dafรผr lassen sie diese Zahlen in den GroรŸstรคdten steigen. Sodass Leipzig mit dem โ€“ deutlich negativen โ€“ Rang 68 scheinbar die Probleme auffรคngt, die etwa der Erzgebirgskreis (6,1 Prozent, Rang 304) nicht mehr hat. Oder nicht mehr zu haben scheint.

Denn ihm fehlen jetzt die Kinder, die Jugendlichen und der ausbildbare Nachwuchs, den dafรผr Leipzig bekommt, ohne die Diskriminierung der Familie auf dem Arbeitsmarkt beenden zu kรถnnen.

Es sind also nicht die Probleme der GroรŸstรคdte, sondern die des ganzen Landes, der ganzen Bundesrepublik, die die stille Diskriminierung von Familien nach wie vor nicht sehen will. Denn in der Regel bedeutet das Angewiesensein auf SGB II eben auch, dass sich die Chancen der betroffenen Kinder schon in der Schule radikal verschlechtern und sie selbst in ein Leben in รคrmlichen Verhรคltnissen hineinwachsen.

Denn natรผrlich haben diese Familien keinen Puffer, den Kindern besondere Unterstรผtzung in der Schule oder gar im Studium zu geben. Auch so wird Armut vererbt.

Und nur bedingt fรผhrt der zunehmende Fachkrรคftemangel am Arbeitsmarkt dazu, dass sich mehr Familien mit Kindern aus der Betreuung des Jobcenters verabschieden kรถnnen.

Das steckt z. B. in den gesamtdeutschen Zahlen, die Schrรถder so interpretiert: โ€žIn der Bundesrepublik Deutschland lebten Ende 2021 gemรครŸ der Bevรถlkerungsfortschreibung des Statistischen Bundesamtes 13,863 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter von unter 18 Jahren (Ende 2020: 13,744 Millionen). GemรครŸ Statistik der Bundesagentur fรผr Arbeit lebten im Dezember 2021 insgesamt 1,759 Millionen (unverheiratete) Kinder und Jugendliche in Familien, die auf SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Hartz IV) angewiesen waren, amtlich: โ€šin SGB II-Bedarfsgemeinschaftenโ€˜. (Dezember 2020: 1,849 Millionen).โ€œ

Es gibt also mehr Kinder und Jugendliche โ€“ aber ihre Zahl in Bedarfsgemeinschaften sinkt leicht. Nicht genug, um das Problem wirklich zu beheben.

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