„In vielen Lebensbereichen sind geschlechterbezogene Unterschiede festzustellen, verfügbare Ressourcen sind nicht geschlechtergerecht verteilt. Auf die Frage nach der Zufriedenheit mit dem Leben ganz allgemein, schätzen dennoch Frauen insgesamt ihr Leben mit 72 Prozent (sehr) zufrieden und damit ähnlich positiv ein wie Männer (74 Prozent“, stellt Kerstin Lehmann in ihrem Beitrag „Gleichstellung von Frauen und Männern in Leipzig – Realität oder Ziel?“ im neuen Quartalsbericht.
Aber von Geschlechtergerechtigkeit kann auch in Leipzig keine Rede sein, auch wenn die durchschnittlichen die Einkommensunterschiede deutlich unter denen im Bundesmaßstab liegen. Dort betragen sie rund 650 Euro.
Frauen bei Löhnen benachteiligt
„Um im Schnitt 350 Euro unterscheidet sich das Nettoeinkommen zwischen Frauen und Männern: Leipziger haben ein persönliches monatliches Netto von etwa 1.800 Euro, Leipzigerinnen hingegen von rund 1.450 Euro, ein Einkommensunterschied von 23 Prozent“, stellt das Leipziger Amt für Statistik und Wahlen fest.
„Dies geht aus dem aktuellen statistischen Quartalsbericht für die ersten drei Monate des Jahres 2022 hervor, der sich in einem Beitrag mit der Gleichstellung von Frauen und Männern in Leipzig befasst. Demzufolge arbeiten Frauen überwiegend und häufiger als Männer in der öffentlichen Verwaltung, im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Handel, Verkehr und Gastgewerbe, und damit in eher geringer entlohnten Bereichen. Zudem sind sie häufiger in Teilzeit beziehungsweise in geringfügiger Beschäftigung tätig. Im Zuge der Corona-Pandemie waren die Leipzigerinnen um fünf Prozentpunkte seltener als die Leipziger von Kurzarbeit, Kündigung oder einer Insolvenz betroffen.
Zwar schätzen Frauen wie Männer die allgemeine Lebenszufriedenheit ähnlich positiv ein – aber insbesondere hochbetagte Männer zwischen 80 und 90 Jahren sind mit ihrem Leben zufriedener als gleichaltrige Frauen. Insgesamt lebten zum Jahresende 2021 301.417 Männer und 308.452 Frauen in Leipzig. Auf 100 Männer in Leipzig kommen damit 102 Frauen. Vor zehn Jahren, zum Jahresende 2011, waren es noch 107 Frauen auf 100 Männer.“
Es liest sich so selbstverständlich, dass Frauen „in eher geringer entlohnten Bereichen“ arbeiten. Aber im Grunde steckt genau hier das Problem: Bereiche, in denen Frauen arbeiten, werden systematisch schlechter entlohnt.
Ein Grund dafür, so Kerstin Lehmann: „Während die Anzahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Männer und Frauen nach Arbeitszeit insgesamt um 5.737 differiert, beträgt die Differenz bei den Vollzeitbeschäftigten um 43.481 mehr Männer und bei Teilzeitbeschäftigten um 37.744 mehr Frauen. Darüber hinaus zeigt Tabelle 4, dass deutlich mehr Frauen (18.219) als Männer (15.236) geringfügig entlohnten Beschäftigungen nachgehen.“
Care-Arbeit wird schlechter bezahlt
Was natürlich mit der nach wie vor ungleich verteilten Care-Arbeit zu tun hat: Nach wie vor kümmern sich vor allem Frauen um die Kinder und teilweise auch um die zu pflegenden Angehörigen, sind also darauf angewiesen, Teilzeitverträge einzugehen oder in schlechter bezahlten Jobs dazuzuverdienen, während für Männer nach wie vor das klassische Bild des vollzeitbeschäftigten „Verdieners der Familie“ gilt. Eine Wirtschaft, die den jederzeit verfügbaren flexiblen Arbeitnehmer propagiert, hat wenig Spielraum für familienverträgliche Arbeitszeiten.
Und das bestätigt auch Kerstin Lehmann in ihrem Artikel: „Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist im Laufe der Zeit zu einem immer wichtigeren Thema für Familien geworden. Um die Familie zu finanzieren, wollen oder müssen beide Elternteile einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Gleichermaßen muss die Care- und Erziehungsarbeit geleistet werden.
Auch für Erwerbstätige, die Pflegefälle in der Familie zu betreuen haben, ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine wichtige Voraussetzung zur besseren Bewältigung des Alltags. Die Daten zur Arbeitszeit sozialversicherungspflichtig Beschäftigter und zu geringfügig Beschäftigten zeigen dabei: In der Regel stecken die erwerbstätigen Frauen beruflich zurück. Und dies zeigt sich dann auch in den erworbenen Einkommen.“
Und ziemlich deutlich zeigt die Statistik, wo der Bruch einsetzt: genau dann nämlich, wenn die jungen Familien ihre Kinder bekommen. Kerstin Lehmann: „Auch bei Betrachtung nach Altersgruppen (Tabelle 5) zeigen sich die Ungleichheiten: Während sich die monatlichen Nettoeinkommen bei den jungen Erwachsenen geschlechterspezifisch kaum unterscheiden (14 EUR), werden in der Altersgruppe der 25- bis unter 65-Jährigen, in der Regel die Erwerbsphase, und bei Seniorinnen und Senioren deutlich größere Differenzen zwischen den Geschlechtern sichtbar. Bei den 45- bis unter 65-Jährigen beträgt der aktuelle Einkommensabstand 348 EUR, bei den 80- bis 90-Jährigen 259 EUR.“
Gerade in der Krise werden die Frauen belastet
Und Care-Arbeit betrifft ja nicht nur Familien. Frauen sind ja auch überproportional in Care-Berufen tätig. Dies ergab in der Corona-Zeit einen ganz seltsamen Effekt, wie Kerstin Lehmann feststellt. Denn das steckt in den Ergebnissen einer Befragung zur Kurzarbeit in der Corona-Zeit.
„Insgesamt geben zwei Drittel der erwerbstätigen Leipzigerinnen und Leipzigern an, von diesen arbeitsmarktrelevanten Instrumenten nicht betroffen zu sein. Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass auf drei von zehn der Leipziger Erwerbstätigen eine dieser Maßnahmen zutraf. Männer arbeiteten häufiger als Frauen in Kurzarbeit (+5 Prozentpunkte) bzw. leisteten weniger Arbeitsstunden als gewöhnlich (+9 Prozentpunkte).
Dies betraf insbesondere große Firmen, z.B. in der Leipziger Autoindustrie, aber auch mittlere und kleinere Betriebe des produzierenden Gewerbes, in denen überwiegend Männer tätig sind. Frauen dagegen arbeiteten in ihren regulären Arbeitsverhältnissen häufiger als Männer mehr Stunden, als sie für gewöhnlich leisten (+4 Prozentpunkte)“, stellt Kerstin Lehmann fest.
„Hier wird auf die kritische Situation verschiedener Arbeitsfelder in der Gesundheits- und Pflegebranche verwiesen, in denen, wie oben dargestellt, deutlich mehr Frauen als Männer tätig sind.“
Die Corona-Folgen wurden also praktisch doppelt auf den Frauen abgeladen, die einerseits verstärkt mit der Betreuung der Kinder daheim konfrontiert waren, im Beruf aber – gerade wenn sie im Care-Bereich tätig sind – steigenden Arbeitsanforderungen ausgesetzt wurden. Und das bei schlechterer Bezahlung. Ein gutes Zeugnis für die Gleichberechtigung in Deutschland ist das alles nicht.
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