Was weder der Club of Rome 1972 noch die Konferenz von Rio de Janeiro von 1992 oder die Klimakonferenz von Paris 2015 geschafft haben, das hat ein schwedisches Mädchen geschafft, das sich 2018 einfach weigerte, weiter zur Schule zu gehen und ganz allein einen „Schulstreik fürs Klima“ begann. Das hat auch die deutschen Stadtoberhäupter aus ihrem Schlaf der Seligen gerissen.
Zumindest die meisten inzwischen, wie die jüngste Jahresbefragung des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) zeigt. Im Vergleich zum Vorjahr bewerten deutlich mehr Oberbürgermeister/-innen Klima als wichtigstes aktuelles Handlungsfeld der Kommunen. Das Jahr 2021 hat der Sache noch einmal zusätzlichen Schwung gegeben.
Möglicherweise waren es die dramatischen Bilder aus dem Ahrtal und das Versagen staatlicher Warnsysteme, die auch vielen bislang zögerlichen Bürgermeister/-innen klargemacht haben, dass Klimaschutz eben kein Thema ist, das man vielleicht mal in der Zukunft anpacken kann.
Die Klimaerhitzung mit all ihren dramatischen Folgen auch für die Städte ist in vollem Gang, die Folgen sind längst zu erleben – und zwar direkt vor unserer Nase. Und so überrascht nicht, dass das Klima binnen weniger Monate zum Nr-1-Thema in vielen Kommunen geworden ist.
Erstmals Klimaschutz auf Rang 1
Zu den drängenden Herausforderungen, die die Städte aktuell beschäftigten, gehören der Klimaschutz, die Coronamaßnahmen und die Schaffung bezahlbaren Wohnraums. Dies ist eines der Ergebnisse der diesjährigen Difu-Städteumfrage, die im Januar und Februar 2022 durchgeführt wurde. Die Klimathematik nimmt damit erstmals und mit deutlichem Abstand den Spitzenplatz der aktuell wichtigsten Handlungsfelder ein und wird von fast zwei Drittel der Städte genannt.
Oben auf der Agenda bleiben ebenfalls die Themen „Wohnen“ und „Mobilität“. Vor allem die Stadtspitzen der großen und der süddeutschen Städte nennen diese Themen. Die Umfrage spiegelt noch nicht die durch den Krieg in der Ukraine verursachten Folgen wider, die die Kommunen aktuell und vermutlich auch künftig in erheblichem Ausmaß beschäftigen werden.
Andererseits hängen die Themen „Wohnen“ und „Mobilität“ aufs Engste mit der Klimathematik zusammen. Denn sie sind es vorrangig, die sich ändern müssen, wenn Städte klimaneutral werden wollen und in Zeiten der Klimaerhitzung überhaupt noch lebenswert.
Corona-Bewältigung ist inzwischen Routine
Trotz der Auflagen und Einschränkungen durch die Corona-Pandemie in allen Bereichen des kommunalen Lebens ist im zweiten Jahr der Pandemie offenbar eine Routine im Umgang mit der Pandemie eingekehrt, sodass Bekämpfung und Umgang mit Corona nicht mehr ganz oben auf der Agenda stehen.
Die Folgen von Corona beschäftigen die Städte jedoch nach wie vor, aber sie werden überwiegend als weniger gravierend oder als besser handhabbar eingeschätzt als noch 2021.
Das gilt besonders für den im letzten Jahr noch befürchteten Rückgang von Steuereinnahmen. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass Bund und Länder den Kommunen ihre Gewerbesteuerausfälle für 2020 großzügig kompensiert haben.
Nach wie vor werden allerdings die Herausforderungen durch die Existenzgefährdung von Handel und Gastronomie, der Kulturszene sowie die Verödung der Innenstädte als gravierend angesehen. So setzt sich der – auch coronabedingte – Bedeutungszuwachs des Themas Innenstadtentwicklung fort.
Unterstützt durch Förder- und Investitionsprogramme der Bundesregierung und der Bundesländer wird der notwendige Transformationsprozess der Innenstädte die Kommunen noch einige Jahre begleiten.
Stadtthemen sind Klimathemen
Auch im Hinblick auf die Zukunftsthemen steht Klima mit deutlichem Abstand ganz oben, gefolgt von Mobilität. Dies unterstreicht den großen Stellenwert, den die Stadtspitzen Umweltfragen einräumen.
„Bedenkt man, dass es bei der urbanen Mobilität entscheidend darum geht, Lösungen jenseits des motorisierten, CO₂-emittierenden Individualverkehrs zu entwickeln, wird deutlich, dass mit Mobilität ein zweites Klimathema oben auf der kommunalen Agenda rangiert“, kommentiert Difu-Institutsleiter Prof. Dr. Carsten Kühl die Ergebnisse des aktuellen OB-Barometer 2022.
Zu den weiterhin wichtigen Zukunftsthemen gehören Wohnen, Digitalisierung und Finanzen, als Handlungsfelder, die die Städte bereits seit einigen Jahren kontinuierlich im Blick haben.
Zum ersten Mal taucht das Thema „Fachkräfte halten und Fachkräfte gewinnen“ unter den Top 10 der wichtigsten Zukunftsthemen auf. Vor allem in den ostdeutschen Städten rückt das Thema der Fachkräftegewinnung auf die politische Agenda, gut ein Drittel der dortigen Stadtspitzen nennt das Thema.
„Die Umfrage macht deutlich, dass der Fachkräftemangel nun auch in den kommunalen Verwaltungen und in den kommunalen Unternehmen angekommen ist. Dieses Problem wird sich ohne Zweifel in den nächsten Jahren verschärfen. Die Kommunen sind gefordert zu zeigen, dass sie attraktive Arbeitgeber sind“, so Projektleiterin Dr. Beate Hollbach-Grömig.
Ohne Unterstützung von Bund und Ländern geht es nicht
Die Handlungsfelder, in denen sich die Stadtspitzen bessere Rahmenbedingungen durch Länder, Bund oder EU wünschen, haben sich laut OB-Barometer 2022 nur wenig verändert: Digitalisierung, Wohnen und Finanzen werden am häufigsten genannt.
Im Vergleich zum Vorjahr haben die Themenfelder Wohnen, Mobilität und Klimaschutz an Bedeutung gewonnen. Diese weitgehend unveränderten Forderungen lassen die Interpretation zu, dass die erhofften Verbesserungen aus Sicht der Kommunen offenbar (noch) nicht oder nicht in dem gewünschten Maße eingetreten sind.
„Für die Städte steht der Klimaschutz schon lange weit oben auf der Agenda. Der Ukraine-Krieg und seine Auswirkungen zeigen uns jetzt deutlich: Wir müssen noch schneller wegkommen von fossiler Energie“, kommentiert Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, die Ergebnisse des OB-Barometers 2022 des Difu.
„Das Handlungsfeld ist riesig und fast alle kommunalen Bereiche sind betroffen: von der klimafreundlichen Mobilität, der energetischen Sanierung, grüner Energie und mehr Effizienz bis hin zu mehr Wasser und Grün in der Stadt. Es geht nämlich nicht nur um CO₂-Einsparungen, es geht darum, wie wir Ressourcen schützen und Lebensqualität erhalten können.“
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