Eigentlich können die Leipziger – so im Großen und Ganzen betrachtet – ganz froh sein, dass es für einige von ihnen selbst in den beiden Corona-Jahren deutliche Gehaltssteigerungen gab. Für Männer deutlich mehr als für Frauen. Aber so im Durchschnitt berechnet half das durchaus, die Mietbelastungsquote zu dämpfen, auch wenn die Mieten in Leipzig – trotz Corona – weiter stiegen.

Denn auch das steckt in den Ergebnissen der „Bürgerumfrage 2021“: Dass einige Vermieter ganz und gar keine Rücksicht darauf genommen haben, dass Pandemie war und einige Beschäftigte in Kurzarbeit steckten, arbeitslos wurden oder froh waren, wenn sie sich mit staatlichen Rettungspaketen wenigstens bis zum nächsten Steuerbescheid hangeln konnten.

Wie viele das genau waren, steht dann wahrscheinlich im Gesamtbericht zur Bürgerumfrage, der wohl eher wieder gegen Herbst erscheinen wird. Vorgestellt hat das Amt für Statistik und Wahlen jetzt erst einmal den Vorabbericht mit einigen ausgewählten Daten, die den Statistiker/-innen bemerkenswert erschienen. Über einige haben wir ja schon beichtet.

Steigerung der Mietkosten in Leipzig. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021
Steigerung der Mietkosten in Leipzig. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021

Aber über die scheinbare Parallelität von Einkommensanstieg und Mietenanstieg staunten auch die Mitarbeiter/-innen im Statistikbüro.

Sie fassten das so zusammen: „Die Angebote von Kunst und Kultur sowie von öffentlichen Grünanlagen und Parks stehen der Umfrage zufolge ganz oben auf der Zufriedenheitsskala, ebenso der Ausbau der Naherholungsgebiete. Im zweiten Pandemiejahr sind die Leipzigerinnen und Leipziger jedoch bei etlichen kommunalen Lebensbedingungen weniger zufrieden als noch im Vorjahr. Die größten städtischen Herausforderungen werden in den Bereichen Verkehr, Kriminalität und Sicherheit gesehen. Bei vier von zehn Leipzigern trifft das auch auf den Bereich Wohnen zu. Ein möglicher Grund hierfür: Leipzig ist nach wie vor eine Mieterstadt. Die Wohneigentumsquote verharrt der Umfrage zufolge auf sehr niedrigem Niveau: Nur 14 Prozent der Haushalte leben in selbstgenutztem Wohneigentum.“

Entwicklung der Haushaltsnettoeinkommen nach Einkommensklassen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021
Entwicklung der Haushaltsnettoeinkommen nach Einkommensklassen. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021

Stimmt. Denn zum Erwerb von Wohneigentum braucht man ein Mindesteinkommen, sonst spielen die Banken einfach nicht mit. Weshalb die so gern politisch beschworene Wohneigentumsbildung in Leipzig fast nur bei den gehobenen Einkommen stattfindet, sprich: in der Schicht der Einkommensreichen, die in Leipzig bei ungefähr 3.200 Euro Monatseinkommen beginnt, und zum Teil in der Oberen Mittelschicht, die bei 2.300 Euro beginnt.

Das heißt: Wohneigentum und Eigenheimbau ist fast ausschließlich ein Thema des obersten Viertels. Dort leben 29 Prozent der Haushalte im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung.

Ein paar Leute, die etwas weniger verdienen, schaffen es auch noch, ihren Bankberater zu überzeugen, dass sie sich einen Baukredit leisten können – oder konnten. Denn mit den radikal steigenden Baupreisen wird sich das sehr bald ändern.

Von den Haushalten mit 2.300 bis 3.200 Euro Monatseinkommen leben immerhin auch noch 12 Prozent im Wohneigentum. Wobei man bei denen in der Nähe von 2.300 Euro annehmen kann, dass sie entweder im ererbten Wohnhaus leben oder eher von ihrem Bankberater ein verkniffenes Nein zu hören bekommen haben, falls sie mal gefragt haben.

Von den Leipziger/-innen unter 2.300 Euro Monatseinkommen muss man da gar nicht reden, die wohnen alle zu über 92 Prozent in einer Mietwohnung.

Entwicklung der Mietbelastungsquote in Leipzig. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021
Entwicklung der Mietbelastungsquote in Leipzig. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2021

Das heißt: Mietsteigerungen in Leipzig treffen zuallererst die Menschen aus der unteren Hälfte der Einkommenspyramide. Sie haben weder das Geld, um schnell noch in ein eigenes Häuschen auszuweichen, noch die Mietsteigerungen in einigen Leipziger Ortsteilen mitzumachen. Und die Mieten in Leipzig sind 2021 im Bestand weiter deutlich gestiegen – von 6,20 auf 6,47 Euro kalt pro Quadratmeter im Schnitt.

Was dann genau zu dem Effekt führt, den die Statistiker/-innen mit dem coolen Spruch „Seit 2016 wenig Änderung in der Mietbelastung“ umschreiben. Aber der Blick auf die Mietbelastungsquoten zeigt eben auch, dass schon in dieser Nichtänderung eine tiefe Ungerechtigkeit steckt.

Haushalte mit Niedrigeinkommen zahlen nämlich 45 Prozent dieses eh schon niedrigen Einkommens für die Miete, ein Wert, der 2021 sogar wieder angestiegen ist. Während Gutverdienerhaushalte im Schnitt nur 18 Prozent von ihrem Einkommen für die Miete ausgeben müssen. Sie finden in Leipzig einen – für sie – völlig entspannten Mietwohnungsmarkt vor. Während die Menschen mit Niedrigeinkommen zunehmend nicht mehr wissen, wohin sie noch ausweichen sollen.

Was ja übrigens die „Bürgerumfrage 2020“ sehr schön belegte. (Hier haben wir darüber berichtet.)

Während Leipziger/-innen der unteren Einkommensgruppen zwar zu einem hohen Prozentsatz (2020 waren es 49 Prozent) damit rechnen, in nächster Zeit umziehen zu müssen, weiß ein Großteil von ihnen überhaupt nicht wohin.

Während die Einkommensreichen meist sehr genau wissen, wohin sie umziehen wollen. Ein Wohnort auf dem Land und Wohneigentum spielen dabei eine ganz zentrale Rolle.

„38 Prozent der Leipzigerinnen und Leipziger planen möglicherweise in den kommenden zwei Jahren einen Umzug“, teilt das Amt für Statistik und Wahlen noch mit. „Das Umland als Zielgebiet büßt dabei aktuell an Attraktivität ein.“

Was nur zu erklärlich ist, wenn man in die Ergebnisse der „Bürgerumfrage 2020“ schaut: Das Umland ist für die meisten Haushalte mit Niedrigeinkommen überhaupt keine Option. Sie können es sich in der Regel auch nicht leisten, an einen Ort zu ziehen, wo sie ohne Pkw aufgeschmissen sind. Bei den aktuell steigenden Spritpreisen erst recht nicht.

Nur: Stadtpolitik hat diese Bevölkerungsgruppe praktisch kaum auf dem Schirm. Und man kann davon ausgehen, dass es dann im Endbericht zur „Bürgerumfrage 2021“ auch sehr deutlich zu lesen sein wird, wie ratlos gerade die Einkommensschwachen in Leipzig längst sind.

Denn bei ständig steigenden Mieten nicht mehr zu wissen, wohin man mit seinen paar Kröten umziehen kann, ist mehr als ein Dilemma. Es ist der Verlust von Souveränität im eigenen Leben. Und das – wenn man die Zahlen von 2020 genau anschaut – bis in die Untere Mittelschicht (1.100 bis 2.300 Euro Monatsnettoeinkommen) hinein.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar