So langsam kommt nach der Bundestagswahl im September nun auch das Amt für Statistik wieder ein bisschen ins Laufen. In dieser Woche wurde endlich die Auswertung der Bürgerumfrage von 2020 vorgestellt. Und auch die Wahlauswertung zur Bundestagswahl ist fertig. Die ja auch deshalb spannend ist, weil sie sichtbar macht, wie sehr da gerade ein Gezeitenwechsel in der Wählerschaft stattfindet.

Denn ausgewertet werden in dem 90-seitigen Bericht nicht nur Wahlbeteiligung, die Besetzung der Wahllokale, Briefwahl, Erst- und Zweitstimmen. Wobei ja schon die Briefwahl deutlich aus dem Raster fiel. Gegenüber 2013, als noch 20 Prozent der Wähler/-innen ihre Stimme per Brief abgaben, hat sich deren Anteil 2021 mit 38,8 Prozent fast verdoppelt. Da hat die nur zeitweilig abgeschwächte Corona-Pandemie einen langjährigen Trend noch einmal deutlich beschleunigt.Aber auch in den Stimmanteilen gab es deutliche Veränderungen. Und wäre es nur nach den Zweitstimmen gegangen, hätten zwei Parteien die Direktmandate geholt, die in den Vorjahren gegen CDU und Linke keine Chancen gehabt hätten: SPD im Norden und Grüne im Süden.

Aber sie hatten tatsächlich nur bei den Zweitstimmen die Nase vorn. Die Direktmandate schnappten sich dann doch wieder die Mandatsträger aus der vorhergehenden Wahlperiode: Jens Lehmann (CDU) im Norden und Sören Pellmann (Die Linke) im Süden, womit Pellmann ja bekanntlich der Linken den Wiedereinzug in den Bundestag sicherte.

Natürlich profitierten SPD und Grüne auch von ihrem Erfolg im Bund.

Die Entwicklung der Zweitstimmenergebnisse bei den Bundestagswahlen in Leipzig. Grafik; Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen
Die Entwicklung der Zweitstimmenergebnisse bei den Bundestagswahlen in Leipzig. Grafik; Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen

Aber es steckt deutlich mehr im Leipziger Wahlverhalten, das im Bericht auch mit dem in anderen deutschen Großstädten verglichen wird. Und auch das ergibt Sinn. Denn die Bundespolitik wird immer stärker in den Großstädten entschieden und damit von einer Wählerschaft, die deutlich umweltbewusster und moderner denkt als die einstigen Wählerhochburgen der CDU im ländlichen Raum, in denen in Sachsen inzwischen die AfD wildert.

Eine Partei für veraltete Männerbilder

Die hat zwar nicht den erwarteten Rückschlag erlitten in einer Wahl, in der es nach den schweren Überschwemmungen im Ahrtal eigentlich zentral um Klimapolitik hätte gehen müssen. Aber sie hat ihr Ergebnis zur letzten Bundestagswahl nicht verbessern können. Was eben auch dafür spricht, dass sie Ressentiments anspricht, die in Großstädten wie Leipzig altbacken und vorgestrig wirken.

Wobei ein Aspekt interessant ist: Die stärksten Ergebnisse fuhr die AfD in Leipzig bei den Männern zwischen 45 und 69 Jahre ein. Das kann man auch so interpretieren, dass die Stimme für die AfD auch einem konservativen Männerbild gilt. Nicht ohne Grund macht gerade die AfD die „political correctness“ immer wieder zum Thema und verstärkt dabei bei einer dezidiert männlichen und weißen Wählergruppe das Gefühl, dass ihr etwas weggenommen wird und sie die vertrauten und scheinbar Halt gebenden Rollenbilder nach und nach verliert.

Was durchaus bedenkenswert ist, warum gerade ältere Männer das Gefühl haben, dass sie von den Veränderungen der Gesellschaft zunehmend unter Druck gebracht werden.

Denn der Blick auf das Wahlverhalten nach Alter und Geschlecht zeigt, dass in diesem Wahlkampf auch eine gehörige Portion Generationenkonflikt ausgetragen wurde. Es waren vor allem die älteren Generationen, die CDU und AfD noch einmal wesentliche Stimmen verschafften. Bei den unter 35-Jährigen spielten beide Parteien praktisch keine Rolle.

"Sieger" bei den Zweitstimmen bei der Bundestagswahl 2021 in Leipzig. Grafik: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen
„Sieger“ bei den Zweitstimmen bei der Bundestagswahl 2021 in Leipzig. Grafik: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen

Klima ist das Zukunftsthema

Und die SPD? Ein ganz spezieller Fall. Denn gerade für ältere Wähler/-innen stand bei dieser Bundestagswahl wohl ein Aspekt im Vordergrund, der eher wenig mit der Parteifarbe zu tun hat: Welchem Spitzenkandidaten traute man am ehesten zu, weiter mit „ruhiger Hand“ zu regieren?

Das sitzt gerade bei älteren Wähler/-innen tief. Das hat einst Helmut Kohl hohe Wahlergebnisse beschert und dann 16 Jahre lang Angela Merkel durch die Wahlkämpfe getragen. Diesmal kam der Effekt augenscheinlich Olaf Scholz, dem Spitzenkandidaten der SPD, zugute.

Denn in gewisser Weise stimmt ja der Spruch, dass Menschen im Lauf ihres Lebens immer konservativer werden. Aber das heißt nicht, dass sie dann einfach die Parteien wechseln und ihre Ansichten zur Welt. Das heißt wohl eher, dass sie Kandidat/-innen bevorzugen, von denen sie sich versprechen, dass sie ihnen keine großen Veränderungen mehr zumuten und so regieren, als müsste sich der (überforderte) Wähler nicht mehr kümmern.

Die eigentliche politische Zukunft aber kann man im Wahlverhalten der Jüngeren ablesen.

„Bei der Bundestagswahl setzte sich der Trend fort, dass sich die Parteienlandschaft weiter ausdifferenziert – in Sachsen standen dieses Mal 22 Landeslisten zur Auswahl (2017: 17 Parteien, 2013: 12 Parteien, 2009: 9 Parteien) – und sich die Stimmenanteile der traditionellen Parteien weiter angleichen“, analysieren Leipzigs Statistiker/-innen das Wahlergebnis aus ihrer Sicht.

„So errang die SPD in Leipzig mit nur 20,9 Prozent die meisten Zweitstimmen, weitere fünf Parteien erzielten Stimmenanteile zwischen 10 und 20 Prozent. Auffällig sind erhebliche Verschiebungen in der Gunst der Wählerinnen und Wähler im Vergleich zur letzten Wahl. Während sich GRÜNE und SPD über Zuwächse von 9,7 bzw. 7,9 Prozentpunkten im Vergleich zur 2017er Wahl freuen konnten, mussten CDU (- 8,7), Linke (- 7,3) und AfD (- 5,0) Verluste hinnehmen.“

Junge Wähler/-innen bevorzugen Grün / Rot

Aber während der Zugewinn für die SPD selbst für die Genossen recht überraschend kam, zeigt der Trend für die CDU schon seit 2013 nach unten (parallel mit dem Aufkommen der AfD). Und für die Linke ist ein Abwärtstrend seit 2009 sichtbar. Was so nicht bleiben muss. Denn der Blick auf die Alterspyramide zeigt, dass die Linken zwar bei den älteren Wähler/-innen massiv verloren haben, dafür eine stärkere Wählerbasis bei den Jüngeren gefunden haben.

Bei den unter 35-Jährigen sind Grüne und Linke die wählerstärksten Parteien.

Inwiefern das bei den Linken auch mit einem veränderten Politikangebot und einer tatsächlich umfassenden Veränderung der Wählerschaft zu tun hat, wäre tatsächlich einer Untersuchung wert. Dann mag diese Partei, die über zwei Jahrzehnte als Ost-Partei gesehen wurde, diese Rolle an die Ressentiment-Partei AfD verloren haben, dafür hat sie sich zumindest in Großstädten wie Dresden, Berlin und Leipzig als Großstadtpartei etabliert.

Hätten nur die unter 45-Jährigen wählen dürfen, hätten in Leipzig die Grünen diese Wahl haushoch gewonnen.

Es war zwar eine Bundestagswahl, in der die Parteienanteile in der Regel deutlich differieren zu den Wahlen auf lokaler Ebene. Aber die Wählerpyramide nach Alter und Geschlecht zeigt, wie stark die Interessen der älteren Wähler/-innen über 45 Jahre sich inzwischen von denen der unter 45-Jährigen unterscheiden.

Herrscht bei den einen augenscheinlich der Wunsch nach Bewahren vor, deutet der starke Anteil von Grün bei den Jungen darauf hin, dass sie sich mit einem Konservieren der alten Zustände nicht mehr abfinden werden und die Klimafrage bei dieser Wahl jedenfalls auch bei ihrer Wahlentscheidung in den Mittelpunkt stand.

Und diese Frage wird auch nicht verschwinden, egal, wie rumpelig die Politik der Ampel-Regierung vielleicht werden wird. Denn anders als die Linienrichter von FAZ bis „Spiegel“ jetzt schon in selbstherrlichen Kommentaren behaupten, hat diese Regierung noch ganz und gar nicht gezeigt, dass sie schlechter wäre als die Vorgängerregierungen. Ob sie es schafft, Deutschland auf den Klimaweg zu bringen, wissen wir erst in ein, zwei Jahren, wenn auch die entsprechenden Gesetze vorgelegt und beschlossen sind.

Die jungen Wähler/-innen aber werden ihre Erwartungen an die Bundespolitik nicht einfach begraben, wenn sich wieder die Bremser und Verhinderer durchsetzen. Es ist eher zu erwarten, dass sich der Trend zu Parteien, die mehr Mut zu einer wirksamen Klimapolitik haben, verstärken wird.

Die Ergebnisberichte zu den zurückliegenden Wahlen in Leipzig findet man hier.

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