Es hat ein bisschen gedauert. Die Bundestagswahl kam dazwischen, sodass die Auswertung der Bürgerumfrage 2020 nicht – wie sonst üblich – im Frühherbst vorlag, sondern erst am Mittwoch, 2. Februar, vorgestellt werden konnte. Mit einigen interessanten Erkenntnissen zum ersten Corona-Jahr, das womöglich Prozesse beschleunigt hat, die Leipzig künftig tatsächlich verändern werden.

Die aber auch schon länger im Gang sind. Denn es geht ja nicht nur um kurzfristige Verhaltensänderung in der Pandemie. Die funktionieren sowieso nicht, wenn die Grundbedingungen fehlen – etwa beim Homeoffice. Ein Thema, das erstmals in der Bürgerumfrage auftauchte.Wer aber zu Hause keine leistungsfähige PC-Station hat, kann nicht im Homeoffice arbeiten. Und wer sowieso im Laden, im Betrieb oder auf der Baustelle antanzen muss, der kann seine Maurerkelle oder den Warenscanner nicht mit nach Hause nehmen.

Was übrigens Folgen hat für die Gefährdung, sich bei einer Epidemie anzustecken. Dazu kommen wir noch.

Aber all das hat eben auch mit Mobilität zu tun. Und mit der Frage, ob die Mobilität, wie sie das 20. Jahrhundert erfunden hat, in Pandemiezeiten und in Zukunft auch funktioniert. Die Antwort lautet: wahrscheinlich nicht.

Zuallererst ein Statussymbol

Ganz zu schweigen davon, dass es die Mobilitätsvorstellungen von Leuten sind, die überdurchschnittlich verdienen, andere Wohnvorstellungen haben und sich – auch mit dem Statussymbol Auto – als Elite einer Gesellschaft empfinden, in der hohes Einkommen mit hohem Prestige und hohem Wohlstand gleichgesetzt wird. Egal, auf wessen Kosten dieser Lebensstil geht.

Verkehrsmittelnutzung zum Einkaufen im Lauf der Zeit. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020
Verkehrsmittelnutzung zum Einkaufen im Lauf der Zeit. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020

In der Auswertung der Bürgerumfrage liest man dazu: „Weiterhin ist ein Zusammenhang zwischen Haushaltseinkommen und Ausstattungsgrad mit Privat-Pkw erkennbar. In Haushalten mit Einkommen von 2.300 Euro und mehr sind überdurchschnittlich viele Privat-Pkw (im Mittel 0,9) vorhanden. Rund 80 Prozent aller Haushalte dieser hohen Einkommensklassen besitzen mindestens einen Privat-Pkw. Demgegenüber ist nur in 29 Prozent der Haushalte mit einem Einkommen unter 1.100 Euro ein Privat-Pkw vorhanden.“

Und da gilt das Auto meist nicht als Statussymbol, sondern als unverzichtbares Vehikel, um überhaupt zur Arbeit zu kommen, die sich dann meist irgendwo am Rand der Stadt in schlecht mit dem ÖPNV erschlossenen Gewerbegebieten findet.

40 Prozent der Leipziger Haushalte besitzen übrigens gar kein motorisiertes Gefährt.

Und wenn man von der Notwendigkeit, mit dem Auto zur Arbeit fahren zu müssen, ausgeht, dürften die Meisten sagen, dass sie es eigentlich nicht brauchen. Denn nur 40 Prozent der befragten erwachsenen Leipziger/-innen fahren mit dem Auto zur Arbeit.

Und nach und nach werden es immer weniger, wie der Bericht zur Bürgerumfrage feststellt: „Bei Wegen zur Arbeit sinkt der Wert des motorisierten Individualverkehrs im Vergleich zu 2019 um fünf Punkte auf 40 Prozent, dennoch sind Pkw und Krad noch das favorisierte Verkehrsmittel in diesem Bereich. Gefolgt wird der MIV vom nMIV (35 Prozent) und schließlich dem ÖPNV (19 Prozent).“

Die Freude am umweltgerechten Mobilsein

Natürlich kann man das als Corona-Effekt deuten, denn parallel stieg der Anteil von Wegen mit Fahrrad und zu Fuß deutlich. Die Leipziger/-innen nutzten also das Corona-Jahr, um häufiger auf umweltfreundliche Mobilität umzusteigen – ausgenommen den ÖPNV, der ebenfalls deutlich Prozente einbüßte. Aber die Veränderung ist nicht nur bei Wegen zur Arbeit sichtbar, sondern auch bei Wegen in die Innenstadt und Wegen zum Einkaufen.

Die Leipziger/-innen haben 2020 die Lust am Sich-Bewegen wiedergefunden. Was übrigens auch Folgen hat für den Fettleibigkeitsindex. Der hätte eigentlich 2020 steigen müssen, sank aber. Der Mensch ist eben nicht zum Rumsitzen gemacht.

Es geht dabei nicht nur um das Fahrrad. Denn viele Wege in der Stadt lassen sich problemlos zu Fuß zurücklegen. Was die Bürgerumfragen nicht beleuchten, ist nämlich auch der Zeitfaktor: Sind alle so im Stress, dass sie glauben, nur mit dem Auto alles schaffen zu können, was in den Familien-Alltag gehört? Oder machen die Menschen – wie im Corona-Jahr – auch mal die Erfahrung, dass all die Eile Nonsens ist und man auch die Wege in der Stadt zu Fuß genießen kann?

Fürs Auto geht es langfristig bergab

Der Blick auf den Langzeitverlauf der Verkehrsmittelnutzung zeigt, dass die Entwicklung seit Jahren schon so verläuft und Corona dem nur noch einen zusätzlichen Kick verpasst hat: Der Anteil der Autofahrten ist seit zehn Jahren rückläufig, der von Rad- und Fußverkehr steigt. Und das, obwohl die Radverkehrsanlagen aus der Kritik nicht herauskommen.

Technisch sind die meisten Leipziger/-innen bereit, bei ihren täglichen Wegen auf das Automobil zu verzichten. Bei Einkäufen hat es seine Nummer-1-Position eingebüßt. Hatte es hier 2013 noch 55 Prozent Anteil, sank der 2020 auf 40 Prozent, während Rad- und Fußverkehr in dem Zeitraum von 32 auf 49 Prozent zulegten. Was ja nur logisch ist.

Innerstädtisch gibt es keine Ortsteile, in denen der nächste Supermarkt nicht fußläufig erreichbar wäre. Und wenn die Stadt ihr Magistralen-Management ernster nimmt, können auch die alten Geschäftsstraßen wieder eine stärkere Rolle im Leben der Einwohner spielen.

„Wege zum Einkauf erledigt die Hälfte (49 Prozent) der Leipzigerinnen und Leipziger zu Fuß oder nutzt das Fahrrad. So werden erstmals seit Beginn der Erhebung im Rahmen der Kommunalen Bürgerumfrage im Jahr 1993 Pkw und Krad vom ersten Platz der beliebtesten Verkehrsmittel zur Erledigung von Einkäufen verdrängt – der MIV erreicht nur noch einen Wert von 41 Prozent. Schlusslicht bildet der ÖPNV. Ihn nutzen nur 9 Prozent der Befragten für Wege zum Einkauf“, heißt es im Bericht. Aber für den täglichen Einkauf muss man nicht unbedingt in Bahn und Bus steigen.

Rettet die City!

Das tut man eher für die Anschaffungen, die sich meist nur in Geschäften der City machen lassen, wenn man nicht zum Faulpelz geworden ist und sich alles von einem amerikanischen Liefer-Giganten ins Haus liefern lässt.

Aber wie man sieht: Für die City spielte das Auto (bei allem Gequengel um die dortigen Parkhäuser) schon seit Jahren eine immer geringere Rolle. Hier dominierte bis 2019 der ÖPNV, der in diesem Fall wohl tatsächlich nur coronabedingt den Platz 1 an Radfahrer und Fußgänger abgeben musste.

Aber eines zeigen die Grafiken deutlich: Der Trend geht seit Jahren weg vom motorisierten Untersatz, hin zu umweltfreundlicheren Verkehrsarten, die auch der Stadt guttun. Was ja im Frühjahr 2020, im ersten Lockdown, alle Leipziger/-innen erleben konnten als echte Qualität: Die Stadt wurde richtig leise, die Straßen waren fast leer und die Luftqualität verbesserte sich sprunghaft. Manchmal muss man es einfach erleben, um auch im Kopf zu verstehen, dass eine andere Stadt ohne die lärmenden Automengen möglich ist.

Ob der Trend 2021 anhielt, wisse man noch nicht genau, sagte Dr. Andrea Schultz, Abteilungsleiterin Stadtforschung im Amt für Statistik und Wahlen, am Mittwoch. Man stecke noch mitten in der Aufbereitung der Daten. Aber wenn die vorliegen, wird man sagen können, ob Corona tatsächlich einen Schub gegeben hat hin zu einer umwelt-, klima- und menschenfreundlicheren Stadt.

Wobei schon in der Befragung 2020 klar war: Ohne ein gutes Radnetz geht das nicht.

Dazu mehr im nächsten Beitrag.

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