Eigentlich ist es das zentrale Weihnachtsthema: Wie geht es eigentlich den Mühseligen und Beladenen? Den Armen und Einsamen? So gesehen war der Zeitpunkt schon der richtige, den das Dezernat Soziales, Gesundheit und Vielfalt und das Dezernat Jugend, Schule und Demokratie nutzten, um den Leipziger Sozialreport 2021 zu veröffentlichen.

Mehr Sterbefälle als Geburten, leicht steigende Anzahl der Empfängerinnen und Empfänger sozialer Mindestsicherung, gestiegene Arbeitslosigkeit: Im Jahr 2020 haben sich aufgrund der COVID-19-Pandemie einige Aufwärtstrends des letzten Jahrzehnts nicht fortgesetzt. Trotzdem gibt es viele positive Entwicklungen. Das zeigt der Sozialreport 2021, der jetzt vorliegt. Er steht ab sofort unter www.leipzig.de/sozialreport zum Download bereit.

Neues Kapitel zur COVID-19-Pandemie

„Im Sozialreport werden Daten aus vielen verschiedenen Bereichen zusammengeführt, um einen Überblick über wesentliche Entwicklungen in der Stadt Leipzig zu erhalten. Dieses Jahr legen wir den 15. Sozialreport vor.

Das neue Kapitel zur COVID-19-Pandemie zeigt Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und gibt einen Überblick, was zur Abmilderung der Folgen unternommen wurde“, sagt Bürgermeister Thomas Fabian. „Unsere Sozialdaten sind eine wichtige Grundlage für eine Fortschreibung des Fachplans Wohnungsnotfallhilfe und die Erarbeitung des Fachplans Seniorenarbeit.“

Bürgermeisterin Vicki Felthaus betont: „Leipzig entwickelt sich sehr erfreulich in vielen Bereichen, dies führt für viele Menschen zu positiven Effekten – jedoch erleben nicht alle Menschen gleichermaßen finanzielle und soziale Besserungen. Auch mithilfe der Erkenntnisse der Sozialberichterstattung 2021 entwickeln wir Maßnahmen, um z. B. jungen Menschen auf ihrem Bildungsweg die bestmöglichen Betreuungs- und Lernbedingungen zu bieten. Gute Bildungsmöglichkeiten sind ein wichtiger Schlüssel für persönliche Entwicklung. Gerade in Gebieten, die durch eine Häufung von sozialen Problemlagen belastend für junge Menschen wirken können, bauen wir gezielt Angebote auf und versuchen, Familien mit präventiven Angeboten zu erreichen.“

Noch keine Armutsgefährdungsquote für 2020?

Aber wie sieht es mit dem Kern des Reports aus? Den Zahlen zu Einkommen und Armut?

Für das Corona-Jahr 2020 jedenfalls stellt auch die Verwaltung fest: Die Anzahl der Personen, die Leistungen der sozialen Mindestsicherung erhalten, steigen.

Zwar lag das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen in Leipzig im Jahr 2020 bei 1.974 Euro und war damit 83 Euro höher als im Vorjahr. Und auch die Einkommensunterschiede zwischen den einkommensschwächsten und einkommensstärksten 20 Prozent der Bevölkerung haben sich im Jahr 2020 absolut auf 1.295 Euro leicht verringert (2019: 1.307 Euro).

Doch die Zahl der Regelleistungsempfänger nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch („Hartz IV“) ist im Jahr 2020 seit vielen Jahren wieder leicht angestiegen. Insgesamt haben 54.996 Personen diese Leistungen erhalten (2019: 54.684). Die Anzahl der Kinder unter 15 Jahren, die Sozialgeld erhielten, ist im dritten Jahr in Folge zurückgegangen. Im Jahr 2020 waren 14.006 Kinder auf diese Leistung angewiesen. Das entspricht 16,7 Prozent aller Leipziger Kinder unter 15 Jahren.

Aber im Bericht fällt dann auf, dass für 2020 keine Armutsgefährdungsquote ausgewiesen wird. Und das, obwohl der Paritätische Gesamtverband gerade einen Tag vor Veröffentlichung des Leipziger Sozialreports meldete: „Laut aktuellem Paritätischen Armutsbericht hat die Armutsquote in Deutschland mit 16,1 Prozent (rechnerisch 13,4 Millionen Menschen) im Pandemie-Jahr 2020 einen neuen Höchststand erreicht.“

Das Corona-Jahr 2020 hat die Armutsgefährdungsquote in der ganzen Bundesrepublik steigen lassen. Auch wenn der Anstieg in Sachsen nur gering war. Der Anstieg wohlgemerkt, nicht die Quote. Die liegt weiterhin auf einem hohen Niveau.

Geld vom Staat verhinderte Schlimmeres

„Wenngleich die auf Grundlage des Mikrozensus gemessene Armutsquote mit 16,1 Prozent einen neuen Höchststand erreicht hat, ist das große Beben in der Armutsstatistik infolge der Pandemie bisher ausgeblieben. Für rund vier Fünftel der Bevölkerung war das Krisenjahr mit überhaupt keinen finanziellen Einbußen verbunden“, stellte der Paritätische Gesamtverband in seinem Bericht fest.

„Denn politische Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld und diverse Unterstützungsmaßnahmen von Bund und Ländern für Selbständige und die Wirtschaft insgesamt verhinderten noch höhere Armutswerte. Sie sorgten dafür, dass das Ausmaß der Armut nicht proportional zum Wirtschaftseinbruch und dem Beschäftigungsabbau zunahm.“

Vergleich der Entwicklung des BIP pro Einwohnner mit der Armutsquote bundesweit. Grafik: Paritätischer Gesamtverband
Vergleich der Entwicklung des BIP pro Einwohnner mit der Armutsquote bundesweit. Grafik: Paritätischer Gesamtverband

In der Pandemie sind nicht alle gleich

Aber wieder einmal kamen die Hilfen vor allem jenen zugute, die finanziell sowieso schon einen besseren Puffer hatten: „Allerdings unternahm die Bundesregierung so gut wie nichts, um im Pandemiejahr 2020 die Not derer zu lindern, die bereits in Armut und insbesondere im Bezug von Hartz IV oder Altersgrundsicherung waren. In der zweiten Jahreshälfte 2020 wurde ein Kinderbonus von 300 Euro pro Kind gezahlt, der auch Familien in Hartz-IV-Haushalten zugutekam.”

Und weiter: „Ansonsten dauerte es trotz des pandemiebedingten Wegfalls vieler Hilfsangebote wie der Tafeln, des kostenlosen Schulessens oder der Sozialkaufhäuser und trotz der zusätzlichen Kosten für Desinfektionsmittel oder Masken, fast ein ganzes Jahr, bis sich die Große Koalition dazu durchringen konnte, auch an alle erwachsenen Bezieher/-innen von Hartz IV und von Altersgrundsicherung wenigstens eine einmalige kleine Zahlung von 150 Euro zu leisten. Ausgezahlt wurde das Geld dann im Mai 2021. Auch brauchte es erst einschlägige Gerichtsurteile, bevor das Bundesarbeitsministerium in 2021 der Arbeitsverwaltung endlich Anweisung gab, notwendige Ausgaben zur digitalen Teilhabe am Unterricht als Mehrbedarf anzuerkennen. Die Pandemie traf und trifft Arm und Reich sehr unterschiedlich hart.“

Die ganz unten sieht man nicht

Und an den Bevölkerungsgruppen, die besonders unter Armut leiden, hat sich auch nichts geändert: „Davon abgesehen bleibt das soziodemografische Risikoprofil das der Vorjahre: Nach wie vor zeigen Haushalte mit drei und mehr Kindern (30,9 Prozent) sowie Alleinerziehende (40,5 Prozent) die höchste Armutsbetroffenheit aller Haushaltstypen. Erwerbslose (52 Prozent) und Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen (30,9 Prozent) sind ebenfalls sehr stark überproportional betroffen. Das Gleiche gilt für Menschen mit Migrationshintergrund (27,9 Prozent) und ohne deutsche Staatsangehörigkeit (35,8 Prozent).“

Und in Sachsen stieg die Armutsgefährdungsquote zwar nur von 17,2 auf 17,9 Prozent. Mit diesem Wert liegt Sachsen durchaus auf der Höhe von Bundesländern wie Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wo die Quoten mit dem Wachstum des prekären Beschäftigungssektors und der Altersarmut in den vergangenen Jahren immerfort gewachsen sind.

Aber die Zahl zeigt eben auch, dass es in Sachsen nicht mal in Zeiten eines akuten Fachkräftemangels gelingt, die Armutsquote weiter zu drücken. Sie steigt sogar schon seit 2019 wieder.

Und natürlich liegen im Bundesvergleich die Stadtstaaten ganz vorn – Bremen und Berlin vorneweg. Denn die neuen und prekären Jobs findet man eben auch zuerst in den Großstädten.

Wachsende Altersarmut auch in Leipzig

Und das holt die Betroffenen eben nicht nur im Arbeitsleben ein, sondern auch im Alter. All die diversen Rentenreformen seit der Schröder-Regierung haben vor allem dafür gesorgt, dass immer mehr Menschen in die Altersarmut abrutschen – ein Leben lang schlecht bezahlt und dafür auch noch bestraft.

Auch das ist in Leipzig sichtbar, wenn der Sozialreport einen weiteren Anstieg der Empfänger/-innen von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung von 4.680 auf 5.220 meldet. Die Zahl der Wohnungsnotfälle ist 2020 ebenfalls weiter gestiegen, von 3.398 auf 3.611.

Zur Armutsgefährdung selbst finden sich im Sozialreport trotzdem nur die Daten bis 2019. Aber auch das machte schon sichtbar, wie diese Quoten seit 2018 wieder ansteigen.

„Die Einkommen in Leipzig sind sowohl niedriger als im Durchschnitt des Freistaates Sachsen als auch im gesamtdeutschen Durchschnitt. Dies führt dazu, dass die Armutsgefährdungsquoten, bezogen auf den sächsischen bzw. den gesamtdeutschen Median der Äquivalenzeinkommen höher ausfallen.

Legt man den sächsischen Landesmedian zugrunde, ergibt sich eine Armutsgefährdungsquote von 17,7 %; gemessen am Bundesmedian liegt diese Quote sogar bei 22,7 %“, heißt es im Sozialreport. Aber damit liegt dieser Wert trotzdem doppelt so hoch wie der Anteil von Empfänger/-innen von Leistungen der sozialen Mindestsicherung, der lag nämlich 2020 bei 10,6 % (Vorjahr: 10,5 %).

Selbstständige und Ungelernte besonders betroffen

Man darf die Armut also nicht nur im SGB-Bereich suchen, sondern wird sie auch in vielen prekären Arbeitsverhältnissen finden. Was auch die Einkommensstatistik für 2020 sichtbar macht. Denn sowohl die Selbstständigen ohne Mitarbeiter lagen mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 1.376 weiterhin deutlich unter dem gestiegenen Median-Wert der Stadt von 1.483 Euro, als auch die Ungelernten und Berufsfremden mit 1.186 Euro.

Wobei die Statistik eben nicht verrät, ob diese Einkommen tatsächlich von einem Zuwachs um 32 bzw. 134 Euro gegenüber dem Vorjahr erzählen – oder eher davon, dass viele Selbstständige und Ungelernte unterm Druck der Pandemie nicht doch eher eine andere (feste) Arbeit aufgenommen haben, weil sich die eigene Existenz mit der alten Beschäftigung nicht mehr sichern ließ.

Und der Blick auf die Statistik des Paritätischen Gesamtverbandes zeigt dann eben auch, dass ein ganzer Teil der Gesellschaft inzwischen vom Anstieg der Wirtschaftsleistung abgekoppelt ist und die Armutsgefährdungsquote bundesweit seit 2006 (dem Jahr nach Einführung von „Hartz IV“) immer weiter auf „ostdeutsches“ Niveau angestiegen ist.

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