Am Dienstag, 2. November, hat die Stadt Leipzig den Suchtbericht 2021 mit den Daten aus 2020 veröffentlicht. Sein Problem bleibt dasselbe wie bei den Suchtberichten vergangener Jahre: Es ist kein Suchtbericht. Und er rückt dem Problem einer von Süchten dominierten Gesellschaft auch nicht auf den Grund. Im Grunde beschreibt er nur einige Folgen legaler und illegaler Drogen, die Arbeit der Beratungsstellen und die repressive Sicht der Polizei.
Das Dezernat Soziales, Gesundheit und Vielfalt interpretiert den Bericht so: „Er weist darauf hin, dass der Konsum von illegalen Drogen weiterhin hoch ist. Die Gesamtauswertung zeigt, dass in den Suchtberatungsstellen 1.947 Personen wegen des Gebrauchs illegaler Drogen und 1.612 Personen mit einer Alkoholproblematik betreut wurden. Im Vergleich zum Jahr 2019 sind beide Fallzahlen etwas gesunken (illegale Drogen: 2.053 Fälle; Alkohol: 1.833 Fälle). Der Anteil betreuter Fälle im Zusammenhang mit illegaler Drogenproblematik macht mit 44,7 Prozent fast die Hälfte aller Fälle aus (Alkohol: 37 Prozent).“
Zahlen zur Suchtprävention in Leipzig
Insgesamt wurden im Jahr 2020 in den acht Suchtberatungsstellen 4.356 Fälle betreut, wovon 3.844 Fälle Personen mit eigener Suchtproblematik betreffen und 512 Fälle auf die Angehörigen von Suchterkrankten zurückgehen. Im Vergleich zum Jahr 2019 hat sich die Fallgesamtzahl um 364 Fälle verringert (2019: 4.720).
Unter den Fällen mit illegalem Drogengebrauch befinden sich zum größten Teil Abhängige von Stimulanzien (808 Fälle), zu denen u. a. Crystal Meth gehört. Die zweitgrößte Gruppe bilden Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten (546 Fälle). Die Zahl der Opioidabhängigen (darunter Heroin) liegt bei 448 Fällen und hat damit im Vergleich zu 2019 um fast 100 Fälle abgenommen.
Der Bericht basiert nicht nur auf den Daten von Suchtberatungsstellen, sondern ebenso auf denen von Kliniken, auf Statistiken der Straßensozialarbeit, auf Informationen über Projekte der Suchtprävention, auf Maßnahmen des Ordnungsamtes sowie auf kriminalstatistischen Daten und Aktivitäten der Polizeidirektion.
„Auch daran zeigt sich, dass die an den Leitlinien der Leipziger Sucht- und Drogenpolitik ausgerichtete interdisziplinäre Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure gewährleistet und durch eine gute Kooperation und Vernetzung der verschiedenen Behörden und Institutionen gekennzeichnet ist“, erklärt das Dezernat Soziales, Gesundheit und Vielfalt.
Unterstützungsangebote auch in Corona-Zeiten
Obgleich es im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wie in vielen Bereichen Einschränkungen durch die Maßnahmen gab, blieben die Beratungsangebote der Suchthilfe erreichbar. Auch die Streetworker des Zentrums für Drogenhilfe waren durchgehend unterwegs, um Menschen zu erreichen.
„Die Fachkräfte der Suchtberatung haben ihre Arbeit für die Betroffenen auch unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie nahtlos fortgesetzt. Dafür mein herzlicher Dank an alle, die im Hilfesystem tätig sind“, unterstreicht Bürgermeister Thomas Fabian.
Aufsuchende Angebote für alkohol- und drogenabhängige Menschen wurden mit dem Hilfebus weiter ausgebaut. Im Jahr 2020 haben die Streetwork-Teams für Erwachsene insgesamt 14.723 Kontakte gezählt, von denen der Großteil mit wohnungs- und obdachlosen Personen (8.171 Kontakte) stattfand.
Das Dezernat Soziales, Gesundheit und Vielfalt schätzt ein: „Die Zahlen zeigen, dass differenzierte Angebote in der Suchthilfe notwendig sind. Suchtprävention spielt dabei eine große Rolle. Die von der Stadt Leipzig geförderten Jugendschutzprojekte haben knapp 4.000 Kinder und Jugendliche erreicht. Mit dem Alkoholpräventionsprojekt ‚Wandelhalle Sucht‘ der Suchtselbsthilfe Regenbogen wurden in 54 Veranstaltungen weitere knapp 640 Schülerinnen und Schüler angesprochen. Die Polizeidirektion organisierte zusätzlich 45 Drogenpräventionsveranstaltungen für 812 Schülerinnen und Schüler, 44 Pädagoginnen und Pädagogen sowie 366 Eltern.“
Das Kapitel Repression
Während das Sozialdezernat auf die Zahlen aus der Präventionsarbeit besonders hinweist, ist sie, wie man sieht, sehr zurückhaltend bei der Interpretation der polizeilichen Angaben, denen im „Suchtbericht“ ein ganzes Kapitel gewidmet ist. Die Polizei hat zwangsläufig ihren Fokus auf „Tätern“, blendet aber die gesellschaftlichen Ursachen von Sucht aus. Obwohl es ohne die gesellschaftliche Nachfrage nach Suchtmitteln auch kein Angebot gäbe.
Diesem „Angebot“ gerade bei illegalen Drogen kommt die Polizei nur durch Kontrollen auf die Spur.
„In den genannten Schwerpunktbereichen werden vorwiegend durch männliche Personen nordafrikanischer Herkunft Cannabisprodukte in Form von Marihuana und Haschisch und zunehmend Ecstasy angeboten. Insgesamt 27,4 % (2018: 26,1 %) der insgesamt 2.973 (2018: 2.882) ermittelten Tatverdächtigen sind Nichtdeutsche, bezogen auf die Handelsdelikte beträgt der Anteil 43,9 % (2018: 39,1 %)“, zählt die Polizei hier etwas auf.
Was erzählen die Deliktzahlen wirklich?
Aber Drogenkriminalität ist vor allem eine Deliktform, die durch die (verstärkte) Kontrolltätigkeit der Polizei sichtbar wird. Die Statistik erzählt also in keiner Weise von Zu- oder Abnahme von Drogenkriminalität, sondern von der Intensität von Polizeikontrollen.
Deswegen haben die nächsten Sätze nicht wirklich wissenschaftlichen Gehalt, auch wenn sie so klingen: „Die Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) ergab für das Jahr 2019 insgesamt 3.785 erfasste Rauschgiftdelikte. Im Vergleich zum Vorjahr, in welchem 3.684 Rauschgiftdelikte erfasst wurden, ist hier ein Anstieg von + 2,7 % zu verzeichnen, abweichend vom Trend der Gesamtstraftatenentwicklung.“
Genau das verraten die Zahlen nicht. Die Polizei hat nur deutlich mehr Rauschgiftdelikte ans Licht gebracht. Ob es in der Suchtkriminalität einen Anstieg gab, weiß kein Mensch. Dazu fehlt jede unabhängige Untersuchung.
Und auch die nächste Zahl ist eher Fiktion: „Der Anteil der Rauschgiftdelikte an der Gesamtkriminalität lag 2019 bei 3,8 % (2018: 3,7 %). Die Gesamtkriminalität fiel um – 0,1 % gegenüber 2018 auf 98.688 Straftaten. Bei den Fällen der Rauschgiftdelikte verläuft die Entwicklung jedoch gegenläufig.“
Tut sie wahrscheinlich eher nicht. Hier überinterpretiert die Polizei ihre Zahlen.
Was auch sichtbar wird, wenn man die Zahlen für die Stadt Leipzig herauszieht. Denn die oben genannten Zahlen sind die bekannt gewordenen Rauschgiftdelikte für die gesamte Polizeidirektion. In der Stadt Leipzig selbst ging die Zahl der ermittelten Delikte im selben Zeitraum von 2.708 auf 2.473 zurück.
Angestiegen ist die Zahl lediglich in den beiden angrenzenden Landkreisen. Das heißt: In Wirklichkeit erzählen die Zahlen vom verstärkten Verfolgungsdruck in Leipzig insbesondere im Umfeld von Eisenbahnstraße und Hauptbahnhof, aber ganz bestimmt nicht von einem irgendwie greifbaren Ansteigen der Rauschgiftkriminalität.
Repression mindert die Zahlen nicht
Repression und Prävention sind ganz und gar nicht so gut verkoppelt, wie es die Meldung des Sozialdezernats suggeriert. Oder so formuliert: Die Repressionspolitik der Polizei mindert das Problem in keiner Weise.
Diesen Satz hat man so oder ähnlich schon in jedem vorhergehenden „Suchtbericht“ gelesen: „In den oben genannten Schwerpunktbereichen innerhalb der Parkanlagen gibt es Tendenzen zu einer Etablierung einer offenen Anbieterszene, denn der Bahnhof sowie Bahnhofsvorplatz bieten ausreichende Flucht- und Versteckmöglichkeiten. Die hohe Fluktuation der Besucherströme erleichtert dabei die unauffällige Versorgung der Käufer mit Betäubungsmitteln.“
Die Polizei erhält hier seit Jahren den Druck aufrecht, schafft aber in keiner Weise, die Zahl der Delinquenten zu senken und das Problem des Suchtmittelmissbrauchs in der Stadt zu minimieren. Im Gegenteil.
Diesmal gibt es auch von der Polizei eine deutliche Warnung zu der wachsenden Zahl erwischter Minderjähriger: „Aufgrund der kontinuierlich zunehmenden Zahlen zu drogendelinquenten Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden empfiehlt die Polizeidirektion Leipzig dringend die Weiterentwicklung eines abgestimmten Handelns auf der Grundlage des Berichtes der gemeinsamen Fachkommission der Stadt Leipzig und der Polizeidirektion Leipzig zur Drogenpolitik in Leipzig 2011/2012.“
Tatsächlich prallen hier zwei politische Ansätze aufeinander, die sich nicht wirklich ergänzen. Denn das Suchtpotenzial in einer Stadt senkt man nicht dadurch, dass man die Repression verstärkt.
Auch wenn die Polizei noch viel mehr Druck machen möchte: „Aufgrund der dargestellten Tendenzen muss davon ausgegangen werden, dass das Betäubungsmittel-Aufkommen weiter zunimmt. Vor diesem Hintergrund bleibt festzustellen, dass die Stadt Leipzig auch in Zukunft durch Straftaten der Rauschgiftkriminalität belastet bleibt und deshalb die bisherigen Anstrengungen auf dem unverändert hohen Niveau fortgeführt werden müssen. Unverändert ist von einer hohen Verbreitung der Droge Crystal, auch in Verbindung mit anderen Betäubungs- sowie Arzneimitteln, auszugehen.“
Es ist dieser „Dealer-/Konsumentenansatz“ der Polizei, der eine Brücke zur Präventionsarbeit der Stadt fast unmöglich macht. Denn dort erscheinen keine „Delinquenten“ in den Beratungseinrichtungen, sondern Menschen, denen geholfen werden muss. Die Stadt spricht deswegen auch von Suchtkranken. Und Süchte gehören zum Kern unserer Gesellschaft, die sich ihrer eigenen Suchtpotenziale nicht mal bewusst zu werden versucht.
Der Suchtbericht ist unter www.leipzig.de/suchthilfe als Download zu finden.
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