So weit das zu รผberschauen ist, gibt es keine einzige belastbare Untersuchung zu der Frage, warum Menschen keine Kinder bekommen (wollen) und die Geburtenraten sinken. Statistisch weiร man lediglich, dass das mit den Faktoren Bildung, medizinische Versorgung und Wohlstand zusammenhรคngt. Was trotzdem nicht erklรคrt, warum auch in Leipzig immer mehr junge Menschen den Kinderwunsch streichen.
Dass Wohlstand nicht nur im positiven Sinn auf die Zahl der Kinder wirkt, die Frauen bekommen, hat Leipzig in den 1990er Jahren erlebt, als die Geburtenzahlen auf einen historisch niedrigen Stand einbrachen. Und das nicht nur, weil tausende junger Frauen der Arbeit wegen in den Westen abgewandert waren, sondern auch, weil die Dagebliebenen in dieser รถkonomisch sehr prekรคren Situation lieber keine Familie grรผnden wollten.
Und es sieht ganz so aus, als wรผrden รคhnliche Effekte jetzt auch wieder wirken. Ein Beitrag im neuen Quartalsbericht macht darauf aufmerksam.
โ6.468 Leipziger Kinder kamen im Jahr 2020 auf die Welt und damit vergleichbar viele wie im Jahr 2019 (6.444). 2017 erblickten noch 6.976 Leipziger Kinder das Licht der Weltโ, kann man da lesen. โDieses geburtenreiche Jahr 2017 stellt auch gleichermaรen den bisherigen Gipfelpunkt an Geborenen dar. Seit Ende der 1990er Jahren kamen in Leipzig von Jahr zu Jahr mehr Kinder zur Welt. Einfluss auf die Zahl der Geborenen hat zum einem die Anzahl potenzieller Mรผtter (und Vรคter), d. h. Frauen im fertilen Lebensalter, und zum anderen das Geburtenverhalten, d. h. die Geburtenhรคufigkeit von Frauen.โ
Aber das sind nur die nรผchternen statistischen Zahlen aus dem Melderegister. Immerhin animierte das Leipzigs Statistiker/-innen vor fรผnf Jahren noch zu der Prognose, die jungen Familien wรผrden auch wieder รถfter ein zweites und ein drittes Kind haben wollen.
Aber das Gegenteil ist der Fall.
โUm die Geburtenhรคufigkeit von Frauen darzustellen, kann die sogenannte zusammengefasste Geburtenziffer (TFR) verwendet werden. Ziel ist es, mit der TFR fรผr den vergleichsweise kurzen Zeitraum eines Kalenderjahres einen fertilen Lebenslauf abzubilden, der auf den aktuellen Geburten von Frauen aus unterschiedlichen Altersgruppen basiertโ, erlรคutert der Quartalsbericht die gezeigte Grafik.
โAuf diese Weise kรถnnen auch kurzfristig Verรคnderungen im Geburtenverhalten erfasst werden. Im Corona-Jahr 2020 lag diese zusammengefasste Geburtenziffer bei 1,31 Kindern je Frau, was dem Vorjahresniveau entspricht. Im Vergleich zu den Jahren 2014 bis 2017 zeigt sich jedoch ein deutlicher Rรผckgang der Fertilitรคtsrate. 2015 und 2016 lag die zusammengefasste Geburtenziffer noch bei 1,47 Kindern je Frau.โ
Wรผrde eine Gesellschaft ihren Bevรถlkerungsstand halten wollen, mรผssten Frauen im Schnitt 2,1 Kinder bekommen. Wir sehen also eine Stadt, deren Bevรถlkerung fortwรคhrend schrumpfen wรผrde, gรคbe es keine stetige Zuwanderung. Und die gibt es nur, solange es neue Stellenangebote und freien Wohnraum gibt.
2011 gab es zuletzt mal eine Umfrage des Instituts fรผr Zukunftsfragen, die einige der Motive deutlicher gemacht hat, warum junge Erwachsene auf eine Familiengrรผndung verzichten.
Fast alle Grรผnde sind รถkonomischer Natur: โKinder kosten zu viel Geldโ (58 Prozent), die โKarriereโ geht vor (51 Prozent), aber auch die โstaatlichen, gesellschaftlichen Voraussetzungen fehlenโ (46 Prozent), gleichauf mit โunsichere Zukunft fรผr die eigenen Kinderโ. 20 Prozent nannten auch โAngst vor Scheidung, Alleinerziehungโ. Natรผrlich gibt das zu denken. Und 2011 war noch ein Jahr, da ging die Finanzkrise gerade zu Ende, der wirtschaftliche Aufschwung kam in Gang.
Aber alle Antworten erzรคhlen von einer Gesellschaft, in der junge Leute ganz offensichtlich Angst davor haben, das รถkonomische Risiko einer Familiengrรผndung auf sich zu nehmen. Und auch davon, dass es augenscheinlich Faktoren gibt, die diese Angst verstรคrken. Denn anders als oft suggeriert, denken Eltern nun einmal aus guten Grรผnden darรผber nach, ob sie den Kindern eine gesicherte Kindheit bieten kรถnnen oder ein Risiko eingehen, das nicht zu รผberschauen ist.
Da auch Leipzigs Statistiker die Frage nicht genauer untersucht haben โ auch nicht bei der Befragung zu den Umzugsgrรผnden โ bleiben hier wieder nur Vermutungen, die aber auch mit Wohnungsgrรผnden zu tun haben. Denn fรผr eine Familie braucht man eine bezahlbare grรถรere Wohnung. Und genau dieses Segment ist in Leipzig Mangelware. Also gehtโs im nรคchsten Text um die Wohnungsfrage.
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