Paul M. Schrรถder vom Bremer Institut fรผr Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) liebt Zahlen. Und seit er die monatlichen Zahlenberge der Bundesagentur fรผr Arbeit auswertet, weiรŸ er auch mit den Datenbergen anderer Institutionen umzugehen โ€“ etwa denen zur Corona-Pandemie, zu Inzidenzwerten und Impfungen. Was bitter nรถtig ist, wo Deutschlands Leitmedien sich ja Tag fรผr Tag รผberbieten in Hysterie und Vorwรผrfen, Deutschland blamiere sich gerade ganz fรผrchterlich.

Tut es das?Wahrscheinlich ist diese ganze Hysterie von Redakteuren, die ihren Job wahrscheinlich auf dem FuรŸballplatz gelernt haben, der Tatsache geschuldet, dass sie von ร–konomie keine Ahnung haben. Eine Tatsache, die deutlicher wird, wenn man Mark Schieritzโ€™ Artikel in der โ€žZeitโ€œ dazu liest: โ€žIst die EU zu doof?โ€œ

Darin zeigt er zum Beispiel, dass die EU die Lรคndergruppe ist, die am stรคrksten Corona-Impfstoffe exportiert, sich also im eigentlichen Sinne solidarisch verhรคlt, wรคhrend die viel gerรผhmten Spitzenreiter USA, GroรŸbritannien und Israel mitnichten zum internationalen Impfstoffexport beitragen, sich also im klassischen kapitalistischen Sinn benehmen wie der viel zitierte homo oeconomicus: Erst mal nur an sich denken โ€“ und dabei auch gern Impfstoffe aus der EU importieren.

โ€žEine Spitzenposition in der Impfweltrangliste ist nicht unbedingt ein Ausweis der eigenen Leistungsfรคhigkeitโ€œ, schreibt Schieritz. Und: โ€žDie EU hat anders als die Vereinigten Staaten oder GroรŸbritannien weitgehend auf das Prinzip offener Mรคrkte und multilateraler Vereinbarungen gesetzt โ€“ vielleicht auch, weil das Teilen zum Wesenskern eines Staatenbunds mit einem gemeinsamen Binnenmarkt gehรถrt.โ€œ

Da ergibt es wirklich keinen Sinn, ausgerechnet jene Lรคnder als Vorbild hinzustellen, denen der Rest der Welt erst einmal egal ist und die bislang nur an sich denken.

Ob das erstrebenswert ist, dass sich auch Lรคnder wie Deutschland so verhalten, darf bezweifelt werden. Der Preis dafรผr ist natรผrlich, dass es in der EU mit dem Impfen erst einmal nicht ganz so schnell geht.

Obwohl die Zeit und die Not drรคngen. Auch das zeigen die Grafiken, die Paul M. Schrรถder mit Stand Ende Mรคrz jetzt wieder akribisch erstellt hat. Wir zeigen nur zwei, die anderen kann jeder, den das Thema interessiert, auf der Seite des BIAJ selbst nachschlagen.

Entwicklung der COVID-19-Fรคlle in Deutschland in seinen Nachbarlรคndern. Grafik: BIAJ
Entwicklung der COVID-19-Fรคlle in Deutschland und in seinen Nachbarlรคndern. Grafik: BIAJ

Er vergleicht diesmal nicht die deutschen Bundeslรคnder, die ja in unseren einschlรคgigen Medien ebenfalls immerfort gegeneinander ausgespielt werden, meist mit offener Hรคme und mit der breitbrรผstigen Unterstellung, dieser Ministerprรคsident oder jene Ministerprรคsidentin wรผrden ein vรถllig verpeiltes Krisenmanagement an den Tag legen.

Mit der abgesagten Ministerprรคsidentenkonferenz mit der Kanzlerin nach Ostern nahm dieses Anprangern ja neue Schรคrfe auf, obwohl schon der Blick auf die Inzidenzzahlen, also die an Corona-Infizierten pro 100.000 Einwohner, zeigt, dass Deutschland die Sache im Vergleich mit seinen direkten Nachbarn noch relativ gut meistert.

Die Infektionszahlen in Frankreich, Polen und Tschechien liegen dramatisch hรถher. Und ein Land, das mittendrin liegt wie Deutschland, kann sich nicht wirklich komplett abschotten, erst recht, wenn man zwingend auf Arbeitskrรคfte aus diesen Lรคndern angewiesen ist. Was dann zu hohen Inzidenzwerten in Sachsen, Thรผringen und bayerischen Grenzkreisen gefรผhrt hat.

Die Frage ist tatsรคchlich eher: Hilft da jetzt der derzeit von meinungsstarken Redakteuren geforderte knallharte Lockdown, um die Zahlen schnell zu drรผcken? Oder ist es dafรผr zu spรคt? Hรคtte man das im Februar schon machen mรผssen?

Das kรถnnen Virologen mรถglicherweise besser beantworten. Oder auch nicht. Denn wรคhrend Christian Drosten laut Tagesschau einen โ€žernsthaften Lockdownโ€œ fordert, lehnt der Virologe Henrik Streeck โ€žAusgangssperren harsch abโ€œ und sorgt damit bei Karl Lauterbach, dem Gesundheitsexperten der SPD, fรผr Entsetzen.

Denn die Intensivstationen haben sich in den vergangenen Wochen wieder in rasender Geschwindigkeit gefรผllt. Alles, was wir drauรŸen im Alltag nicht an Eindรคmmung der Epidemie hinbekommen, mรผssen die Pflegekrรคfte und ร„rtzt/-innen auf den Intensivstationen und den  Corona-Abteilungen der Krankenhรคuser abfangen.

Was fehlt, sind die sozialen Daten der Patienten, die jetzt hauptsรคchlich Opfer des Virus werden. Denn die Gruppe der รผber 70-Jรคhrigen ist ja mittlerweile durchgeimpft, dรผrfte also auch nicht mehr die Hauptgruppe der schwer Erkrankten ausmachen.

Wie sicher ist AstraZeneca wirklich?

Logisch, dass jetzt gerade die Jรผngeren hรคnderingend auf die Impfung warten. Dazu hat Paul M. Schrรถder zwei Grafiken eingestellt โ€“ eine zu den Impfstofflieferungen und Impfungen, die sich รผber die Mitgliedslรคnder der EU recht gleichmรครŸig verteilen โ€“ mit Ausnahme von Malta und Ungarn, die sich zusรคtzlichen Impfstoff auรŸerhalb der EU bestellt haben โ€“ Ungarn in Russland und Malta in China.

Beide Impfstoffe sind freilich offiziell von der EMA noch nicht zugelassen, denn fรผr die Zulassung von Impfstoffen gelten strenge Zulassungsverfahren mit mehreren Erprobungsrunden. Was zwar mit zehntausenden Probanden schon belastbare Ergebnisse liefert, seltene Begleiterscheinungen wie bei AstraZeneca aber meist nicht entdeckt. Die erkennt man dann tatsรคchlich โ€“ wie im Fall der Blutgerinnsel โ€“ erst bei Millionen Geimpften, unter denen dann einige Dutzend Fรคlle auffallen.

Etwas anders sieht dann die Grafik mit den schon vollzogenen Erst- und Zweitimpfungen aus. Hier sieht man, dass hier alle EU-Lรคnder noch deutlich offenen Vollzug haben, aber recht gleichmรครŸig vorankommen. Deutschland liegt hier so ziemlich gleichauf mit Schweden und ร–sterreich, wรคhrend es Lรคnder wie Finnland, Bulgarien und Lettland augenscheinlich wesentlich schwerer haben, in Tritt zu kommen. Neben Malta und Ungarn, die auf zusรคtzliche Lieferungen zugreifen kรถnnen, sticht hier eigentlich nur Dรคnemark heraus.

Die Zahlen bedeuten in der Regel bei den Erstimpfungen Impfquoten zwischen 10 und 14 Prozent, nur Malta und Ungarn stechen mit 20 Prozent heraus. Aber das sind โ€“ wie gesagt โ€“ die Zahlen von Ende Mรคrz. Sachsen zum Beispiel liegt mittlerweile bei รผber 16 Prozent.

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