Als die Freibeuterfraktion ihren Änderungsantrag zum SPD-Antrag formulierte, nach dem es wenig Sinn ergibt, den Verwaltungsmitarbeitern ein 365-Euro-Ticket zu geben, stattdessen sollten Senior/-innen, die ihr Auto abmelden, ein solches Abo bekommen, fragten sie auch gleichzeitig an, was Verwaltungsmitarbeiter/-innen in Leipzig eigentlich so verdienen.
Denn wie die Bürgerumfrage 2019 ergab, schreckt ja eine Mehrzahl der Leipziger am Umstieg auf den ÖPNV ab, dass die Fahrpreise der LVB zu hoch sind. Aber das ist nur erklärbar, wenn man weiß, was Leipziger/-innen so im Schnitt tatsächlich verdienen, und zwar netto. Denn seine Mobilitätskosten bestreitet man aus den Netto-Einkünften. Die Vermutungen der Freibeuter, die sie zu ihrem Antrag machten, gingen schon in die richtige Richtung.Aber beantwortet bekommen sie eigentlich nur die Frage zu den Bruttogehältern in der Stadtverwaltung. Aber die Zahlen sind eindeutig: Nur 207 der 7.810 Leipziger Verwaltungsmitarbeiter/-innen bekommen weniger als 2.000 Euro Bruttogehalt im Monat. Über 4.000 gehen sogar mit über 3.000 Euro im Monat nach Hause. Wer sich von solchen Gehältern kein Abo für 60 Euro im Monat leisten kann, dürfte schon ziemlich schlecht mit Geld umgehen können. Hier ist wirklich kein Druck, ausgerechnet der Verwaltung jetzt 365-Euro-Jahrestickets zu offerieren. Jedenfalls nicht im ersten Schritt. Der Effekt wäre wahrscheinlich sogar marginal.
Anders ist es freilich mit der Freibeuter-Frage: „Wie hoch war das Durchschnittseinkommen aller erwerbstätigen Einwohner in Leipzig zum 31.12.2020 (falls zu diesem Zeitpunkt nicht verfügbar, bitte zum letzten verfügbaren Zeitpunkt)?“
Hierzu bekommen sie tatsächlich keine Antwort, obwohl die Frage recht klar gestellt war. Das Verwaltungsdezernat listet stattdessen die Bruttolöhne verschiedener Branchen aus dem Jahr 2018 auf mit Verweis auf die Quelle „Statistisches Landesamt Sachsen, Arbeitskreis ,Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder‘, Amt für Statistik und Wahlen Leipzig“ auf. Die Zahlen findet man auch im Statistischen Jahrbuch der Stadt, aber sie sagen nichts über das tatsächliche Einkommensniveau der Leipziger/-innen aus.
Das freilich fragt die Stadt jedes Jahr mit der Bürgerumfrage ab. Misstraut die Verwaltung ihrer eigenen Bürgerumfrage? Oder bekommt sie das Rätsel einfach nicht gelöst, warum die realen Einkommen der Leipziger/-innen derart deutlich unter diesen offiziellen Zahlen des Landesamtes liegen? Oder sieht man das Problem nicht, wenn man auf der Höhe der amtlichen Zahlen verdient und dann die Ergebnisse aus der Bürgerumfrage vor Augen hat?
Denn die einfachen Angestellten und Beamten mussten 2019 im Median mit netto 1.593 Euro zurande kommen. Auch Vorarbeiter und Facharbeiter mussten mit 1.653 Euro im Schnitt zurechtkommen, Solo-Selbstständige sogar nur mit 1.344 Euro. Median heißt hier: Die Hälfte der Befragten hatte weniger Einkommen, die andere Hälfte mehr als diesen Medianwert.
Aus dieser Perspektive sieht der Unterschied zwischen einem Monatsabo von 30 oder 60 Euro schon deutlich größer aus als aus der Perspektive von mittleren und höheren Beamten und Selbstständigen, die im Schnitt 1.000 Euro netto jeden Monat mehr zur Verfügung haben.
Und auch das sind nur die Erwerbstätigen, die einigermaßen ordentlich bezahlt werden, denn der Median der Leipziger Netto-Einkommen insgesamt lag 2019 nur bei 1.439 Euro. Natürlich sind da Rentner mit ihren 1.201 Euro genauso dabei wie Auszubildende mit ihren 729 Euro oder Ungelernte mit 1.052 Euro. Wobei ja bei der Bürgerumfrage immer ins Gewicht fällt, dass gerade weniger gut Ausgebildete sich seltener an der Beantwortung der Umfragebögen beteiligen.
Und trotzdem machen die Zahlen natürlich sichtbar, dass die Realität einer nach Tarif bezahlten Verwaltung herzlich wenig mit der finanziellen Realität der meisten Leipziger/-innen zu tun hat. Und dass damit die Diskussion um ein 365-Euro-Ticket eine zusätzliche Dimension hat, die weit über den Klimaaspekt hinausgeht.
Was ja übrigens auch die Verwaltung so sah, die in ihrem Verwaltungsstandpunkt ein 365-Euro-Ticket für Verwaltungsmitarbeiter/-innen von vornherein weggelassen hat.
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