Es ist erstaunlich, wie viele Institutionen in diesem Jahr den Tag der Frau fรผr sich entdeckt haben, den International Womenโs Day , der seit 1921 jรคhrlich am 8. Mรคrz begangen wird. Aber das Thema Gleichberechtigung kommt augenscheinlich auch immer stรคrker in mรคnnerbesetzten Leitungsgremien an. Selbst die sรคchsische Arbeitsagentur hat extra aus aktuellem Anlass eine entsprechende Statistik vorgelegt. Denn ohne Frauen lรคuft auch in Sachsen nichts. Gar nichts.
Aktuell leben 1,2 Millionen Frauen zwischen 15 und 64 Jahren in Sachsen. รber 65 Prozent davon gingen im Jahr 2020 einer sozialversicherungspflichtigen Beschรคftigung nach, weiร die Arbeitsagentur zu berichten. Damit lag im vergangenen Jahr die Beschรคftigungsquote der Frauen in Sachsen auf bundesweit hรถchstem Niveau.Was die Geschรคftsfรผhrung der Arbeitsagentur freilich auf ihre Weise interpretiert. โDie Chancen fรผr Frauen auf dem sรคchsischen Arbeitsmarkt waren und sind gut. Auch im letzten Jahr ist die Beschรคftigungsquote der Frauen leicht angestiegen und liegt mit รผber 65 Prozent bundesweit weiter auf Platz 1. Das ist vor allem in der traditionell hohen Erwerbsneigung der Frauen in Sachsen begrรผndetโ, meint Klaus-Peter Hansen, Vorsitzender der Geschรคftsfรผhrung der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur fรผr Arbeit.
โAuch die immer flexibleren Arbeitsbedingungen โ Teilzeitmodelle und Homeoffice sind gute Beispiele dafรผr โ sind Anreizfaktoren und tragen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei. Frauen sind dabei vor allem im Dienste der Menschen in Sachsen tรคtig: fรผr Kranke im Gesundheitswesen, fรผr Kinder und Jugendliche als Erzieherinnen oder im Lehramt beschรคftigt sowie fรผr รคltere und behinderte Menschen im Sozialwesen.โ
Ob es wirklich die โErwerbsneigungโ ist, die ostdeutsche Frauen derart in Arbeit drรคngt, darf man bezweifeln. Hier dรผrfte das niedrige Einkommensniveau auch der Mรคnner eine viel stรคrkere Rolle spielen. Familiengrรผndungen sind ohne zwei Verdiener praktisch nicht machbar.
Da klingt es dann freilich bedenkenswert, dass Frauen oft gerade in jenen systemrelevanten Berufen landen, wo die Arbeitsbedingungen meist besonders belastend sind.
Beschรคftigungsquote im bundesweiten Vergleich
Im Jahr 2020 sind rund 778.00 Frauen aus Sachsen einer sozialversicherungspflichtigen Beschรคftigung nachgegangen. Bezogen auf alle Frauen im erwerbsfรคhigen Alter liegt die Beschรคftigungsquote damit bei 65,4 Prozent. Im Vergleich zum Jahr 2019 ist die Beschรคftigungsquote um 0,2 Prozentpunkte gestiegen und im 10-Jahres-Vergleich um รผber zehn Prozentpunkte.
Der leichte Anstieg der Beschรคftigungsquote der Frauen im Vorjahresvergleich hรคtte deutlich hรถher ausfallen kรถnnen, so die Arbeitsagentur. Die Corona-Pandemie hat zu einem hรถheren Rรผckgang der Beschรคftigung gefรผhrt, auch bei den berufstรคtigen Frauen. Dennoch bleibe die Entwicklung der Beschรคftigungsquote im Aufwรคrtstrend, denn die Zahl von Sรคchsinnen im erwerbsfรคhigen Alter ist stรคrker zurรผckgegangen als die der sozialversicherungspflichtig Beschรคftigten.
Im Vergleich aller Bundeslรคnder liegt Sachsen mit der Frauen-Beschรคftigungsquote von 65,4 Prozent weiterhin auf Platz eins โ gefolgt von Thรผringen (63,4 Prozent), Brandenburg (63,4 Prozent), Sachsen-Anhalt (62,8 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (61,9 Prozent) und Bayern als erstes westdeutsches Bundesland (60,3 Prozent). Die geringsten Beschรคftigungsquoten von Frauen gab es in Bremen (51,6 Prozent), Nordrhein-Westfalen (53,6 Prozent) und dem Saarland (53,9 Prozent). Im bundesweiten Durchschnitt liegt die Beschรคftigungsquote der Frauen bei 57,6 Prozent.
Innerhalb Sachsens sind die Beschรคftigungsquoten der Frauen in allen Landkreisen รผber dem bundesweiten Durchschnitt. Die hรถchsten Beschรคftigungsquoten gibt es in der Sรคchsischen Schweiz-Osterzgebirge (69,1 Prozent), in Nordsachsen (67,8 Prozent), im Landkreis Leipzig (67,6 Prozent) und in Bautzen (67,3 Prozent). Die geringsten Beschรคftigungsquoten sind in der Stadt Leipzig (60,8 Prozent), der Kreisfreien Stadt Chemnitz (62,9 Prozent) und im Landkreis Gรถrlitz (63,2 Prozent) zu verzeichnen.
Jede zweite Frau arbeitet in Teilzeit
Das die hohen Quoten mit โErwerbsneigungโ eher nichts zu tun haben, belegt ein anderer Teil der Statistik. Aktuell arbeiten nรคmlich 51 Prozent der rund 778.000 sozialversicherungspflichtig beschรคftigten Frauen in Teilzeit. Teilzeit bedeutet aber nicht: โArbeiten nur am Vormittagโ. Unter Teilzeitbeschรคftigung werden alle sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhรคltnisse aufgefรผhrt, die nicht Vollzeit entsprechen. Dabei zรคhlt die รผbliche betriebliche Wochenarbeitszeit. Bereits eine Abweichung von einer Stunde lรคsst Arbeitsverhรคltnisse in der Statistik als Teilzeit zรคhlen.
Zurรผckzufรผhren ist der hohe Beschรคftigungsanteil der Frauen in Teilzeit auf die immer flexibler werdenden Beschรคftigungsverhรคltnisse, meint die Arbeitsagentur. Aber man sieht durchaus den Pferdefuร dabei.
โDie Mรถglichkeit in Teilzeit zu arbeiten ist gut, wenn sie auf Wunsch der Beschรคftigten erfolgt und freiwillig ist. Beispielsweise entscheiden sich Frauen oft wegen der Betreuung von Kindern oder pflegebedรผrftigen Personen oder wegen weiteren persรถnlichen oder familiรคren Verpflichtungen fรผr eine Teilzeitbeschรคftigung. Kritisch ist die Teilzeitarbeit nur, wenn sie erzwungen istโ, sagt Hansen.
Wรคhrend also mehr als jede zweite Frau teilzeitbeschรคftigt ist, arbeitet nur jeder siebente Mann in Sachsen in Teilzeit. Was eben im Umkehrschluss auch heiรt, dass der Groรteil der Familienfรผrsorge nach wie vor bei den Frauen liegt. Denn sie gehen eben doch meistens โerzwungenโ in Teilzeit, damit die Kinderbetreuung gewรคhrleistet ist, wenn ihr โ meist besser bezahlter โ Mann das Einkommen fรผr die Familie erarbeitet.
Frauen im Dienste der Menschen
Von den 778. 000 sozialversicherungspflichtigen Frauen in Sachsen sind die meisten im Gesundheitswesen tรคtig (13 Prozent) โ gefolgt vom Einzelhandel (10,4 Prozent), รถffentliches Verwaltungswesen (neun Prozent), Erziehung und Unterricht (acht Prozent) und Sozialwesen (sieben Prozent).
Wรคhrend Frauen also deutlich hรคufiger in personenbezogenen und kaufmรคnnischen Dienstleistungsberufen arbeiten, รผben sรคchsische Mรคnner รถfter Produktions- und MINT-Berufe aus. Also jene Berufe, in denen die Lรถhne in der Regel deutlich hรถher sind als in den viel beklatschten systemrelevanten Berufen.
Das Anforderungsniveau der Jobs, in denen Frauen tรคtig sind, betrachtet, fรคllt auf: Frauen sind gut qualifiziert und mit 61 Prozent als Fachkraft sozialversicherungspflichtig beschรคftigt. Jede vierte wird sogar als Spezialistin bzw. Expertin in ihrem Beschรคftigungsfeld eingestuft. Und trotzdem werden sie schlechter bezahlt als die mรคnnlichen Experten.
Etwas, was das Leipziger Amt fรผr Statistik und Wahlen aus Anlass des 8. Mรคrz auf den Punkt bringt: โDie Lebenssituationen von Frauen und Mรคnnern unterscheiden sich teilweise erheblich. So verfรผgen Leipziger Frauen รผber ein persรถnliches monatliches Nettoeinkommen von 1.307 Euro, Mรคnner รผber 1.585 Euro (jeweils 2019). 74,9 Prozent der Leipziger Frauen sind erwerbstรคtig, bei den Mรคnnern sind es 77,6 Prozent (jeweils 2019, im Alter von 15 bis unter 65 Jahre). Dennoch sind Frauen etwas seltener von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Arbeitslosenquote fรผr Frauen betrรคgt 7,1 Prozent, fรผr Mรคnner 8,8 Prozent (jeweils 30. Juni 2020).โ
Die Beschรคftigungsquote differiert zur von der Arbeitsagentur genannten. Aber diese bezog sich auf alle sozialversicherungspflichtig Beschรคftigten. Frauen sind eben auch รผberproportional in sogenannten Mini-Jobs tรคtig, den typischen Zuverdiener-Jobs.
Die Arbeitsagentur packte ihre Meldung dann auch noch unter die etwas irrefรผhrende รberschrift โSรคchsische Frauen sind spitzeโ. Aber das trรคgt die Meldung nicht wirklich, denn sie sind es weder beim Lohn noch bei der Besetzung von Spitzenfunktionen. Die Statistik erzรคhlt eher von einer Gesellschaft, in der Frauen mehr arbeiten mรผssen, weil sonst das Geld fรผr die Familie nicht reicht. Und sie arbeiten in vielen Berufen, die schlechter bezahlt werden, obwohl ohne sie gar nichts lรคuft und im Corona-Jahr erst recht nichts gelaufen wรคre.
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