„Ihr habt uns vergessen“. So könnte man es eigentlich – aus der Perspektive von ganz unten – zuspitzen, was das Robert-Koch-Institut da am Dienstag, 16. März, als Faktenblatt veröffentlicht hat. Denn im RKI hat man einmal das gemacht, was längst überfällig war. Man hat die Sterbezahlen aus der COVID-19-Statistik mit dem Armutsrisiko in den betroffenen Regionen Deutschlands verglichen. Und das Ergebnis ist eindeutig: Armut erhöht das Sterberisiko deutlich.

Auch wenn es das RKI nicht weiter erläutert, sondern einfach auf einige Kernaussagen reduziert, was dieses Übereinanderlegen der COVID-19-Sterbefälle mit den Deprivationswerten ergeben hat:Während der zweiten Infektionswelle im Herbst und Winter 2020/2021 stieg die COVID-19-Sterblichkeit in Deutschland stark an und erreichte im Dezember und Januar einen Höchststand.

Nach den Meldungen der Gesundheitsämter sind im Dezember und Januar mehr als 42.000 Personen, bei denen COVID-19 festgestellt wurde, verstorben. Davon waren etwa 90 Prozent im Alter von 70 Jahren und älter.

Der Anstieg der COVID-19-Todesfälle fiel in sozial benachteiligten Regionen Deutschlands am stärksten aus – sowohl bei Männern als auch bei Frauen.

Im Dezember und Januar lag die COVID-19-Sterblichkeit in sozial stark benachteiligten Regionen um rund 50 bis 70 Prozent höher als in Regionen mit geringer sozialer Benachteiligung.

Wie aber kann man die beiden Datenfelder übereinanderlegen? „Für die Analyse sozialer Unterschiede wurden die Meldedaten mit dem „German Index of Socioeconomic Deprivation“ (GISD) auf Ebene der 401 Landkreise und Kreisfreien Städte verknüpft. Der GISD misst das Ausmaß sozioökonomischer Deprivation der Bevölkerungen in verschiedenen Regionen Deutschlands und ist ein mehrdimensionaler Index aus regionalen Bildungs-, Beschäftigungs- und Einkommensindikatoren.“

Deprivation misst die Benachteiligung einer Region. Einer der wichtigsten Faktoren ist die (Einkommens-)Armut, die dann meist direkt Folgen hat mit schlechterer Gesundheitsversorgung und -vorsorge, schlechterer Ernährung, Einsamkeit, fehlenden sozialen Kontakten usw.

Menschen aus solchen benachteiligten Verhältnissen haben dementsprechend meist auch mehr Vorerkrankungen und einen schlechteren gesundheitlichen Status und damit geringere Chancen, im Fall einer Viruserkrankung zu überleben. Und die Grafik zeigt deutlich, wie sich die Kurven ab der 45. Kalenderwoche (Anfang November) deutlich auseinanderentwickelten und es deutlich mehr Todesfälle je 100.000 in der Gruppe mit hoher Deprivation gab. Und auch in der Gruppe mit mittlerer Deprivation war die Kurve leicht erhöht.

Wobei bei hoher Armutsquote eben soft auch hinzukommt, dass sich dort die Menschen schlechter schützen können. Zum Beispiel, weil sie in Großwohnsiedlungen leben und Kontakte zu anderen Menschen kaum wirkungsvoll reduzieren können. Alles Dinge, die auch bei den Allgemeinverfügungen kaum bedacht und berücksichtigt wurden, weil es auch kaum ein Sensorium dafür gibt, wie schlecht sich Menschen in einkommensarmen Verhältnissen wirklich schützen können im Fall einer Pandemie.

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