Am 26. Januar zogen die sächsischen Statistiker ihre Bilanz für das abgelaufene Corona-Jahr 2020 und die Schäden auf dem Arbeitsmarkt. „Durchschnittlich 2,048 Millionen Erwerbstätige hatten im Jahr 2020 ihren Arbeitsplatz im Freistaat Sachsen – rund 24.000 Personen bzw. 1,2 Prozent weniger als 2019“, stellten sie fest. Aber was bedeutet diese Zahl?
„Insbesondere die Auswirkungen der Corona-Pandemie führten in allen Ländern im Vergleich zum Vorjahr zu Verlusten bei den Erwerbstätigen“, interpretieren die Landesstatistiker in Kamenz diese Zahlen. „Deutschlandweit gab es einen Rückgang um 1,1 Prozent. Nachdem in Sachsen 2019 das höchste Niveau der Erwerbstätigkeit seit dem Jahr 1991 erreicht wurde, war 2020 der größte Rückgang seit dem Jahr 2001 zu verzeichnen.“Aber selbst die Arbeitsagentur Sachsen gab fürs vergangene Jahr vorsichtig Entwarnung. Noch ist die befürchtete Pleitewelle ausgeblieben und die Kurzarbeit federt die Einschränkungen im produzierenden Gewerbe vorerst ab. Es wird weiterproduziert.
Aber etwas deutet sich an, was in der General-Statistik meistens untergeht – und deshalb auch Politikern meist fremd ist.
„Die aktuelle Entwicklung zeigt die stärksten Rückgänge bei den marginal Beschäftigten, gefolgt von den Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen“, schreiben die Statistiker in ihrer Meldung.
Da stecken zwei Nachrichten drin, die relativ deutlich machen, dass Corona vor allem Prozesse verstärkt hat, die vorher schon im Gange waren.
„Die Verluste bei der Zahl der Arbeitnehmer ohne marginal Beschäftigte fielen deutlich geringer aus und wurden u. a. durch die Kurzarbeiterregelungen abgefedert (Kurzarbeiter sind definitorisch in der Zahl der Erwerbstätigen enthalten)“, so die Statistiker.
„Nach Branchen betrachtet traten die größten Verluste mit fast 9.700 Erwerbstätigen bzw. – 2,6 Prozent im Verarbeitenden Gewerbe auf, dicht gefolgt von einem Minus von rund 9.300 Personen bzw. – 2,8 Prozent im Bereich Grundstücks- und Wohnungswesen, Finanz- und Unternehmensdienstleister.“
Und da wird es dann schon konkreter. Denn: „Dieser Bereich beinhaltet unter anderem die Arbeitnehmerüberlassung.“
Womit eines der prekären Beschäftigungsverhältnisse benannt ist, die die konzernfreundliche Bundespolitik in den letzten 30 Jahren massiv dereguliert hat. Normalerweise werden Leiharbeiter ja nur eingestellt, wenn man „Produktionsspitzen“ abfangen will. Sie sind eigentlich so eine Art schnelle Eingreiftruppe, die normalerweise so auch bezahlt werden müsste – nämlich besser als das Stammpersonal. So ist es in Frankreich.
In Deutschland ist das Gegenteil der Fall: Leiharbeit wurde quasi zum Rekrutierungsinstrument für Personal umgestaltet, das bei Flauten und anderen Kalamitäten problemlos wieder entlassen werden kann. Schon seit fünf Jahren war freilich ein Rückgang der Leiharbeit in Sachsen zu beobachten. Die Wirtschaft schnurrte, die Produktion lief.
Und da der Markt praktisch leergefegt war an frei verfügbaren Fachkräften, gingen die produzierenden Betriebe dazu über, ihr immer wieder geleastes Leihpersonal zunehmend in Festanstellung zu übernehmen. Aber im Corona-Jahr trat dann der andere Effekt stärker hervor. Die Menschen, die noch in Zeitarbeitsverträgen feststeckten, gehörten zu den ersten, die dann ab dem Frühjahr wieder freigesetzt wurden.
Und um marginal Beschäftigte geht es auch in dem Bereich, der am heftigsten von den Allgemeinverfügungen betroffen war und ist: „Der Bereich Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation verlor 6.200 Personen oder – 1,3 Prozent der Erwerbstätigen und diese vorrangig im Gastgewerbe.“
Etwas untergegangen sind die Zahlen zu den Selbstständigen. Auch deren Zahl nimmt ja seit 2014 permanent ab. In den Vorjahren vor allem aus dem Grund, weil viele Einzelunternehmer, die sich nach Einführung von „Hartz IV“ eher gezwungenermaßen selbstständig gemacht hatten, jetzt – beim florierenden Wirtschaftsaufschwung – die Chance ergriffen, in Festanstellung zurückzukehren. Die Arbeitsmarktstatistik differenziert ja nicht zwischen Solo-Handwerkern und Solo-Kreativen, wobei letztere ab April ja flächendeckend ihre Aufträge und Auftritte verloren.
Aber es ist anzunehmen, dass der Rückgang bei den Selbstständigen (rund 4.000) in Sachsen 2020 eher nichts mit dem Wechsel in Festanstellungen zu tun hat, sondern mit all diesen Solo-Selbstständigen, die ja von den gebefreudigen Regierenden freundlichst gebeten wurden, sich beim Jobcenter zu melden.
Erstaunlicherweise gab es auch Rückgänge in einem Bereich, der 2020 eigentlich ohne Einschränkungen weiterarbeiten konnte: „Die Zahl der Erwerbstätigen im Baugewerbe verringerte sich um 1.100 Personen (- 0,7 Prozent) und in der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei betrug der Rückgang knapp 800 Erwerbstätige (- 2,8 Prozent).“
Aber es gab auch einen Wachstumsbereich: „Nur der Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit konnte mit einem Plus von knapp 2.900 Erwerbstätigen bzw. +0,4 Prozent einen Zuwachs verbuchen, der ausschließlich aus dem Gesundheits- und Sozialwesen resultierte und die Rückgänge innerhalb des gesamten Bereichs aufhob.“
Noch federt Kurzarbeit das ganze Geschehen ab. Und noch versuchen auch viele Selbstständige – man denke an Gastronomen und Ladenbesitzer – irgendwie durchzuhalten in der Hoffnung, dass sie nach Ende des Lockdowns bald wieder öffnen dürfen. Jede Woche, die sie länger schließen müssen, verschärft ihre finanzielle Lage. Und viele werden im Frühjahr einen Berg von Schulden aufgetürmt haben, für den sie Jahre brauchen werden, um ihn abzutragen. Sofern ihr Geschäftsfeld nicht von einem amerikanischen Steuervermeidungskonzern gekapert wurde.
Keine guten Aussichten für unsere Geschäftsstraßen und Innenstädte. Und keine für die Vielfalt, die das öffentliche Leben erst attraktiv macht. Die Erwerbstätigenbilanz für 2020 verbirgt noch, mit welchen Schäden wir uns im Frühjahr konfrontiert sehen werden.
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