In der Bürgerumfrage 2019 wollten Leipzigs Statistiker/-innen nicht einfach nur die Rangfolge der Probleme nach ihrem gewohnten Schema abfragen. Sie wollten auch wissen, ob das Schema so irgendwie stimmt. Das taten sie, indem sie einen Teil der Befragten offene Antworten geben ließen. Erstaunlich: die Ergebnisse stimmten so ziemlich überein. Auch beim Thema Verkehr.

Auch wenn der Verkehr mit 60 Prozent der Nennungen erst einmal haushoch vorne liegt, anders als bei der geschlossenen Frage, wo die „Sicherheit“ vorne liegt: „Auf den ersten Blick ergeben sich dabei deutliche Unterschiede in der Problemwahrnehmung: Als dringendstes Problem wird der Verkehr mit über 60 Prozent genannt, wobei dies sowohl für die älteren als auch die jüngeren Befragten gilt.“Aber so wie „Sicherheit“ nicht für alle Menschen dasselbe bedeutet, ist es auch beim Verkehr: „Ein Vergleich zwischen offener und geschlossener Abfrage macht deutlich, dass die Rangfolge der Problemwahrnehmungen stabil bleibt. Zwar wirkt es auf den ersten Blick, als würden die unter Abbildung 8–4 aufgezeigten drängendsten Probleme Kriminalität und Sicherheit und Wohnen an Relevanz verlieren, doch ist dem nicht so. Die fünf unterschiedlichen Aspekte des geschlossenen Sets konzentrieren sich hingegen im Verkehr. Die prozentualen Anteile sind relativ stabil: Bis auf den Bereich Verkehr und die medizinische Versorgung ist die Differenz in Prozentpunkten kleiner zehn.“

Das heißt: Einige Verkehrsprobleme tauchen im geschlossenen Set als eigenständige Probleme auf, der ÖPNV zum Beispiel mit 21 Prozent, Parkplätze mit 20 Prozent, der Straßenzustand mit 18 Prozent usw.

In der offenen Frage tauchen dann die einzelnen Verkehrsprobleme ganz von selbst auf. Die Befragten werden nicht vom Fragebogen schon mal auf feste Stichpunkte hingestubst, sondern sagen einfach aus ihrem Bauchgefühl heraus, wo sie Probleme sehen.

Ergebnis: „Innerhalb der offenen Nennungen zum Thema Verkehr zeigen sich vor allem größere Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Insbesondere die Gruppe der 35- bis 54-Jährigen sieht dabei überdurchschnittlich häufig ein generelles Problem beim Thema Verkehr in Leipzig. Demgegenüber benennt die jüngste Teilgruppe (18 bis 34 Jahre) die zu hohen Kosten des ÖPNV sowie – überdurchschnittlich häufig – eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem ÖPNV.“

Die größten Probleme aus Sicht der Leipziger (offene Frage). Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrahe 2019
Die größten Probleme aus Sicht der Leipziger (offene Frage). Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2019

Eine Überraschung gibt es da nämlich trotzdem. Denn während 20 Prozent der Befragten in der geschlossenen Befragung ganz selbstverständlich ihr Kreuz bei „Parkplätze“ setzten, kamen sie in der offenen Befragung meist gar nicht auf die Idee. Die Statistiker: „Neben diesen wurde sich auch noch zu Parkplätzen (2 Prozent) und zur Elektromobilität (<1 Prozent) geäußert.“

Wir lassen das einfach mal so stehen, weil es zumindest ahnen lässt, dass die Leipziger das Parkproblem alle aus völlig unterschiedlichen Perspektiven wahrnehmen.

Bei anderen Verkehrsthemen ist die Problemwahrnehmung hingegen sehr eindeutig.

31 Prozent der Befragten empfinden die ÖPNV-Kosten als zu hoch. Eine Botschaft, die der Stadtrat wenigstens zur Kenntnis nehmen sollte. Denn für 2019 und 2020 hat der Stadtrat ja ein Fahrpreismoratorium für die LVB beschlossen, sodass die Fahrpreise zwei Jahre lang einmal eingefroren wurden. Was aber passiert 2021? Gibt es ein neues Moratorium oder eine neue Fahrpreiserhöhung?

Was nicht unwichtig ist mit Blick auf die Problemwahrnehmung der Leipziger/-innen, denn damit ist der Fahrpreis für Bus und Bahn das größte Leipziger Verkehrsproblem.

Gefolgt vom (Zustand des) ÖPNV allgemein (23 Prozent), dem Fahrradverkehr (21 Prozent) und der Verkehrsinfrastruktur (14 Prozent).

Wobei der Bericht keine Auskunft dazu gibt, was die Leipziger/-innen hier am Fahrradverkehr problematisch finden – die Radwege oder eher das Verhalten der Radfahrer/-innen? Das ist wieder so ein Punkt, wo Differenzierung nötig wäre.

Übrigens genauso wie beim Problempunkt Autoverkehr, den immerhin 9 Prozent der Befragten nannten und der bei den geschlossenen Fragen gar nicht auftaucht. Aber was steckt da drin: Problematisieren hier Autofahrer ihr Gefühl im Leipziger Straßennetz oder problematisieren Nicht-Autofahrer den zunehmenden Autoverkehr?

Was dann wieder zu den Problemwahrnehmungen zu ÖPNV und Radverkehr passen würde und unterstreichen würde, was in den konkreten Befragungen zum Nachholbedarf in der Leipziger Verkehrspolitik sichtbar wurde. Radverkehr und ÖPNV wurden viel zu lange vernachlässigt. Auf beiden Feldern ist ein riesiger Investitionsbedarf entstanden, der endlich abgebaut werden muss, wenn die beiden Verkehrsarten in der Leipziger Mobilitätswende endlich eine Rolle spielen sollen und die 2012 verkündeten Ziele in der Nutzung der Verkehrsmittel endlich eine reale Chance auf Umsetzung bekommen sollen.

Oder einmal so formuliert: So deutlich wie keine Bürgerumfrage zuvor zeigt die von 2019, wie Leipzigs Stadtpolitik das Thema Mobilitätswende seit 2012 vergeigt und versemmelt hat. War jetzt etwas bildhaft, stimmt. Trifft aber wohl den Kern dessen, was man gerade in den Verkehrskapiteln im Bericht zur Bürgerumfrage lesen kann.

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