Da macht eine Hochschule wie die FOM mal eine kluge Umfrage zu dem elementaren Thema Nachhaltigkeit und Konsum. Aber wenn man die Ergebnisse dann auswertet, kommt man doch wieder nicht aus den Denkblockaden heraus und macht die Verbraucher verantwortlich dafür, dass sie nicht einfach ihr Verhalten ändern. „Für die Umwelt schränken sich nur wenige ein“, titelte die FOM Hochschule in ihrer Pressemitteilung zur Umfrage.
Dabei hat man sich ernsthafte Fragen gestellt: „Wie wichtig ist uns das Wohl von Tieren? Sind wir bereit, mehr für nachhaltige Mode und Lebensmittel zu zahlen? Oder öfter mal mit dem Rad zu fahren?“
Um herauszufinden, wie das wirtschaftliche Leben in Deutschland zukünftig aussehen könnte, befragten Studierende der FOM Hochschule bundesweit über 18.000 Menschen zu ihrer Einstellung rund um die Themen Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Mikroplastik, Meeresverschmutzung und Fleischverzehr. Zentrales Ergebnis: Der Großteil der Bundesbürger hält zwar viele Maßnahmen zur Umweltschonung für wirksam, setzt sie im eigenen Alltag aber nicht in die Tat um.
Dumm nur, dass die FOM ihre Studierenden nicht fragen ließ, warum das so ist. Da würde man nämlich beim verlogenen Modell des „mündigen Verbrauchers“ landen, der erstens alles weiß über die Produkte im Laden (und ihre Herstellungsbedingungen) und vor allem barrierearm wechseln kann. Nur: Die Wahl haben die meisten Menschen nicht. Dafür sind unsere Stores und Supermärkte nicht eingerichtet mit ihrem über Jahrzehnte geprägten Billig-Modell.
Verbraucher-Bashing ist immer eine schöne Ausrede, wenn man die Produzenten nicht ernsthaft in die Pflicht nehmen will.
Warum fahren wir eigentlich nicht jeden Tag mit dem Fahrrad?
Aber es beginnt ja schon mit dem Wechsel in ein nachhaltiges Mobilitäts-Modell. Leipziger Radfahrer/-innen und ÖPNV-Nutzer können ein Lied davon singen.
In persönlichen Interviews fanden die Studierenden unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Dr. Oliver Gansser – wie zu erwarten – heraus, dass es einen Widerspruch zwischen der Denkweise und der tatsächlichen Lebensführung beim Thema Nachhaltigkeit und Umwelt gibt.
So fährt aktuell nicht einmal jeder Zweite in Deutschland verstärkt mit dem Rad oder geht zu Fuß, obwohl 84 Prozent der Befragten überzeugt sind, dass dies dem Umweltschutz zugutekäme. Eine ähnliche Diskrepanz zeigt sich auch bei der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs: Von der überwiegenden Mehrheit (77 %) als wirksame Maßnahme für mehr Klimafreundlichkeit eingeschätzt, werden Busse, Bahnen und Co. allerdings nur von 36 Prozent der Bundesbürger regelmäßig genutzt.
An der Stelle hätte man wirklich die Frage nach dem Warum und den Hindernissen für den Wechsel erwartet. Aber die kam nicht.
Wer aber so das Verhalten der Menschen beurteilt, schiebt ihnen wieder den schwarzen Peter zu und negiert, wie stark politische Entscheidungen und vor allem Geld (und damit verbundener Einfluss) darüber bestimmen, wie leicht es fällt, eine umweltfreundliche Wahl zu treffen. Oder wie hoch die Hürden sind, das zu tun. Und dafür steht nicht nur die seit Jahrzehnten aufs Auto zugeschnittene Verkehrspolitik in Deutschland.
Deswegen geht es im nächsten Abschnitt auch nicht um „Verbraucherverhalten in Deutschland“, wie die FOM meint, sondern um die Zwänge und Barrieren für ein faires und transparentes Warenangebot.
Sind die Verbraucher zurückhaltend, oder sind die Ladenpreise verlogen?
Obwohl FOM wieder formuliert: „Auch beim Thema Konsum sind die Menschen in Deutschland eher zurückhaltend in puncto Umweltschutz: Obwohl neun von zehn Befragten den Erwerb von Kleidung aus fairer und nachhaltiger Herstellung als wirksam oder teilweise wirksam einschätzen, kaufen nur 22 Prozent regelmäßig nachhaltig produzierte Waren. Immerhin setzen 56 Prozent der Konsumenten regelmäßig auf den Kauf langlebiger Produkte, die qualitativ hochwertig und damit länger haltbar sind. Das seit langer Zeit existierende System der Mülltrennung wird von der überwiegenden Mehrheit der Bundesbürger (91%) oft oder regelmäßig genutzt.“
Warum so ein Zungenschlag in die Auswertung der FOM-Umfrage kommt, wird klar, wenn die Auswertung das Thema Geld thematisiert: Nämlich genauso, wie Nachhaltigkeit in den letzten Jahren immer mit Geld assoziiert wurde. Das wurde ja den Konsumenten regelrecht ins Hirn getrichtert, dass Umweltschutz in der Produktion mehr kostet, jeder also mehr Geld blechen muss, wenn er sich umweltfreundlich als Konsument betätigen möchte. Als gäbe es eine Art Strafzahlung auf umweltfreundlich hergestellte Produkte, obwohl es die eigentlich auf den üblichen Billigkram geben müsste, der unter massiven Umwelt- und Klimaschäden hergestellt wird.
Bei FOM ist augenscheinlich noch nicht angekommen, dass die Billig-Wirtschaft genau deshalb gegen eine CO2-Abgabe kämpft und gegen das dringend notwendige Lieferkettengesetz.
Wie sagte doch der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland, Stefan Genth, laut „Spiegel“ so herzhaft? „Ein nationales Lieferkettengesetz würde die Textilhändler in Deutschland im internationalen Wettbewerb massiv benachteiligen. Neben höheren Kosten sind vor allem auch Rechtsunsicherheiten programmiert. Die Unternehmen dürfen nicht als Ersatzpolizei für die Einhaltung von Recht und Gesetz in den Produktionsländern herhalten.“
Die Rechtsunsicherheiten kommen, weil die großen Einzelhandelskonzerne ihre Produktion in Fernost dubiosen Produzenten überlassen, die unter fragwürdigen Arbeitsbedingungen und unter nicht kontrollierten Umweltbelastungen das Billigzeug für deutsche Filialen herstellen. Die Globalisierung wird zur faulen Ausrede dafür, die Produktionsbedingungen der eigenen Produkte nicht mehr kennen zu wollen, wohl wissend, dass man so billig nur produzieren kann, wenn man sämtliche in Deutschland geltenden Standards massiv unterläuft.
Das Lieferkettengesetz ist schon aus Umweltgründen überfällig.
Die Bürger sind bereit, mehr für nachhaltige Lebensmittel zu zahlen
Die Auswertung der FOM Umfrage ergab zudem, dass sich rund 12 Prozent der Bevölkerung vegetarisch und 3 Prozent vegan ernähren.
Und dann wundert sich die FOM doch wieder über das Befragungsergebnis: „Dennoch liegt der großen Mehrheit (95 %), also auch den ,Fleischessern‘, das Wohl von Tieren am Herzen. 90 Prozent der Befragten sind sogar bereit, mehr für nachhaltige Ernährung zu bezahlen. Zudem hat sich in der Umfrage das Klischee, dass vegane Ernährung teuer ist, nicht bestätigt: Während Veganer hierzulande rund 250 Euro monatlich für Lebensmittel ausgeben, zahlen Vegetarier im Schnitt 260 Euro. Diejenigen, die sich ohne den Verzicht auf tierische Lebensmittel ernähren, bringen pro Monat sogar rund 283 Euro für ihre Mahlzeiten auf.“
Was ja wohl im Klartext heißt: Wenn sich die Fleischproduktion in Deutschland endlich mit Tierwohl und Umweltschutz verbindet und Fleischprodukte teurer werden, sind die Deutschen bereit, das so auch im Laden zu bezahlen. Genauso übrigens wie eine ehrliche Bezahlung in den Tierfabriken, von der die Konzerne behaupten, das ginge nicht. Am 1. September ärgerte sich ja auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil öffentlich über die massive Lobbyarbeit der Fleischkonzerne, eine faire Bezahlung in ihren Fabriken zu verhindern.
„Ich werde mich von Ablenkungsmanövern von dem Gesetz nicht mehr abbringen lassen. Und ich kann Bundestag und Bundesrat nur davor warnen, den Entwurf durch massive Lobbyarbeit verwässern zu lassen“, zitiert ihn der „Spiegel“.
Und auch zu Plastikmüll bekamen die FOM-Studierenden ein Ergebnis: Auf die Frage, welche Umweltprobleme dringend gelöst werden sollen, landete die Vermeidung von „Plastikmüll in den Weltmeeren“ (85 % Zustimmung) auf Platz 1, gefolgt von „Klimawandel“, „Artensterben in der Tier- und Pflanzenwelt“ und „Abholzung von Wäldern“ (je 80 %).
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 82: Große Anspannung und Bewegte Bürger
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