Wer erinnert sich eigentlich noch an den Leipziger OBM-Wahlkampf Anfang des Jahres, als im Januar auf einmal die Themen vรถllig kippten, nachdem der Einsatz der Leipziger Polizei am Connewitzer Kreuz zu Silvester so seltsam entgleiste? Und auf einmal wurde nur noch รผber das Thema Sicherheit in Leipzig diskutiert. Mitsamt der seltsamen Behauptung eines Kandidaten, Leipzig habe seit 2016 sogar 300 Polizist/-innen mehr bekommen?

Schnee von Gestern? Nicht wirklich. Denn die Diskussion verzerrte รผber zwei Monate noch einmal vรถllig das Bild, welche Probleme in Leipzig tatsรคchlich gรคren und gelรถst werden mรผssen. Auf einmal hatte man es mit einer regelrechten Kampagne zu tun, die den braven Couchpotatoes suggerierte, die Kriminalitรคt in Leipzig wรผrde immer schlimmer. Und wenn doch mehr Polizisten da seien, mรผsse ja der Kriminalitรคtsaufwuchs noch heftiger sein.

Beides stimmt nicht. Das Amt fรผr Statistik und Wahlen der Stadt Leipzig hat gerade die Kriminalitรคtszahlen fรผr die letzten Jahre zusammengefasst. Das Ergebnis ist eigentlich deutlich: Schnellten die gezรคhlten Straftaten von 2015 zu 2016 von 73.614 auf 88.615 hoch und hatte Leipzig auch 2017 mit 79.383 gezรคhlten Straftaten noch ein echtes Thema zum Diskutieren, sanken die Zahlen 2018 und 2019 auf 72.045 und 71.696 ab.

Schon damals war klar, dass der massive Zuwachs an Straftaten 2016 vor allem auf das Konto von Dieben und Einbrechern ging. Nachdem organisierte Einbrecherbanden zuvor schon Bundeslรคnder im Sรผden und Westen systematisch abgegrast hatten, waren sie in dieser Zeit augenscheinlich in Sachsen aktiv.

Und das wusste auch der zustรคndige Innenminister, der damals den Ankauf der Vorhersage-Software PreCops in die Planung aufnahm. Getestet in Leipzig wird die Software seit 2019. Da waren freilich die mobilen Einbrecher schon weitergezogen.

Und natรผrlich wurde damals auch eifrig darรผber diskutiert, ob mit der Technik auch echte Polizisten zu ersetzen wรคren. Es ist ja immer Not am Mann. Und die sรคchsische Not hat der damalige Innenminister Markus Ulbig 2011 mit der vรถllig sinnfreien โ€žPolizeireform 2020โ€œ selbst erzeugt.

รœbrigens eine Not, aus der die Polizeidirektion Leipzig noch lange nicht heraus ist. Auch die sรคchsische Normal-Soll-Stรคrke wird frรผhestens 2024 wieder erreicht.

Aber im OBM-Wahlkampf wurde ja auch frรถhlich behauptet, Leipzig habe seit 2016 volle 300 Polizist/-innen mehr bekommen.

Man kann ja im Wahlkampf augenscheinlich viel behaupten. Stimmen muss es noch lange nicht. Und es stimmt auch nicht. Dazu genรผgt ein Blick in die Landtagsanfragen der Linksfraktion, die die jeweiligen Innenminister auch immer ganz brav beantworten. Dazu kann man sich die Anfrage von Enrico Stange (Die Linke) von 2016 herauskramen und findet dort zur Polizeidirektion Leipzig die Soll-Stรคrke von 2.608 Vollzugs-Beamt/-innen (mit den zivilen Angestellten wรคren es noch einmal rund 480 mehr. Aber die laufen ja nicht Streife, verhaften keine Einbrecher, bewachen keine Demos und mรผssen auch keine Mรถrder suchen).

2016 steckte ganz Sachsen noch in den fatalen Folgen der โ€žPolizeireformโ€œ. Und Leipzig hatte noch Glรผck: Es hatte tatsรคchlich noch 2.621 Beamte und Beamtinnen im Einsatz. Darunter auch viele รคltere.

Hรคtte die Behauptung im OBM-Wahlkampf eine belastbare Substanz gehabt, mรผssten also heute in Leipzig รผber 2.900 Vollzugsbeamt/-innen ihren Dienst tun.

Aber das ist ein Mรคrchen. Tatsรคchlich hat Leipzig bis 2019 weitere einsatzfรคhige Polizist/-innen verloren, wie eine Anfrage von Kerstin Kรถditz (Die Linke) ergab. Sogar die Soll-Stรคrke fรผr Leipzig ist nur leicht gestiegen โ€“ auf 2.629. Was im Klartext heiรŸt: Der Innenminister hatte gar nicht vor, die Leipziger Polizeidirektion derart aufzustocken, wie das im Wahlkampf behauptet wurde.

Da aber die Abgรคnge (oft aus Grรผnden der Berufsunfรคhigkeit) stรคrker waren als geplant, hat Leipzig gegenรผber 2016 sogar noch einsetzbare Vollzugsbeamt/-innen verloren. Ihre Zahl sank auf 2.509 im vierten Quartal 2019. Die tatsรคchliche Nachricht hรคtte also gelautet: Leipzig hat seit 2016 nicht 300 Polizist/-innen mehr bekommen, sondern sogar 100 weniger gehabt.

Daran hat sich bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht viel geรคndert, auรŸer dass das Innenministerium endlich โ€“ nach immerhin neun Jahren โ€“ die Soll-Stรคrke fรผr Leipzig wieder hรถher gesetzt hat: auf 2.738. Das klingt prima, wรผrde es ja bedeuten, dass Leipzig tatsรคchlich rund 140 Polizist/-innen mehr haben mรผsste.

Aber wie schon die ganzen Anfragen in den letzten Jahren zeigten, greift die Korrektur der โ€žPolizeireformโ€œ auch und gerade in Leipzig viel spรคter als gedacht.

Denn von diesen zusรคtzlichen Polizist/-innen ist weit und breit (noch) nichts zu sehen. Ganze 2.579 versahen im ersten Halbjahr 2020 ihren Dienst in Leipzig, wie die neuerliche Anfrage von Kerstin Kรถditz (Die Linke) ergab. Schon ein paar mehr als 2019, aber noch fast 150 weniger, als eigentlich nach Soll-Stรคrke da sein sollten.

Was รผbrigens nur in Leipzig so ausgeprรคgt ist. In Dresden wurde die geplante Soll-Stรคrke von 2.218 Vollzugsbeamt/-innen mit 2.234 lรคngst erreicht.

Mal ganz zu schweigen davon, dass nicht der Oberbรผrgermeister (egal, wer das nun gerade ist) in Leipzig die Polizisten bestellt, sondern der Innenminister.

Kommission empfiehlt, das Ziel von 14.000 Polizisten bis 2024 beizubehalten

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