Am 7. August veröffentliche das Bundesverfassungsgericht die Meldung zu einem Urteil, das schon im Juli gefällt wurde. Es betrifft auch Leipzig – so wie jede Stadt, der in den letzten Jahrzehnten vom Bund Aufgaben übergeholfen wurden, die durch Bundeszuweisungen finanziell nicht abgedeckt waren. „Regelungen der Bedarfe für Bildung und Teilhabe wegen Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts mit dem Grundgesetz unvereinbar“, titelte das Gericht.

Der Bund beschloss also mal wieder ein Gesetz, mit dem den sozial Schwachen finanziell unter die Arme gegriffen werden kann. Aber die Hauptlast der Finanzierung bürdete er den eh schon klammen Kommunen auf. Besonders betroffen zeigten sich die Kommunen in Nordrhein-Westfalen: Sie zogen vor Gericht, weil sie eh schon unter Schuldenbergen ächzten, die sie nicht abtragen können.

Und bekamen recht.

„Das Urteil ist eine erneute Ohrfeige aus Karlsruhe für die Bundesregierung. Das ist keine Überraschung: Die verfassungsrechtlich bedenkliche Übertragung von Aufgaben an die Kommunen ist ja seit vielen Jahren geübte Praxis. Vor knapp 10 Jahren hat das Verfassungsgericht NRW zum Beispiel auch die Finanzierung der U3-Betreuung durch die Kommunen beanstandet“, kommentiert Bernd Riexinger, der Bundesvorsitzende der Linken, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, nach dem die Ausweitung der Aufgaben der Kommunen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes nicht verfassungsgemäß ist.

Denn betroffen sind vor allem Kommunen, die sowieso schon unter enormen Sozialausgaben ächzen. In Sachsen ist es Leipzig, das 2019 für solche Sozialausgaben wieder 408 Millionen Euro bereitstellen musste – darunter 158 Millionen Euro für Kinder und Jugendliche. Zum Vergleich Dresden: Da waren es nur 277 Millionen Euro, davon knapp 80 Millionen für Kinder und Jugendliche. Leipzig ist dabei ein sehr typisches Beispiel, weil es zeigt, wie sich die Armut der Eltern vererbt. Denn stärker als jede andere Stadt in Sachsen wurde Leipzig nach 1990 von der Deindustrialisierung getroffen, was auch für mehr als zwei Jahrzehnte eine überdurchschnittliche Arbeitslosenquote und eine ebenso überdurchschnittliche Armutsquote mit sich brachte.

Zeitweilig galt Leipzig als deutsche Armutshauptstadt – bis dann ab 2010 endlich der wirtschaftliche Aufschwung griff. Viel zu spät freilich, um die „Armutskarrieren“ vieler Leipziger Familien zu beenden. Die offizielle Armutsquote sinkt nur langsam, ist mit über 20 Prozent auch unter Kindern noch erschreckend hoch.

Die Bundesregierung bekommt es mit all ihren kleinen Paketchen einfach nicht hin, die Kinder aus der Armut zu holen. Was Städte wie Leipzig dazu zwingt, lauter Unterstützungsprogramme aufzulegen.

„Der Skandal ist, dass sich Kommunen als schwächstes Glied in der Hackordnung der staatlichen Gliederungen ihr Recht wieder und wieder vor Verfassungsgerichten erkämpfen müssen. Es wäre doch einmal eine schöne Neuerung, wenn Bundes- und Landesregierungen neue Leistungen der Kommunen und deren Finanzierung von vornherein verfassungsgemäß absichern würden. Das Verhalten der Verantwortlichen erinnert zuweilen an das von Vermietern, die rechtlich nicht haltbare Mieterhöhungen durchführen, in der Hoffnung, dass kein Einspruch erhoben wird“, kommentiert Riexinger die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

„Die Übertragung von Aufgaben ohne Gegenfinanzierung ist ein wesentlicher Grund für die finanzielle Schieflage der Kommunen. Dass das Bundesverfassungsgericht das in einem Fall jetzt gekippt hat, ist eine gute Nachricht für die Kommunen, die ja auch durch Corona erhebliche finanzielle Belastungen zu bewältigen haben.“

Es ist ein Verschiebebahnhof der Finanzlasten, der übrigens elementar dazu beigetragen hat, dass Bund und Länder sich über “schwarze Nullen” freuen und “Haushaltsüberschüsse” feiern – während die Kommunen aufgrund ihrer sozialen Aufgabenlast wichtige Ausgaben für Investitionen und Personal kappen mussten. Mit fatalen Folgen, wie in Leipzig seit zehn Jahren zu erleben – das fehlende Personal bremst Planungen aus, Investitionen in Straßen, Schulen und Kitas stauen sich über Jahre auf und die Bürger leiden darunter, besonders die Eltern.

„Um die Kommunen langfristig auf finanziell solide Füße zu stellen, muss der kommunale Einnahmeanteil am Gesamtsteueraufkommen deutlich angehoben werden“, schlägt Riexinger vor. „Die Gewerbesteuer wollen wir zu einer Gemeindewirtschaftssteuer weiterentwickeln. Dafür müssen die Bemessungsgrundlage erweitert und freie Berufe, wie vom Deutschen Städte- und Gemeindebund gefordert, mit einbezogen werden. Das sollte eingebettet sein in eine Gemeindefinanzreform, die unter anderem einen Altschuldenfonds für überschuldete Kommunen beinhaltet.“

Während Sozialausgaben in den Landkreisen sanken, stiegen sie in Leipzig 2018 weiter an

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Die neue Leipziger Zeitung Nr. 81: Von verwirrten Männern, richtigem Kaffee und dem Schrei der Prachthirsche nach Liebe

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