Es war immer ein riesiges Loch in der Statistik der Reichtumsverteilung in Deutschland: Es gab kaum Zahlen zu den wirklich Reichen und Superreichen. Denn von Natur aus sind das natürlich seltene Wesen. Bei normalen Bürgerumfragen tauchen sie kaum mal auf. Was jahrelang den Eindruck vermittelte, Deutschland sei ein Land, in dem die Kluft zwischen Armen und Reichen nicht ganz so groß ist wie in anderen Ländern. Das DIW hat das Loch jetzt gestopft.

Jahrelang galt auch die Ansicht, es gäbe keine Methode, die Superreichen irgendwie zu erfassen. Die Finanzämter geben ja keine eigenen Statistiken heraus, die Steuerparadiese auch nicht. Und auch das regelmäßig erhobene Sozio-oekonomische Panel (SOEP) erfasst fast ausschließlich die unteren Einkommensgruppen bis zur unteren Gruppe der Millionäre, den Haushalten, die so ungefähr 3 Millionen Euro besitzen.

Das ist zwar schon Reichtum und verleitet zu einigen wirklich teuren und umweltschädlichen Anschaffungen. Aber im Sinne von wirksam und mächtig ist das kein Reichtum. Der beginnt in ganz anderen Dimensionen, die die Forscher eher bei 200 bis 250 Millionen Euro ansetzen. Da aber solche Vermögenden im SOEP so gut wie gar nicht auftauchen, musste 2019 eine Zusatzstichprobe erhoben werden, die insbesondere diese Superreichen untersuchte und ermittelte, wie viel Besitz sie wirklich auf sich vereinen.

Schon vorher gab es ja diverse „Reichenlisten“ – etwa von Forbes – die die Forscher auch noch zusätzlich herangezogen haben, um die darin aufgelisteten Millionäre und Milliardäre besser zu erfassen.

Aber obwohl die Listen schon einen Ansatzpunkt gaben, wie schief die üblichen deutschen Statistiken zur Vermögensverteilung waren, waren selbst die Autoren der Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin überrascht. Denn mit dem Ergebnis ihrer Untersuchung verschoben sich einige Schwerpunkte: Die reichsten Deutschen sind noch viel reicher als bisher angenommen – und sie besitzen einen viel größeren Anteil am Gesamtreichtum des Landes.

„Mit SOEP-P steigen also die gemessenen Vermögen im oberen Bereich und damit die gemessene Ungleichheit deutlich“, schreibt das DIW zum Ergebnis der Untersuchung. „Dies zeigt sich auch an einem Standardmaß zur Messung von Vermögensungleichheit, dem Gini-Koeffizienten: Je höher sein Wert, desto ungleicher sind die Vermögen verteilt. Schon auf Basis der regulären SOEP-Population liegt der Gini-Koeffizient bei 0,78. Mit SOEP-P steigt der Index auf 0,81. Nach zusätzlicher Berücksichtigung der Top-700 laut Manager Magazin steigt der Index nochmals und beträgt dann 0,83. Damit liegt die Vermögensungleichheit in Deutschland auch im internationalen Vergleich auf einem hohen Niveau.“

Was eben auch erklärt, warum ein großer Teil der Bevölkerung überhaupt kein Vermögen besitzt.

„Das hohe Ausmaß der Vermögenskonzentration wird durch einen weiteren Indikator bestätigt, dem Anteil am Gesamtvermögen, den ein bestimmter Teil der Bevölkerung am individuellen Gesamtvermögen hält“, schreibt das DIW. „Im regulären SOEP verfügen die oberen zehn Prozent über knapp 59 Prozent des Gesamtvermögens, die oberen fünf Prozent halten etwa 44 Prozent, das vermögendste eine Prozent der Bevölkerung etwa 22 Prozent und die Top-0,1-Prozent noch etwa sieben Prozent.“

Was eben nicht nur eine deutliche Ungleichverteilung von Vermögen ist. Denn Vermögen heißt ja nicht ohne Grund so: Wer viel Vermögen hat, kann auch viel bewirken – indem er investiert zum Beispiel, Besitz zukauft, Firmen aufkauft oder auch Geld in die Beeinflussung von Politik steckt. Nicht nur in Parteien und Abgeordnete, sondern auch in Lobbyorganisationen, Stiftungen, die ihrerseits massiven Einfluss auf politische Willensbildungen nehmen.

Das explizite Beispiel ist ja die Bertelsmann-Stiftung, die seit Jahren massiv Einfluss nimmt auf die deutsche Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik. Natürlich mit einem Programm, das nur nach außen hin gemeinnützig ist, im Kern aber immer private Interessen verfolgt.

Wie sich die Reichtumsverteilung mit dieser Untersuchung deutlich verschiebt. Grafik: DIW
Wie sich die Reichtumsverteilung mit dieser Untersuchung deutlich verschiebt. Grafik: DIW

Aber der Schritt, den die DIW-Forscher gegangen sind, zeigt, dass eine winzige Gruppe von Superreichen noch viel mehr Vermögen besitzt – also noch viel mehr zu bewirken vermag: „Nach Integration von SOEP-P steigt die gemessene Vermögenskonzentration deutlich auf rund 64 Prozent (oberstes Zehntel der Verteilung), 51 Prozent (oberste fünf Prozent), 29 Prozent (oberstes eine Prozent) beziehungsweise knapp 13 Prozent (oberste 0,1 Prozent).“

Die oberen zehn Prozent besitzen also nicht nur 64 Prozent allen Vermögens in Deutschland. Das gibt ihnen auch enormen Einfluss, den die Deutschen dann immer wieder beobachten können, wenn Worte wie Privatisierung, Effizienz, „die Wirtschaft“ oder Steuersenkung auftauchen.

Es gibt ja ein, zwei Parteien, die seit Jahren mit keinen anderen Kernbotschaften in die Wahlkämpfe ziehen und dabei auch die Stimmen von Wähler/-innen einsammeln, die bei all den Steuersenkungen der vergangenen 30 Jahre nie betroffen waren, weil sie nicht einmal ansatzweise so hohe Einkommen hatten, dass Steuersenkungen für ihr Budget irgendetwas bewirkt hätten.

Aber weil das so ist, sind alle Diskussionen über die Erbschafts- und Vermögenssteuer, die Spitzensteuersätze und die Probleme der Renten- und Krankenkassen seit Jahrzehnten wie betoniert, haben sich gerade die sogenannten „Leistungsträger“ systematisch aus der Solidargemeinschaft verabschiedet und verfügen über seit Jahren steigende Vermögen, mit denen sie immer stärkeren Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen.

Und wahrscheinlich ist das Ungleichgewicht noch viel stärker, wie das DIW feststellt: „Ein weiterer Zuwachs der gemessenen Vermögenskonzentration ist nach der Berücksichtigung der Fälle aus der Reichenliste des Manager Magazins zu verzeichnen. Dann liegen die Werte bei rund 67, 55, 35 beziehungsweise 20 Prozent. Anders formuliert besitzen hiernach die unteren 90 Prozent nur rund ein Drittel des gesamten individuellen Nettovermögens (im regulären SOEP alleine waren es bisher immerhin noch 40 Prozent).“

Die oberen zehn Prozent aber verfügen über 67 Prozent des Reichtums. Wobei den wirklichen Einfluss eher das reichste eine Prozent an der Spitze ausübt, das allein über 35 Prozent des messbaren Reichtums in Deutschland verfügt.

„Millionär/-innen verfügen nicht nur über höhere Vermögen – sie legen diese auch anders an“, schreibt das DIW. „Die untere Hälfte der Vermögensverteilung verfügt im Durchschnitt über ein Bruttovermögen von etwa 11.000 Euro. Davon entfallen mehr als 29 Prozent (rund 3.200 Euro) auf Fahrzeuge, etwa ein Viertel (rund 2.700 Euro) auf selbst genutztes Wohneigentum und jeweils rund 15 Prozent (etwa 1.600 beziehungsweise 1.500 Euro) auf Geldanlagen und private Versicherungen.“

Und die Superreichen?

Etliche von ihnen sind tatsächlich Unternehmer. Ihr Geld steckt also zum größten Teil in Betriebsvermögen. Aber gleich danach kommen Immobilienbesitz und Geldanlagen. Denn wer viel Geld zur Verfügung hat, lässt es – wie es so schön heißt – „arbeiten“, steckt es also in Aktien und Immobilien. Auf beiden Feldern nimmt dieses Geld massiv Einfluss auf die Gesellschaft – beeinflusst den Wohnungsbau genauso wie die Aktienkurse und die Geldpolitik (und damit Handlungsspielräume) der Regierungen.

Wer bestimmen kann, wohin das Geld fließt, verfügt über eine stille, kaum sichtbare, aber enorme Macht.

Logisch, dass die DIW-Autoren am Ende die Diskussion (wieder) eröffnen, wie gravierend die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland mittlerweile ist und wie man sie verringern kann. Neben einem Sozialausgleich, in dem der Staat den Besitzlosen hilft, ein (kleines) Vermögen aufzubauen, werfen sie auch die Stichworte Erbschafts- und Vermögenssteuer wieder in den Raum und gehen auch kurz auf die immer gleichen Gegenargumente ein.

Was bleibt als Fazit: Deutschland hat keinen relativ geringen Gini-Koeffizienten, die Vermögen sind extrem ungleich verteilt. Und das Steuersystem, wie es derzeit ist, befördert die Umverteilung von unten nach oben und damit auch die zunehmende Entsolidarisierung der Gesellschaft.

Wer sind denn eigentlich die 13,7 Millionen Armen in Deutschland?

Wer sind denn eigentlich die 13,7 Millionen Armen in Deutschland?

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten unter anderem alle Artikel der LEIPZIGER ZEITUNG aus den letzten Jahren zusätzlich auf L-IZ.de über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall zu entdecken.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar