Beim Verband der Automobilindustrie (VDA) hofft man noch. Nach dem Einbruch wegen des Corona-Shutdowns würden die deutschen Autoverkäufe zwar gegenüber dem Vorjahr deutlich zurückgehen. Aber vielleicht werden zum Jahresende ja doch noch 2,8 Millionen neue Autos verkauft, seufzt der Verband in einem „Zeit“-Beitrag. Aber auch der VDIK meldet: „Der deutsche Pkw-Markt hat im ersten Halbjahr 2020 infolge der Coronakrise ein Minus von 35 Prozent verzeichnet.“ Auch der Juni brachte keine Entspannung.
Reinhard Zirpel, der Präsident des Verbandes der Internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK), sagte zu den jetzt vorliegenden Juni-Zahlen: „Die Corona-Pandemie hat auf dem deutschen Pkw-Markt zu einem historisch einmaligen Einbruch geführt. Der Rückgang der Neuzulassungen ist weitaus gravierender als zu Zeiten der Finanzkrise. Die Branche hofft nun darauf, dass die Maßnahmen des Konjunkturpakets insgesamt Wirkung zeigen. Dennoch müssen wir uns nach wie vor ernsthafte Sorgen um viele Betriebe und Arbeitsplätze machen.“
Der VDIK: „Auch im Juni kam es erwartungsgemäß zu einem deutlichen Rückgang der Neuzulassungen. Es wurden 220.300 Pkw neu registriert (minus 32 Prozent), allerdings hatte der Juni 2020 zwei Arbeitstage mehr als der Vorjahresmonat. Ohne diese zusätzlichen Tage läge das Minus bei rund 40 Prozent.“
Dass das nur zum Teil mit Corona zu tun hat, merkte der VDA zumindest selbstkritisch an. Die „Zeit“ zitiert VDA-Chefin Hildegard Müller mit den Worten: „Für die Automobilindustrie kommt hinzu, dass sie ihre Transformation für neue Antriebe und die Digitalisierung weiter vorantreibt. Das sind enorme Herausforderungen.“
Denn in der Krise steckten die Autobauer schon vor der Corona-Pandemie. Und da geht es nicht nur um klimafreundlichere Antriebe. Das ist nur die halbe Wahrheit. Das Auto selbst ist als Statussymbol und favorisiertes Fortbewegungsmittel in die Krise geraten. Eine Krise, die auf den ersten Blick kaum sichtbar ist. Auch nicht in den Leipziger Statistiken. Denn in den Leipziger Bürgerumfragen wird ja nun jedes Jahr emsig abgefragt, ob die Befragten ein Auto besitzen, wo sie damit hinfahren und ob sich ihre Verkehrsmittelwahl ändert.
Die ändert sich. Aber weder so schnell, wie das der Stadtrat eigentlich 2012 beschlossen hat, noch so, wie es im STEP Verkehr steht. Seit 2018 hat Leipzig nun zwar den Beschluss zum „Nachhaltigkeitsszenario“ in der Mobilität – aber umgesetzt ist davon noch nichts. Und die Rahmenpläne der Verwaltung deuten nicht an, dass sich daran vor 2024 irgendetwas ändert.
Die Leipziger/-innen satteln also um, obwohl es in der Verkehrsorganisation keine Fortschritte gibt. Und der Anteil der Autobesitzer sinkt nicht – oder eben nur leicht von 65 Prozent im Jahr 2011 auf 62 Prozent im Jahr 2015 und 60 Prozent im Jahr 2018. Also in so geringem Maße, dass – da ja Leipzigs Bevölkerung wächst – die Zahl der registrierten Pkw trotzdem immer weiter ansteigt.
Die einen schaffen ihr Auto nicht ab, weil es ihnen den Wocheneinkauf einmal die Woche ermöglicht (Rentnerpaare besitzen zu 78 Prozent mindestens ein Auto), die anderen brauchen es, weil mit ÖPNV die Familienorganisation nicht klappt (Paare mit Kindern besitzen zu 83 Prozent mindestens ein Auto).
Eher ohne Auto kommen nur alleinstehende Rentner (59 Prozent), Alleinerziehende (52 Prozent) und Singles (50 Prozent) aus. Und auch dort ist eher das fehlende Geld der Grund (wie wir in diesem Beitrag zur Bürgerumfrage feststellen konnten).
Was eben auch wieder deutlich macht, dass es bei einem klimafreundlichen Verkehr eben nicht um den guten Willen oder gar das Klimaengagement der Umsteiger geht, sondern um zwei knallharte Grundbedingungen: die Bezahlbarkeit von Mobilität und die Belastbarkeit und Attraktivität der Angebote. Da aber nicht abgefragt wird, ob die Stadt genug für den ÖPNV tut und was aus Sicht der Leipziger am ÖPNV fehlt, bleibt das eine riesige Leerstelle – in der Bürgerumfrage genauso wie in der Stadtpolitik.
Gefragt wird das nur beim Thema Radwege und für den Fußverkehr.
Und? Hat Leipzig in jüngster Zeit genug für den Radverkehr getan? 51 Prozent der 2018 Befragten sagten: Nein. Auch wenn die Statistiker aus den Gesamtantworten ein „genau richtig“ herauslesen. Denn wer genauer in die Tabelle schaut, sieht, dass das Meinungsbild von den Nicht-Radfahrern völlig verzerrt wird.
Die sagten zu 64 Prozent, dass die Stadt genug oder sogar zu viel für Radfahrer tut. Während selbst Leipziger/-innen, die nur selten Rad fahren, das nur zu 44 Prozent sagen. Wer aber mindestens einmal wöchentlich mit dem Rad unterwegs ist, sagt das nur zu 17 Prozent. Die Erfahrung im Verkehrsnetz zeigt viel zu deutlich, dass viel zu wenig getan wird.
Das heißt: Nur aus Autofahrersicht wird genug für Radwege getan. Aus Radfahrersicht eben nicht. Und logischerweise sagen mehr junge Leipziger, dass zu wenig getan wird (66 Prozent), als ältere (39 Prozent). Es sind ja vor allem auch die Jüngeren, die aufs Auto verzichten und dafür lieber mindestens ein Fahrrad im Hof stehen haben. Und die die Veränderung in der Verkehrsmittelwahl tatsächlich vorantreiben.
Während von den Leipziger Senioren nur 31 Prozent regelmäßig mit dem Rad fahren, sind es bei Schülern und Studenten 80 Prozent (in der Altersgruppe 18 bis 34 Jahre 63 Prozent).
Im Zeitvergleich hat die Fahrradnutzung insgesamt leicht zugenommen von 47 Prozent häufiger Nutzung im Jahr 2015 auf 51 Prozent im Jahr 2018.
Und im Allgemeinen ist man mit dem Angebot an Radanlagen recht zufrieden, hier stimmen 74 Prozent der Befragten zu. Was freilich als Aussage wenig nutzt, wenn die Hälfte der Befragten selten bis nie mit dem Fahrrad unterwegs ist. Denn die Probleme im Radnetz erfährt man nur, wenn man mit dem Rad die ganz alltäglichen Ziele ansteuert.
Aber nur 24 Prozent der Leipziger fahren mit dem Rad zur Arbeit, dafür 43 Prozent mit dem Auto. 25 Prozent nutzen S-Bahn, Straßenbahn und Bus. Was eben darauf hindeutet, dass Leipzig nach wie vor eher eine Autofahrerstadt ist, in der es leichter und sicherer ist, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren als mit dem Rad.
Und dass Mobilität nach wie vor eine Geldfrage ist. 84 Prozent der Gutverdienerhaushalte (über 3.200 Euro) besitzen mindestens ein Auto, bei den Haushalten mit Monatsbudgets zwischen 1.100 und 2.300 Euro sind es nur 55 Prozent.
Die Mobilität der Gutverdiener unterscheidet sich also signifikant von der Mobilität der Leipziger Normalverdiener.
Was dann zumindest andeutet, warum die Diskussion um die Fahrpreise der LVB und das 365-Euro-Ticket so eine Brisanz hat.
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