2019 sank die Zahl der in Leipzig Geborenen wieder. Im zweiten Jahr in Folge. 2017 hatte die Zahl der Neugeborenen mit 6.976 den Höchststand der vergangenen zwei Jahrzehnte erreicht. Die 7.000, die Leipzigs Statistiker noch in der vorletzten Bevölkerungsprognose als Rechengrundlage nahmen, bleibt Utopie. Was auch Dr. Christian Schmidt, den Leiter des Amtes für Statistik und Wahlen, verblüfft. Denn die Zahl der Frauen im geburtsfähigen Alter war so hoch wie lange nicht.
Schon in den Vorjahren hatte sich ja das Alter, in dem Frauen statistisch in Leipzig ihr erstes Kind bekommen, immer weiter verschoben. Lag es 1990 noch um das 20. Lebensjahr, liegt dieser Zeitpunkt mittlerweile um das 30. Lebensjahr herum. Mögliche Gründe dafür sind die viel länger gewordenen Zeiten bis zum Erreichen eines belastbaren Berufseinstiegs. Viele hochqualifizierte Arbeitsplätze brauchen ein Universitätsstudium, dessen Abschluss immer seltener sofort zu einer Anstellung im angestrebten Beruf führt. Immer öfter schieben sich befristete und prekäre Arbeitsverhältnisse dazwischen.
Und das geht nicht nur Frauen so, sondern auch Männern. Noch immer gilt die Geburt eines Kindes als Killer für eine berufliche Karriere. Auch wenn die Statistiker sich so genau nicht festlegen wollen, warum sich Frauen immer später für ein Kind entscheiden, ist der wirtschaftliche Aspekt nicht zu leugnen. Dazu kommt natürlich auch eine andere Einstellung zum Kind.
Kinder sind nicht mehr – wie noch in vielen ärmeren Ländern der Erde – die Versicherung für das hohe Alter. Weshalb sich übrigens auch die Geburtenzahlen in Ländern deutlich verändern, die über steigenden Wohlstand und bessere Sozialsysteme verfügen, egal, ob in Asien oder Afrika – die Geburtenzahl pro Frau sinkt dort spürbar.
Und sie sinkt auch signifikant bei Migranten aus solchen Ländern, die in Europa Fuß gefasst haben. Schon in der folgenden Generation nähern sich die Kinderzahlen dem Niveau der hiesigen Gesellschaft an.
Was genau aber dieses Absinken als Ursache hat, darüber streiten die Forscher. Hans Rosling geht in seinen Büchern zur „Factfullness“ zum Beispiel davon aus, dass neben den modernen Möglichkeiten zur Verhütung auch ein verändertes Verhältnis zum Kind eine Rolle spielt: Die modernen Frauen unterwerfen sich nicht mehr dem alten patriarchalischen Dogma, nur zum Kinderkriegen da zu sein, sondern entscheiden selbstbewusst und souverän, wann und wie viele Kinder sie haben wollen.
Was dazu geführt hat, dass die Totale Fertilitätsrate in allen westlichen Ländern deutlich unter 2 gefallen ist. Das heißt: Die meisten Frauen entscheiden sich für 1 bis 2 Kinder. Was natürlich schon binnen einer Generation dazu führt, dass die heimische Bevölkerung zu schrumpfen beginnt, denn um die Bevölkerung stabil zu halten, müssten alle Frauen im Schnitt mindestens zwei Kinder bekommen.
Ein Ziel, das übrigens die DDR mit ihren sozialpolitischen Maßnahmen fast erreichte. Nach 1990 stürzten die Geburtenraten im Osten dann flächendeckend ab auf einen historischen Tiefstwert von 0,7 – eigentlich ein ziemlich deutlicher Hinweis darauf, wie eng die Familiengründung mit der wirtschaftlichen Lage der jungen Eltern zusammenhängt.
Erst nach 2000 erholten sich die Geburtenzahlen in Leipzig wieder, erreichten aber nie wieder die fünfstelligen Zahlen selbst aus den 1980er Jahren. Die Totale Fertilitätsrate stieg bis 2016 auf den Wert 1,47 und lag damit sogar leicht über dem westdeutschen Durchschnittswert. Dazu trug auch bei, dass viele Männer und Frauen, die noch Ende der 1990er Jahre bewusst auf Kinder verzichtet haben, jetzt mit deutlicher „Verspätung“ die Familiengründung nachholten.
In ihrem Beitrag „Alter von Vätern bei der Geburt des Kindes in Leipzig 2019“ geht Dr. Andrea Schultz im neuen Quartalsbericht auch auf diesen Effekt ein. So waren die meisten Frauen, die 2019 Kinder bekamen, um die 31 Jahre alt. Bei den Vätern lag dieser Wert bei 34 Jahren. Wobei die Statistik zu den Vätern neu ist.
Erst seit 2011 bekommen Leipzigs Statistiker/-innen überhaupt Daten zu den Vätern der Neugeborenen. In der Vergangenheit waren solche Daten nur für die Mütter verfügbar. Und sie sind auch nicht für alle Väter verfügbar: Zehn Prozent der Geburten werden registriert, ohne dass dabei der Vater aktenkundig ist.
Die Statistiker können daran nichts ändern. Sie bekommen nur die Rohdaten aus dem Einwohnermeldeamt. Und es ist – so Christian Schmidt – zumindest eine Vermutung, dabei anzunehmen, dass vor allem jüngere Väter dabei ein Dunkelfeld darstellen. Darauf würden zumindest Untersuchungen aus Großbritannien hinweisen.
Aber die errechnete Fertilitäts-Zahl ist dann freilich eine Zahl ohne Dunkelziffer. Und sie ist von den 1,47 im Jahr 2016 in den letzten Jahren stetig gefallen, 2018 schon auf 1,39 und 2019 dann auf 1,31, also ungefähr auf den westdeutschen Wert.
Eine mögliche Interpretation, so Schmidt, könnte auch sein, dass sich hier das westdeutsche Familienmuster durchsetzt, da viele der jungen Zugewanderten in den vergangenen zehn Jahren aus den westlichen Bundesländern kamen.
Aber er betont auch: Auch das ist nur eine Vermutung. Wenn man keine groß angelegte Studie startet, bekommt man die Ursachen für den Geburtenrückgang nicht wirklich heraus.
Im Ergebnis kann es passieren, so Andrea Schultz, dass die Zahl der Gestorbenen in Leipzig ab 2025 wieder die Zahl der Geburten übersteigt, die Stadt also aus ihren eigenen Geburten kein Wachstum mehr erzielt. Das Hauptwachstum wurde in den vergangenen 20 Jahren sowieso durch Zuwanderung erzielt.
Aber auch da versiegt eine Quelle: Der Wanderungsüberschuss aus den ostdeutschen Bundesländern ist von 2018 zu 2019 von 1.733 auf 305 geschrumpft. Nur der aus Westdeutschland ist noch relativ hoch geblieben, auch wenn auch er von 1.741 auf 1.686 zurückging.
Aber eine Frage hat das Leibniz-Institut für Länderkunde etwas eingehender beschäftigt: Wie ziehen eigentlich die Ausländer innerhalb Leipzigs um? Gibt es da ein Muster?
Dazu kommen wir gleich im nächsten Beitrag zum Quartalsbericht IV / 2019.
Wie der Leipziger Wohnungsmarkt den Bevölkerungszuwachs ausgebremst hat
Wie der Leipziger Wohnungsmarkt den Bevölkerungszuwachs ausgebremst hat
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