Am Ende waren es ja tatsรคchlich nur etwas รผber vier Wochen wirklicher Shutdown. Schon zu Ostern wurden viele Lockerungen in Sachsen wieder zugelassen und die StraรŸen fรผllten sich rapide. Trotzdem beschรคftigte nicht nur die Leipziger CDU-Fraktion die Frage, warum dann im Shutdown die gemessenen Luftschadstoffwerte in Leipzig nicht drastisch gesunken sind. Sind also gar nicht die Verbrenner an den Schadstoffen in der Stadt schuld?

Bekanntlich bewegte diese Frage ja nicht nur die Leipziger Automobilisten. Sie beschรคftigte auch den Bundestag und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer gab eine ziemlich falsche Auskunft, weil er bei dem Thema nicht wirklich sattelfest ist. Tatsรคchlich fรผhrte der geringere Verkehr auch zu geringerer Schadstoffbelastung. Worรผber der โ€žSpiegelโ€œ zum Beispiel am 12. Mai berichtete.

Aber warum zeigten dann die beiden straรŸennahen Messtationen in Leipzig keine wirklich sinkenden Schadstoffwerte an, fragte die CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat: โ€žDie kommunalen Luftreinhalteplรคne gehen von der Annahme aus, dass Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor eine besonders wichtige Quelle von Feinstaub und Stickoxiden sind, und konzentrieren sich daher auf restriktive MaรŸnahmen im Verkehrssektor.

Mit Beginn der Corona-Beschrรคnkungen hat sich dieser Verkehr signifikant verringert, so z. B. in Bezug auf Berufspendler, ,Elterntaxisโ€˜, Freizeitverkehr und Lieferverkehr fรผr den Einzelhandel auรŸerhalb des Lebensmittelsektors. Somit mรผsste es zu einer deutlichen Verringerung der Schadstoffwerte gekommen sein. In Tatsache stehen wir aber vor einem Paradoxon: Wenn man sich die Schadstoffwerte der 3 Leipziger Mess-Stationen von Anfang Mรคrz bis Mitte April ansieht, so pendeln diese Werte mit regelmรครŸigen Ausschlรคgen unverรคndert und einen Mittelwert, der im Bereich ,gutโ€˜ liegt.

Das Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport hat sich jetzt der Anfrage angenommen. Es hat auch die Entwicklung der Luftschadstoffwerte fรผr Stickstoffdioxid (NO2), Feinstaub (PM10) und Ozon (O3) anhand von Mittelwerten der jeweiligen Kalenderwochen bis zum 10. Mai 2020 (19. KW) in Diagrammen dargestellt, Diagramme, die auf den ersten Blick scheinbar bestรคtigen, was die CDU-Fraktion vermutete.

Aber das Dezernat hat sich professionelle Hilfe geholt: โ€žDazu wurden die vom Sรคchsischen Landesamt fรผr Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) erhobenen Messdaten ausgewertet. In den Abbildungen wurde der Zeitraum der verschรคrften Regelungen zur Eindรคmmung der Ausbreitung des Coronavirus (Lockdown) vom 16.03.2020 (11. KW) bis zum 19.04.2020 (16. KW) kenntlich gemacht.โ€œ

Aber natรผrlich taucht auch beim Blick auf diese Diagramme die Frage auf: โ€žWelche Erklรคrung hat die Stadtverwaltung fรผr das beschriebene Phรคnomen im Zeitraum Anfang Mรคrz bis Mitte April?โ€œ

Und die Antwort ist logischerweise nicht so einfach wie gedacht. Das Umweltdezernat erklรคrt dazu: โ€žLuftschadstoffe unterliegen auf ihrem Weg von der Quelle, bspw. den Kraftfahrzeugen auf der StraรŸe, bis zum Ort der Messung oder einer schutzbedรผrftigen Nutzung (z. B. Wohnhaus) einer Beeinflussung u. a. durch das Wettergeschehen. Insbesondere der Zeitraum vor dem Beginn der ,Corona-Beschrรคnkungenโ€˜ war gegenรผber dem Zeitraum wรคhrend der verschรคrften Regelungen (Lockdown) durch Wetterbedingungen gekennzeichnet, die eine deutliche Reduzierung der Schadstoffkonzentration bewirkten.

Wรคhrend dem Lockdown wurde wetterbedingt ein Anstieg der Luftschadstoffbelastung verursacht, welcher sehr wahrscheinlich der verkehrsbedingten Reduzierung entgegenwirkte und diese teilweise kompensierte. Nรคhere Ausfรผhrungen dazu sind der Anlage zu entnehmen.โ€œ

Stark von der Hintergrundbelastung (blaue Linie) geprรคgt: Die Feinstaubbelastung in Leipzig in den vergangenen Wochen. Grafik: Stadt Leipzig
Stark von der Hintergrundbelastung (blaue Linie) geprรคgt: Die Feinstaubbelastung in Leipzig in den vergangenen Wochen. Grafik: Stadt Leipzig

HeiรŸt im Klartext: Seit Februar hatte Leipzig sowieso schon eine geringere Hintergrundbelastung. Bei Stickstoffdioxid (Grafik ganz oben) ist das gut zu sehen. Die Messwerte an den Stationen blieben รผber Wochen unter dem Grenzwert von 40 Mikrogramm je Kubikmeter. Und sie sind auch wรคhrend des Shutdowns nicht รผber diesen Wert gestiegen.

Anders als beim Feinstaub, wo die Messwerte sogar anstiegen. Aber auch das eben nicht, weil in Leipzig mehr Feinstaub produziert wurde. Das zeigt in der Feinstaub-Grafik die blaue Linie, die die Messungen der Station in Leipzig-West zeigt, die nicht wie die anderen beiden direkt an einer HauptverkehrsstraรŸe steht. Teilweise wurde ja รผber staubreiche Luft aus der Sahara berichtet, die eben auch in Leipzig die Hintergrundbelastung bei Feinstaub ansteigen lieรŸ.

Die Stickoxid-Grafik zeigt hingegen noch etwas anderes. Denn neben der Tatsache, dass die Messwerte unter den von der EU gesetzten Grenzwerten blieb, zeigt sie eben auch, dass selbst der geringe Verkehr, der wรคhrend des Shutdowns unterwegs war, die Stickoxidbelastung in der Stadt deutlich erhรถht hat.

Das zeigt nรคmlich die Differenz zwischen der blauen Linie (Hintergrundbelastung in Leipzig-West) und den Linien in Leipzig-Mitte (orange) und der Lรผtzner StraรŸe (grau): Selbst der geringe Verkehr im Shutdown erhรถhte die Stickoxidbelastung um 15 bis 20 Mikrogramm je Kubikmeter. Ein Wert, รผber den die Verkehrsforscher durchaus nachdenken sollten.

Denn wirklich zum Erliegen kam der Kraftverkehr im Shutdown ja nicht.

Und so sieht das Umweltdezernat auch keinen Grund dafรผr, den Luftreinhalteplan jetzt auszusetzen, weil er vermeintlich keine Wirkung entfaltet.

โ€žDerzeit sieht die Stadtverwaltung keine Veranlassung die Umsetzung des Luftreinhalteplans auszusetzenโ€œ, betont das Umweltdezernat. โ€žDer Einfluss des Wettergeschehens auf die Luftschadstoffbelastung ist bekannt. Aus diesem Grund werden bei der Planung von LuftreinhaltemaรŸnahmen insbesondere bei der Analyse und Wirkungsabschรคtzung Modelle verwendet, welche die lokalen Wetterverhรคltnisse anhand reprรคsentativer Zeitrรคume (in der Regel mehrjรคhrige Statistik) berรผcksichtigen. Anderenfalls bestรคnde die Gefahr einer รœber- oder Unterschรคtzung des zum Schutz der menschlichen Gesundheit erforderlichen Umfangs und der Tiefe von MaรŸnahmen zur Luftreinhaltung.โ€œ

Und auch auf die Frage โ€žWelche Schlussfolgerungen werden insbesondere fรผr die MaรŸnahmengewichtung zwischen Verkehr mit Verbrennungsmotoren und anderen Schadstoffquellen gezogen?โ€œ kann das Dezernat nur abwinken: Es liegen keine neuen Erkenntnisse vor, โ€ždie eine geรคnderte MaรŸnahmengewichtung erfordernโ€œ wรผrden.

Denn gerade zu den Stickoxidwerten muss hinzugefรผgt werden: Sie sind deshalb im Schnitt 10 Mikrogramm unter dem EU-Grenzwert, weil einige der MaรŸnahmen aus dem Luftreinhalteplan der Stadt tatsรคchlich gegriffen haben โ€“ die Einfรผhrung der Umweltzone 2011 genauso wie die Arbeit daran, Fahrzeuge, die nicht die Grรผne Plakette haben, langsam aus dem Betrieb zu bringen.

Darรผber informierte รผbrigens gerade auch eine neue Statistik des Amtes fรผr Statistik und Wahlen. Die Zahl der in Leipzig zugelassenen Fahrzeuge mit โ€žRoter Plaketteโ€œ sank seit 2015 von 998 auf 812 im Jahr 2019. Bei der Gelben Plakette sank die Zahl von 7.059 auf 4.029. Ein Stรผck weit aufgefressen wurde der Effekt natรผrlich durch die weiter wachsende Zahl von Verbrennungsfahrzeugen insgesamt, auch wenn die meisten mit Grรผner Plakette unterwegs sind. Deren Zahl stieg in diesem Zeitraum von 220.720 auf 238.370.

Bleibt am Schluss nur die Feststellung einer Auswertung des Sรคchsischen Landesamts fรผr Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, die der Antwort an die CDU-Fraktion beigegeben ist: โ€žIn der ร–ffentlichkeit besteht hรคufig die Erwartung, dass die Wirkung von MaรŸnahmen zur Verbesserung der Luftqualitรคt und damit zum Gesundheitsschutz unmittelbar an den Messergebnissen sichtbar werden mรผsste. Ist das nicht der Fall, werden insbesondere MaรŸnahmen, welche Restriktionen fรผr den motorisierten StraรŸenverkehr bedeuten, schnell infrage gestellt. Der Einfluss des Wetters kann die Ausbreitung von Luftschadstoffen jedoch derart รผberlagern, dass es im Allgemeinen langfristiger Beobachtungen bedarf, um LuftreinhaltemaรŸnahmen nicht nur im Modell, sondern auch messtechnisch bewerten zu kรถnnen. Hierbei relativiert sich der wetterbedingte Einfluss.โ€œ

Die Auswertung des Sรคchsischen Landesamts fรผr Umwelt, Landwirtschaft und Geologie.

Auch in Leipzig sind die Stickoxid-Messwerte unter den EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm gefallen

Auch in Leipzig sind die Stickoxid-Messwerte unter den EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm gefallen

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Natรผrlich werden auch die L-IZ.de und die LEIPZIGER ZEITUNG in den kommenden Tagen und Wochen von den anstehenden Entwicklungen nicht unberรผhrt bleiben. Ausfรคlle wegen Erkrankungen, Werbekunden, die keine Anzeigen mehr schalten, allgemeine Unsicherheiten bis hin zu Steuerlasten bei zurรผckgehenden Einnahmen sind auch bei unseren Zeitungen L-IZ.de und LZ zu befรผrchten.

Doch Aufgeben oder Bangemachen gilt nicht ๐Ÿ˜‰ Selbstverstรคndlich werden wir weiter fรผr Sie berichten. Und wir haben bereits vor Tagen unser gesamtes Archiv fรผr alle Leser geรถffnet โ€“ es gibt also derzeit auch fรผr Nichtabonnenten unter anderem alle Artikel der LEIPZIGER ZEITUNG aus den letzten Jahren zusรคtzlich auf L-IZ.de ganz ohne Paywall zu entdecken.

Unterstรผtzen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere selbstverstรคndlich weitergehende Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikรคufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den tรคglichen, frei verfรผgbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit fรผr Sie.

Vielen Dank dafรผr.

Empfohlen auf LZ

So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:

Ralf Julke รผber einen freien Fรถrderbetrag senden.
oder

Es gibt 3 Kommentare

Der Verkehr ist nicht das Hauptproblem (Emission), sondern nur ein, nicht unbedeutend, beitragender Faktor und deshalb werden die MaรŸnahmen wie z.B. Plaketten etc. auf Dauer zu wenig bringen. Das Wetter spielt eine Rolle fรผr die Immission, lรคsst sich aber bekanntlich schlecht beeinfluรŸen. Man sollte sich einfach mal die stรผndlichen MeรŸwerte anschauen (wo noch verรถffentlicht) und nicht nur die 24h-Durchschnittswerte. Speziell auch mal fรผr Wochenenden und Feiertage! Da gibt es dann gerne mal so Peaks zu Zeiten wo selbst die dickste Rushhour schon lรคngst vorbei ist . . .
Um uns allen Zeit zu sparen: Ich fahre keinen Diesel, auch keine Abgasschleuder, arbeite nicht in der Autobranche und fahre in die Stadt nur mit ร–PNV & Rad. Ich bin fรผr jede sinnvolle MaรŸnahme zur Luftreinhaltung zu haben und gerne je sauberer, desto besser, aber diese recht einseitige Fokusierung auf Autos hilft da leider nicht.

Nun, auf Baustellen (auch vielen GroรŸbaustellen) wurde weiter gearbeitet und grรถรŸere dazugehรถrige Fahrzeuge wurden auch bewegt. Mag dies was ausgemacht haben?

Ein Beispiel:

https://www.lvz.de/Leipzig/Lokales/Leipzig-Moeckernsche-Strasse-ab-Montag-voll-gesperrt

โ€œSelbst Corona kann Leipzigs Baufirmen nicht stoppen: In den nรคchsten sieben Tagen starten zahlreiche neue StraรŸenbaustellen. Autofahrer sind gut beraten, sich einen รœberblick รผber die wichtigsten Eingriffe ins StraรŸennetz zu verschaffen. Die Details.โ€

Bei aller Fรผrsprache des Umweltschutzes kommen mir die Ableitungen und versuchten Erklรคrungen aus den Messwerten doch recht spanisch vor:

โ€œDenn neben der Tatsache, dass die Messwerte unter den von der EU gesetzten Grenzwerten blieb, zeigt sie eben auch, dass selbst der geringe Verkehr, der wรคhrend des Shutdowns unterwegs war, die Stickoxidbelastung in der Stadt deutlich erhรถht hat. Das zeigt nรคmlich die Differenzโ€ฆโ€
โ€œSelbst der geringe Verkehr im Shutdown erhรถhte die Stickoxidbelastung um 15 bis 20 Mikrogramm je Kubikmeterโ€

Dass der Verkehr erheblich reduziert wurde, ist โ€“ denke ich โ€“ Konsens. Wie kรถnnen dann ein Bruchteil der noch fahrenden Fahrzeuge auf einmal die gleiche Stickoxidbelastung verursachen wie sonst vorher alle Fahrzeuge zur Rushhour?
Wenn laut Umweltbundesamt der Verkehr mit 38% zu Stickoxiden beitrรคgt, wรผrde ich hier dringlichst erwarten, sich mit den โ€œrestlichenโ€ 62% zu beschรคftigen!

Die Argumentation, innerhalb von 4 Jahren hรคtte sich die Anzahl der roten Plaketten um 186 Fahrzeuge reduziert, ist lรคcherlich.
Das sind 0,07 % aller Fahrzeuge von Leipzig (gesamt 263000 in 2019)!

Nun mรผsste man schlussfolgern, die allergrรถรŸte und entscheidende Variable in dieser Rechnung ist also das Wetter.
(Insofern sind Grenzwerte und Konsequenzen fรผr Stรคdte pervers.)
Dann hรคtte sich doch aber der โ€œstรคdtische Hintergrundโ€ vor und nach dem Lockdown ebenso verbessern oder verschlechtern mรผssen, wenn man die Diskrepanz mit dem Wetter erklรคren mรถchte.

Oder?

Schreiben Sie einen Kommentar