Es hat beinah gepasst: Am Freitag, 7. Februar, hat die Konrad-Adenauer-Stiftung die Ergebnisse der Studie „Regionale Vielfalten 30 Jahre nach der Wiedervereinigung“ veröffentlicht. Thüringen fällt darin eigentlich nicht so sehr auf. Zumindest nicht im ostdeutschen Kontext. Aber die Studie verstärkt doch eine Vermutung: Dass all diese Umfragen mehr Vorurteile bestärken als aufklären. Ganz besonders die zur Demokratie.
Eine Zeit lang dachte ich auch: Die Frage ist doch okay. Die Befragten werden doch schon einschätzen können, ob die Demokratie aus ihrer Sicht funktioniert, ob es Gründe für diese Unzufriedenheit gibt und wo sie diese sehen.
Nur: Nach den Gründen wird nie gefragt. Auch nicht in dieser Umfrage, die das Umfrageinstitut Kantar Emnid für die Konrad-Adenauer-Stiftung 2018 durchgeführt hat. Sie lesen richtig: 26. September und 17. Dezember 2018. Das war deutlich vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg und Thüringen.
Befragt wurden damals 5.585 Bundesbürger per Telefon. Auf Kreisebene bekommt man dann keine wirklich belastbaren Ergebnisse mehr, auch wenn die Studienautorin betont: „Die Stichprobe wurde dabei so gezogen, dass in jedem der aktuell 401 deutschen Landkreise und Kreisfreien Städte mindestens zehn Personen befragt wurden.“
Die Hauptthese, auf die sich Studienautorin Dr. Sabine Pokorny, tätig in der Analyse und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V, bezieht, lautet: „Die Zufriedenheit mit der Demokratie ist wichtig für die Stabilität des politischen Systems, da sie sich u. a. auf das Wahlverhalten auswirken kann. Je unzufriedener ein Bürger mit der Demokratie ist, desto höher ist z. B. seine Wahrscheinlichkeit, für eine rechtsextreme Partei zu stimmen.“
Sie stammt aus dem Buch des Soziologen Kai Arzheimer „Die Wähler der extremen Rechten 1980–2002“ von 2008.
Die These aber hat ihre Tücken. Denn die Unzufriedenheit mit der Demokratie an sich ist etwas völlig anderes als die Unzufriedenheit mit der erlebten Demokratie. Denn während die erste, die „dumme“ Interpretation, Menschen tatsächlich zu Anhängern extremer Positionen macht, ist die zweite Interpretation tatsächlich das Lebenselixier der Demokratie.
Denn Demokratie lebt von Veränderungen. Wäre das nicht so, wären Wahlen überflüssig. Dann würden Parteien und Regierungen nicht abgewählt. Die Demokratie gesteht dem Bürger sogar zu, mit der erlebten Demokratie unzufrieden sein zu dürfen.
Aber was hat die Konrad-Adenauer-Stiftung denn nun wirklich fragen lassen? „Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie – alles in allem – mit der Demokratie, so wie sie in Deutschland besteht: Sind Sie sehr zufrieden, ziemlich zufrieden, teils zufrieden/teils unzufrieden, ziemlich unzufrieden oder sehr unzufrieden?“
Sie hat also nach dem zweiten Aspekt gefragt.
Deswegen erzählen auch die Antworten nicht wirklich von der Unzufriedenheit der Befragten mit der Demokratie an sich, sondern viel stärker davon, wie sehr sie ihre Wünsche an die Politik derzeit politisch vertreten sehen. Da wundert es nicht, dass gerade Anhänger von CDU und CSU das derzeit Erlebte besonders befürworten. Und dass die Zufriedenheit in Westdeutschland deutlich höher ist als im Osten (was übrigens die Frage einschließt, wie sehr sich die Ostdeutschen in der gesamtdeutschen Politik überhaupt vertreten fühlen. Aber die stellt die KAS auch nicht.)
Wie interpretiert aber die Konrad-Adenauer-Stiftung die Ergebnisse? „30 Jahre nach der Wiedervereinigung sind Deutschlands Regionen vielfältiger als gedacht und die Situation insgesamt differenzierter, als es in vielen Debatten erscheint. Das geht aus einer neuen Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung hervor. In Ost- wie Westdeutschland gibt es Landstriche mit vielen zufriedenen Menschen und weniger populistischen Einstellungen sowie Regionen mit geringerer Zufriedenheit und mehr Populismus-Potential. Große Teile der Bevölkerung sind insgesamt mit ihrem Leben zufrieden, überwiegend positiv gestimmt und blicken optimistisch auf die Entwicklung der Gesellschaft.
Auch wenn die Demokratiezufriedenheit, die Zufriedenheit mit der Wirtschaftslage, der gesellschaftliche Pessimismus sowie (rechts-)populistische Wähleranteile insgesamt in Ostdeutschland stärker ausgeprägt sind als in Westdeutschland, gibt es doch deutliche Unterschiede innerhalb dieser beiden Regionen. So gibt es auch in Ostdeutschland Landstriche mit höheren Anteilen an zufriedenen Menschen und mit geringerer Verbreitung von Pessimismus und (rechts-)populistischen Potentialen.
Genauso werden in Westdeutschland Regionen sichtbar mit geringerer Zufriedenheit und höheren (Rechts-)Populismuspotentialen. Insgesamt blickt nur eine Minderheit pessimistisch in die Zukunft: Lediglich 22 Prozent können als Pessimisten eingestuft werden (West: 20 Prozent, Ost: 28 Prozent). Gleichzeitig sind 81 Prozent der Bevölkerung mit ihrem Leben zufrieden (West: 82 Prozent, Ost: 78 Prozent).“
Es stimmt tatsächlich so. Der Rechtspopulismus (und in der Studie wurden nur rechtsextreme Positionen abgefragt) ist kein Alleinstellungsmerkmal des Ostens. Im Westen gibt es ganze Landstriche, wo die Befragten genauso extrem ticken.
Was aber nicht heißt, dass das zwangsläufig zu 20-prozentigen Wahlergebnissen für die AfD führen muss, auch wenn die AfD es schafft, die Unzufriedenen und Pessimisten besonders erfolgreich einzusammeln. In Sachsen decken sich diese Regionen sehr augenfällig: Die besonders unzufriedenen und pessimistischen Landesteile in Ostsachsen sind auch die Hochburg der AfD.
Dasselbe gilt für die südlichen Landesteile Sachsens-Anhalts. Hier geht der Pessimismus dann auch einher mit echten wirtschaftlichen Problemen. Oder vielleicht mal anders formuliert: mit einer massiven Abwanderung, dem Verschwinden junger Leute und dem Ausdünnen der Infrastrukturen. Der Pessimismus hat ganz reale Ursachen. Und der AfD gelingt es, davon abzulenken und daraus einen Generalangriff auf die Demokratie zu machen, die Unzufriedenheit also zu radikalisieren und sich selbst als einzige Protestpartei zu verkaufen.
Was dann aus Sicht der AfD-Wähler das Bild ergibt, dass alle anderen Partei nur einen großen homogenen Block bilden, die „Altparteien“. Ein Begriff, der direkt aus dem Sprachschatz der NSDAP stammt. Die schon einmal erfolgreich gezeigt hat, wie man eine politische Diskussion allein dadurch entgleisen lässt, dass man sie radikal polarisiert und den Bürgern das Gefühl gibt, dass sie sich zwischen zwei Extremen entscheiden müssen.
Ein Punkt, an dem die Schwäche der regionalen Medien sichtbar wird. Denn der Schachzug gelingt auch, weil Regionalmedien ihre Hausaufgaben in einer fundierten und nachhaltigen regionalen Berichterstattung nicht mehr machen und Politik immer mehr zu einem Parteienhickhack heruntergeschrieben haben. So sehr, dass selbst in der Wählerschaft der demokratischen Parteien Positionen auftauchen, die in dem suggestiven „Populismus“-Punkt „Die Demokratie gehört eigentlich abgeschafft“ auftauchen.
Selbst so eine wirklich närrische Meinung wie „Die eigentliche Meinung des Volkes wird unterdrückt“ taucht im Wählerspektrum aller Parteien auf. Dass 68 Prozent der AfD-Anhänger davon überzeugt sind, ist keine Überraschung. Aber selbst bei Unions-Anhängern sind es 15 Prozent, bei FDP-Anhängern 22 Prozent. Da fragt man sich dann schon: Wo leben diese Leute? Haben die hinter ihrem Berg keinen Internetzugang? Eine ordentliche Zeitung jedenfalls haben sie nicht, können sie nicht haben, wenn sie so denken.
Oder es zeigt ein anderes Phänomen – die fehlende demokratische Bildung in Deutschland. Denn diese Haltung begegnet uns ja auch in Leserzuschriften, voller Vorwürfe, als wäre es eine abgrundtiefe Gemeinheit, wenn wir bestimmte Haltungen und Positionen weder teilen noch akzeptieren und deshalb auch nicht veröffentlichen. Das betrifft sowohl dubiose Haltungen zur Demokratie als auch diverse Verschwörungstheorien und Behauptungen, die die nachweisliche Faktenlage ignorieren.
Augenscheinlich glauben tatsächlich etliche Bürger, dass sie für ihre Meinung keine Widerrede und Kritik aushalten müssen. Und reden dann sofort von Zensur und Verbot. Auch dann, wenn man ihnen gründlich beweist, dass ihre Meinung sämtlichen Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht.
Aber was zeigt uns dann die Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung wirklich?
Möglicherweise auch den blinden Fleck der Politikberichterstattung, die Unzufriedenheit mit der erlebten Demokratie nicht als Herausforderung betrachtet, bessere und transparentere Politik zu machen. Denn dass unsere derzeitige Politik so in Ordnung ist, kann keiner ernsthaft behaupten. Es gibt viel zu viele Baustellen, auf denen sich die Versäumnisse stapeln oder auch völlig falsche Weichen gestellt wurden – man denke nur an die Rentenpolitik, die Landwirtschaftspolitik, die Strukturpolitik …
Demokratie ist ja nichts anderes als die Möglichkeit, dass die Bürger durch Wahlentscheidungen Korrekturen vornehmen können, Parteien wählen können, die bessere Lösungen anbieten. Und wo die Haltungen der Bürger auch aufeinanderprallen. Manchmal – wie in Thüringen – bis zum unlösbaren Patt. Der Bürger ist ja kein edles Wesen. Er ist genauso egoistisch, ignorant und mit Vorurteilen belastet wie die Kandidaten der Parteien auf dem Wahlzettel.
Und er wählt „populistischer“, wenn scheinbar das Machtgerangel dominiert (und die Medien damit richtig Quote machen), inhaltliche Unterschiede der Parteien oder gar unterschiedliche Lösungsangebote aber nicht (mehr) sichtbar werden. So gesehen ist der von der Konrad-Adenauer-Stiftung vermerkte „Populismus“ auch das Ergebnis einer zunehmend boulevardisierten Medienlandschaft, wo es auch in der Politikberichterstattung mittlerweile so zugeht wie in der Kommentierung von „Dschungelcamp“ und „Big Brother“.
Steilvorlage für die AfD – eine politikwissenschaftliche Einordnung
Steilvorlage für die AfD – eine politikwissenschaftliche Einordnung
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