Bevor es zur Oberbürgermeisterwahl am 2. Februar wieder spannend wurde, hatte ja das Amt für Statistik und Wahlen im vergangenen Jahr drei große Wahlen zu bewältigen: die Europa-, die Stadtrats- und die Landtagswahl. Im neuen Quartalsbericht III/2019 werden alle drei Wahlen ausgewertet. Richtig detailliert hat sich Michael Naber mit der Landtagswahl beschäftigt. Was übrigens auch eine neue Erklärung für den Sieg von Michael Kretschmer sichtbar macht.
Auch in Leipzig holte ja die CDU mit 25,4 Prozent die meisten Stimmen vor den Grünen (18,2 Prozent), der AfD (17,3 Prozent) und der Linken (15,9 Prozent).
Fünf Jahre zuvor hatte die CDU noch 29,9 Prozent geholt und die Linke (22,6 Prozent) und die SPD (16,2 Prozent) landeten dahinter. Die Grünen lagen bei 11,3 Prozent und die AfD bei 7,3 Prozent. Bei der Stadtratswahl im Mai hatten Linke und Grüne vorn gelegen.
Schon diese Zahlen zeigen, dass einige Leipziger bei ihren Wahlentscheidungen sehr deutlich zwischen kommunaler und Landesebene unterscheiden. Und dass sie wohl auch ganz ähnlich ticken wie die Wähler in Thüringen und Brandenburg, wo die Parteien, die bisher den Ministerpräsidenten stellten, auch deutlich Wählerstimmen von den eigentlichen Koalitionspartnern abzogen, weil den Wählern augenscheinlich wichtig war, dass der alte Amtsinhaber gegen die aufkommende AfD gewann und die AfD nirgendwo als Sieger durchs Ziel ging.
Es ist schon eine besondere Situation, die Ostdeutschland augenblicklich erlebt. Denn so ein Wahlverhalten erzählt eben auch davon, dass den meisten Wählern sehr wohl bewusst ist, was die AfD eigentlich für eine Rolle spielt. Und während einige Flügel in der CDU (und wie man sieht auch bei der FDP) tatsächlich mit dem Gedanken spielen, man könne mit der AfD gemeinsame Sache machen, bedeuten die drei Länderwahlergebnisse, die jeweils den bisherigen Ministerpräsidenten stärkten, eben genau das nicht, sondern eine klare Botschaft: Nur nicht mit der AfD.
Die ist augenscheinlich bei einigen Politikern nicht angekommen. Was natürlich mit jener seltsam veränderten Medienberichterstattung zu tun hat, in der es nicht mehr um Inhalte und demokratische Grundwerte geht, sondern um männliche Dramenhelden auf einer Bühne, auf der Verrat und Machtgeschacher normal zu sein scheinen.
Und wahrscheinlich interpretieren wir nicht zu viel hinein, wenn wir davon ausgehen, dass auch traditionelle SPD- und Linke-Wähler lieber ihr Kreuz bei der CDU gemacht haben, um in Sachsen einen Jubelgesang der AfD zu verhindern. Und die Karten, die Michael Naber erarbeitet hat, zeigen, dass das tatsächlich auch in den traditionellen Hochburgen der Linken mitten im Leipziger Stadtgebiet geschah. Er hat die Leipziger Wahlbezirke typisiert, also nach Wahlverhalten gruppiert, die sich ähnelten.
Gelb sind z. B. die Wahlkreise, in denen eher die AfD vor der CDU lag, grau sind die eingefärbt, wo eher die CDU vor der AfD dominierte, violett sind die, wo eher die CDU vor den Grünen ins Ziel kam. In den blauen haben eher die Grünen vor der Linken die meisten Stimmen bekommen.
Typisierung heißt nicht, dass das in jedem Wahlkreis genauso war – aber die Ergebnisse tendieren da hin. Und der Blick auf die violetten Felder zeigt eben, dass die CDU auch viele Stimmen in jenen Wahlkreisen bekam, in denen sonst eher Linke und Grüne die meisten Stimmen holen, mitten im inneren Stadtgebiet.
Es gab also auch in Leipzig viele Wähler, die sicherheitshalber bei der CDU ihr Kreuz machten, was dann am Wahltag jene deutlichen Stimmenverschiebungen von Linken, Grünen und SPD zur CDU ergab, die zwar die drei Letztgenannten schwächten, aber der CDU die Koalitionsbildung wieder ermöglichte.
Die starken Ergebnisse der AfD auch in den Plattenbausiedlungen zeigen hingegen, dass hier tatsächlich politische Denkwelten aufeinanderprallen. Hier das autoritäre Denken, das seinen Wählern suggeriert, es würde mit der ganzen komplizierten Parteienwelt der Demokratie aufräumen und den Wählern dann irgendwie die Genugtuung einer seligmachenden Alleinherrschaft ermöglichen.
Und da die Wähler, denen sehr wohl bewusst ist, wie sehr Demokratie ein ewiges Ringen um Kompromisse und bessere Lösungen ist. Etwas, wozu man Koalitionspartner und Mehrheiten braucht. Und einmal aller fünf Jahre kann der sächsische Wähler dieses sensible Ungleichgewicht ein bisschen ändern. Mittlerweile ja auch mit echten Kopfschmerzen, weil die blauen Radikalen genau das unterlaufen.
Deren Angebot ist dann sozusagen Billig-Politik aus dem Netflix-Kino für Leipziger, die für die ganz billigen Lösungen zu haben sind. Da fällt dann auf, dass eben nicht nur die Dörfer am Stadtrand emsig AfD gewählt haben, sondern auch die Bewohner der Plattenbausiedlungen in Grünau, Schönefeld-Ost, Mockau und Paunsdorf.
Was sich dann aber mit der zweiten Typisierung, die Michael Naber vorgenommen hat, wieder deckt. Denn all die Ortsteile, die zu den Wahl-Typisierungen Gelb und Grau mit der hohen Dominanz von AfD und CDU gehören, sind gleichzeitig auch Ortsteile mit einem deutlich höheren Anteil von Senioren und dafür deutlich weniger Kindern und Jugendlichen. Es ging also bei der Landtagswahl auch um das alte und das junge Sachsen, die sich vernachlässigt fühlende Leipziger Randlage und das junge Herz der Stadt.
Also genau um dieselbe Gemengelage wie zur Stadtratswahl im Mai und jetzt auch wieder zur OBM-Wahl, in deren erster Runde zwar Sebastian Gemkow (CDU) knapp vorn lag. Aber seine Mehrheiten holte er im eher dünn besiedelten Stadtrand, während im Innenstadtbereich die Mitbewerber/-innen von SPD, Linken und Grünen punkteten.
Was natürlich auch eine Warnung enthält. Das wurde ja schon in der Diskussion um den Nahverkehrsplan der Stadt Leipzig deutlich: Wer AfD wählt, gibt ja auch ein Zeichen darüber, wie er sich angenommen fühlt. Hohe AfD-Wahlergebnisse erzählen auch von einem Gefühl der Nicht-Dazugehörigkeit.
Das lasse ich einfach mal so stehen, weil das in der Dimension des Landes Sachsen genauso gilt wie auf Bundesebene. Und nun – die Karten belegen es – auch für das Leipziger Stadtgebiet.
Neue Zahlen und Grafiken zu Neu-Leipzigern, Wahlverhalten, Hochburgen und Kellerbezirken
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