Die vielen Wahlen waren schuld, das bestätigte am Freitag, 7. Februar, auch Dr. Christian Schmitt, Leiter des Amtes für Statistik und Wahlen, dass das Amt mit den sonst pünktlich gelieferten statistischen Berichten nicht mehr hinterherkam. Erst nach der ersten Runde zur OBM-Wahl war jetzt ein bisschen Luft, um wenigstens den Quartalsbericht Nr. 3 für 2019 fertigzustellen. Und die drei Wahlen des Jahres 2019 spielen darin logischerweise eine zentrale Rolle.
Auch wenn das 60 Seiten dicke Heft natürlich auch wieder auf viele andere Entwicklungen der aufmüpfigen Großstadt an der Pleiße eingeht, die so völlig gegen den ostdeutschen Trend wächst und tickt.
Die Bevölkerungsentwicklung schauen sich Leipzigs Statistiker ja mit besonders skeptischem Blick an. Denn das Bevölkerungswachstum übt Druck aus auf die Stadtpolitik. Einen enormen, wie 2016 die Öffentlichkeit erfuhr, als Leipzigs Statistiker ihre neue Bevölkerungsprognose vorlegten und so mancher Verantwortliche Schnappatmung bekam. Denn wäre Leipzig weiter so gewachsen wie in den Jahren 2012 bis 2017, wäre im Jahr 2030 tatsächlich die Bevölkerungszahl 700.000 fällig, wahrscheinlich auch die als Mittelwert ermittelten 720.000.
„Zu der Prognose stehe ich auch heute noch“, sagt Dr. Andrea Schultz, Abteilungsleiterin Stadtforschung.
Denn während einige der Leute, die sich damals über die zu hohe Prognose aufregten, heute so tun, als wären sie ins Bockshorn gejagt worden, hatte die Prognose von 2016 einen wichtigen Schockeffekt: Sie machte der ganzen Stadtverwaltung bis hin zum OBM endgültig klar, dass Leipzig aufwachen musste, dass es den seit zehn Jahren geübten Sparkurs bei Personal und bei Investitionen verlassen musste.
Dass das Geschacher um jeden Euro aufhören musste, denn mit diesem Sparkurs war Leipzig schon damals in einen riesigen Investitionsstau hineingerauscht. Oder geschlichen. Das Tempo der Stadtentwicklung passte schon lange nicht mehr zum Stadtwachstum. Und eigentlich bei allen Investitionsthemen hing Leipzig im Schnitt um fünf Jahre hinterher.
Bei den Kitas war es schon lange Thema, bei Schulen, Straßen und Brücken wurde es erst so richtig bewusst, dass die Stadt jetzt endlich Gas geben musste.
Und das auch nur, um das längst vorhandene Wachstum einzufangen. Denn die Kinder waren ja schon alle da, die in die (noch fehlenden) Schulen gehen sollten. Das schnelle Schulenbauen musste beginnen. Und auch bei Themen wie ÖPNV und sozialer Wohnungsbau musste endlich losgelegt werden.
Der Warnschuss hat gesessen, auch wenn die Prognose dann 2019 auf eher 640.000 bis 660.000 Einwohner zurückgenommen werden musste. Was an einem veränderten Wanderungsverhalten lag. Aber das Wachstum geht eben weiter. Das betonen die Statistiker in diesem Quartalsbericht noch einmal.
Und es sind vor allem junge Menschen, die nach Leipzig zuwandern.
Der Zuzug nach Leipzig führt so auch zu einer Verjüngung der Stadtbevölkerung. Das Durchschnittsalter sank von 43,8 (2011) auf aktuell 42,4 Jahre. So geht es geht aus dem Statistischen Bericht für das dritte Quartal 2019 hervor, der jetzt vorliegt und unter anderem die Gruppe der Neu-Zugezogenen Leipziger analysiert.
Die städtische Bevölkerung hat zwischen 2011 und 2017 um fast 72.500 Einwohner zugenommen, vor allem durch Wanderungen. Neuzugezogene sind häufig junge Erwachsene und haben überdurchschnittlich häufig hohe formale Bildungsabschlüsse. Eine Sonderrolle kommt hierbei Studenten und Studentinnen zu, die meist sehr geringe Einkommen haben. Auffällig ist zudem, dass Zuwanderer mit ihrem Leben zufriedener sind als Alteingesessene.
Ein Thema, das wir noch genauer unter die Lupe nehmen werden.
Weitere Analysen im Quartalsbericht beschäftigen sich mit den Wahlen des vergangenen Jahres. Aufgrund der wachsenden Bevölkerung wurde die Zahl der Wahllokale 2019 erhöht. Bei den Terminen zur Europa- und Kommunalwahl im Mai sowie der Landtagswahl im September waren jeweils mehr als 4.000 Helfer im Einsatz – so viele wie noch nie seit 1990.
Die Schulung der Helfer und der Kontakt mit ihnen ist eine logistische Herausforderung, auch kurzfristige Ausfälle vor den Wahltagen müssen rasch kompensiert werden: Für beide Wahltermine wurden allein 37.000 Mails an die Wahlhelfer und Wahlhelferinnen verschickt und jeweils knapp 1.500 Ehrenamtliche in je über 40 Schulungen informiert. Der älteste Helfer war 89 Jahre alt, der jüngste gerade volljährig. Das Durchschnittsalter der Wahlhelfer lag bei 46 Jahren und war damit deutlich jünger als die im Schnitt 49 Jahre bei den Europa- und Kommunalwahlen 2014 und der Bundestagswahl 2017 (50 Jahre).
Und auch die Wahlen selbst werden thematisiert.
Die Sächsische Landtagswahl vom 1. September 2019 brachte in Leipzig neben einer markant gestiegenen Wahlbeteiligung – von 44,3 Prozent (2014) auf 65,1 Prozent – auch bedeutsame Verschiebungen im Kräfteverhältnis der politischen Parteien. Der Quartalsbericht verknüpft nun die Ergebnisse in den Wahlbezirken mit Daten zur Bevölkerungsstruktur. Dies zeigt markante Muster auf, wie parteibezogene Hochburgen oder den Einfluss der demografischen Struktur auf das Wahlverhalten.
So zeigt sich etwa eine Polarisierung zwischen dem Stadtzentrum und den Ortsteilen des Stadtrandes: Die zentrumsnahen Wahlbezirke unterteilen sich in einen eher wohlhabenden bürgerlichen Typ mit CDU als stärkster Kraft sowie in einen jüngeren, stark studentisch und kulturell vielfältig geprägten Typ, in dem Grüne und die Partei Die Linke die Stimmenmehrheit erhalten. Am dörflich geprägten Stadtrand hingegen ähnelt das Wahlverhalten stärker dem Umland mit starken Ergebnissen für CDU und AfD.
Auch das werden wir noch näher beleuchten.
Ein paar ausgewählte Quartalszahlen
Ende September 2019 betrug die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am Arbeitsort 273.213 – ein Anstieg um 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Der Anteil der geringfügig Beschäftigten lag bei 13,2 Prozent.
Die Arbeitslosenquote am Ende des dritten Quartals 2019 betrug 6,2 Prozent – ein Rückgang im Vergleich zum Vorjahr um 0,2 Prozentpunkte.
Ende September lag die Zahl der gemeldeten Infektionskrankheiten bei insgesamt 10.442 – darunter 4.996 Fälle von Virusgrippe (Influenza) und 113 gemeldete Keuchhusten-Erkrankte.
Nach der OBM-Wahl kann das Amt für Statistik und Wahlen seine Berichtsveröffentlichungen wieder aufnehmen
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