Wer regelmäßig über Klimawandel und Energiewende berichtet, der begegnet immer wieder denselben Gegenargumenten, derselben überheblichen Haltung, man habe das unschlagbare Argument gegen die wissenschaftlichen Fakten zur Erderwärmung. Und das betrifft nicht nur sogenannte Verschwörungstheoretiker und Klimaleugner. Das betrifft auch Politiker, die ihre Unfähigkeit zum Weiterdenken hinter dem immer gleichen Refrain verstecken: Nur ja nichts ändern am bequemen Status quo.

Die Schwierigkeiten haben wohl auch einige Sozialdemokraten, die sich viel zu leicht von den Argumenten kämpferischer Manager fossiler Konzerne beeindrucken lassen, die den Politikern ziemlich jeden Schneid abkaufen, wenn sie nur etwas von Standort und Arbeitsplätzen raunen.

Also hat die Friedrich-Ebert-Stiftung einmal ein Forschungsinstitut mit einer Handreichung beauftragt, wo man sich schon seit Jahren mit diesen Argumenten und den tatsächlichen Fakten dahinter beschäftigt: das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH.

Auf knapp 70 Seiten haben die Forscher zehn dieser immer gleichen Totschlagargumente hinterfragt.

Man denke nur an den Spruch: „Wenn Deutschlands Anteil am Klimawandel eher gering ist, wie können wir dann das Klima retten?“ Das bezieht sich meist auf den 2-Prozent-Anteil Deutschlands am jährlichen CO2-Ausstoß weltweit. Größere Länder wie die USA, China und Indien haben logischerweise größere CO2-Emissionen. Und deutsche Politiker ruhen sich dann gern auf der Position aus: Sollen doch erst mal die Inder oder die Chinesen …

Die Argumente tauchen meistens dann auf, wenn es wieder einmal so aussieht, als könnte die deutsche Bundesregierung mit der Klimawende ernst machen. Die Autoren der Studie benennen zwar vor allem Social Media und einige bekannte deutsche Medien als Plattform, wo die Klimaleugner Gehör finden und regelrechte Kampagnen starten. Aber die Argumente findet man auch in den Kommentaren seriöserer Zeitungen und in den Meinungsäußerungen von Politikern, die nicht unbedingt der AfD angehören, die mit den Argumenten aber am liebsten Hausieren geht.

Aber alle diese Leute vergessen nur zu gern, dass die Pro-Kopf-Emissionen in Deutschland mit zu den höchsten in der Welt gehören (siehe Grafik) und auch noch deutlich vor denen Chinas oder Indiens liegen. Und sie blenden aus, dass Deutschland mit der Auslagerung ganzer energieintensiver Industriezweige auch einen riesigen CO2-Rucksack quasi in andere Länder verfrachtet hat.

Und diese im Kern wirklich bekloppte Argumenten blenden noch etwas aus: Dass hochindustrialisierte Länder wie Deutschland auch Vorbildländer sind. Die Länder der sogenannten „Dritten Welt“ haben nicht nur den deutschen Wohlstand vor Augen, sie übernehmen auch die erfolgreichen technologischen Entwicklungen des Vorbildlandes.

Und dazu gehört auch das einst unter Rot-Grün beschlossene EEG: „Der ,Exporterfolg‘ des EEG zeigt sich auf zwei Ebenen: Zum einen ist das Gesetz selbst inzwischen in hoher Zahl weltweit kopiert worden. 2018 hatten 84 Länder in unterschiedlicher Form Einspeisungsvergütungen eingeführt (REN21 2018). Inzwischen sind es die Mehrheit der Länder des Globalen Südens, die mit festen Einspeisetarifen (,feed-in tariffs‘) über einen definierten Zeitraum Investitionssicherheit für Sonne, Wind und andere erneuerbare Energiequellen gewährleisten.“

Blöd nur, dass unter Angela Merkel das EEG-Gesetz regelrecht filetiert wurde. Logisch, dass diese Bundeskanzlerin dann auch keine gute Botschafterin für eine echte Energiewende ist. Dazu ist sie viel zu eng liiert mit den alten fossilen Unternehmen, die natürlich ihr altes Spielfeld und ihre Marktanteile nicht verlieren wollen und selbst für einige dieser dubiosen Kampagnen gegen die Energiewende verantwortlich sind.

Wer aber die neuen Technologien entwickelt, der kann damit später auch Geld verdienen: „Deutschland (und andere Vorreiter) haben aber zum anderen auch durch ihre Gesetzgebung dazu beigetragen, die entsprechenden Techniken marktreif zu machen und eine enorme Kostendegression anzustoßen. Die Einführung des EEG hat zur Schaffung des international größten und sichersten Absatzmarktes für Photovoltaik-Anlagen geführt. Dadurch hat es über mehrere Jahre die globale Technologieentwicklung und Preissenkung wesentlich beschleunigt.“

Und so geht das Argument für Argument.

So auch das nächste Argument: „Mit der Energiewende geht oft die Befürchtung einher, dass Deutschland (stärker) abhängig von Stromimporten aus den Nachbarländern wird. Denn bei gleichbleibender Stromnachfrage und einem kurzfristigen Ausstieg aus der Kohleverstromung zusätzlich zu dem beschlossenen Atomausstieg bis 2022 muss diese Angebotslücke gefüllt werden. So zitiert die FAZ den Verband der europäischen Stromnetzbetreiber ENTSO-E, wonach sich Deutschland auf Dutzende Stunden jährliche Stromausfälle einstellen müsse, wenn lokale erneuerbare Energien nicht ausreichend zur Verfügung stünden (FAZ 2018).“

Auch bei der FAZ kennt man da kaum eine Scheu, jede Panikmeldung aus einem interessierten Konzernnetzwerk als objektive Realität zu verkaufen und den Lesern zu unterstellen, sie seien vergesslich und unfähig, die Suchmaschine auf der Website zu benutzen.

So erinnert das FES-Papier auch: „In den vergangenen Jahren exportierte Deutschland mehr Strom, als importiert wurde. Der Exportüberschuss ist allerdings zurückgegangen (Agora Energiewende 2019a). Wegfallende Erzeugungskapazitäten aus Atom- und Kohlekraftwerken müssen ersetzt werden, was im Fall des Atomausstiegs bisher zu einem Drittel durch eine Reduktion der Exportüberschüsse und zu zwei Dritteln durch den Ausbau erneuerbarer Energien gelungen ist (KJB 2013). Bei dem anstehenden zusätzlichen Kohleausstieg erwarten Studien, dass sich die heutigen Stromexportüberschüsse mittelfristig zu einem zeitweiligen Stromimportsaldo wandeln (Matthes 2019). Dann stellt sich die Frage, aus welchen Quellen dieser Strom kommt.“

Es geht also auch darum, wie und ob die Nachbarländer selbst ihre Erzeugerkapazitäten umbauen. Völlig ausgeblendet sind hier die steigenden Kosten für CO2-Zertifikate, die auch die Nachbarländer zum Umdenken zwingen.

Der Umbau der Energiewirtschaft ist komplex. Er betrifft auch die dort Arbeitenden (Fragen 4 und 6), die möglicherweise steigenden Stromkosten (Frage 5) oder die Versorgungssicherheit mit landwirtschaftlichen Produkten: Können wir dann unsere Ernährungsbasis noch sichern? (Frage 10)

Dabei lebt Deutschland in einem Nahrungsmittelüberfluss und einer industrialisierten Landwirtschaft, die sogar exportieren muss, um ihre Erzeugnisse überhaupt noch loszuwerden: „Würden die entsprechende Umstellung von Produktionsweisen mit flankierenden Maßnahmen begleitet, insbesondere der Reduktion von Lebensmittelabfällen, wäre eine übermäßige Produktion, wie sie derzeit üblich ist, gar nicht notwendig: Rund ein Drittel des gesamten Lebensmittelverbrauchs in Deutschland landet im Abfall – etwa 18 Millionen Tonnen jährlich, von denen rund 10 Millionen Tonnen problemlos vermeidbar wären. Der Anbau nur für diese vermeidbaren Lebensmittelabfälle benötigt bereits eine Fläche von gut 2,6 Millionen Hektar und damit fast 15 Prozent der gesamten Fläche, auf der Produkte für die Ernährung in Deutschland angebaut werden (Noleppa/Cartsburg 2015).“

Dabei geht die Studie nicht einmal auf den enormen Flächenverbrauch zur Produktion von Futter für die Massentierhaltung ein. Deutschland importiert ja auch enorme Mengen von Agrarprodukten, die dann wieder in anderen Ländern (wie Brasilien und Argentinien) massiv zur Umweltzerstörung und Klimabelastung beitragen.

Das Papier geht nicht auf jedes Detail ein, liefert aber sehr kompakt sehr klare und faktenbasierte Argumente, die vor allem den systematisch geschürten Zweifel der Frager auseinandernehmen.

Und die seltsamen Argumente kommen so ziemlich alle aus großen „Denkfabriken“, die vor allem für die alten Fossilkonzerne immer neues Material produzieren, mit dem sie den Sinn einer echten Energiewende versuchen zu untermininieren.

„Neben Exxon und Koch Industries (Farrell 2015) tat sich hierbei der amerikanische Bergbaukonzern Peabody hervor, der mehr als zwei Dutzend Organisationen unterstützt hat, die den menschengemachten Klimawandel infrage stellten und sich gegen Umweltgesetzgebungen aussprachen – Wirtschaftsverbände, Lobbygruppen und den Klimawandel anzweifelnde Wissenschaftler/-innen“, stellt das Papier fest.

Und: „Die Journalistinnen Götze und Jöres haben Ende 2018 die weitreichende Vernetzung der Klimaskeptikerszene in Deutschland und Europa aufgezeigt: So bewirbt unter anderem das marktliberale ,Institut für unternehmerische Freiheit‘ (IuF) offen die Veranstaltungen von Eike. Im Vorstand des IuF sitzt zudem der Generalsekretär des Vereins. Vorstand und wissenschaftlicher Beirat sind aber auch mit Vertreter/-innen verschiedener liberaler und konservativer, teils parteipolitisch naher Einrichtungen und Initiativen besetzt. Vernetzt sind die Klimaleugner/-innen zudem über das weltweit aktive neoliberale Elitenetzwerk Mont Pelerin Society und die Hayek-Gesellschaft, in der neben hochrangigen AfD-Politiker/-innen auch ein Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Wirtschaftsministeriums sowie weitere konservative und liberale Politiker/-innen und Bundestagsabgeordnete vertreten sind.“

So werden die Verflechtungen international agierender Konzerne, erzkonservativer Thinktanks und der Politik sichtbar. So werden Sichtweisen geschaffen, die dann dazu führen, dass Klimapakete aufgeweicht und staatliche Regularien ausgehebelt werden. Meist unter dem emotional besetzten Begriff der Freiheit, auch wenn eigentlich nur eine Freiheit gemeint ist: die der fossilen Konzerne, die Welt weiter mit ihrer Art zu Wirtschaften auszuplündern.

Die Politiker tun dann so, als würde die Freiheit der Bürger beschützt, wenn sie staatliche Regularien aufweichen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Staatliche Regularien schützen Zukunft und Gesundheit der Bürger, grenzen aber die wildgewordene Freiheit riesiger Konzerne ein.

Man sollte beim Begriff Freiheit, wenn er mit Inbrunst in die Kameras gehechelt wird, sehr, sehr misstrauisch werden. Da ist nie die Freiheit aller gemeint, sondern fast immer nur die Freiheit der Gierigen und Unersättlichen. Was dann zu genau den Zerstörungen führt, die wir nun mittlerweile weltweit beobachten können.

Globaler Süden leidet am stärksten unter Klimawandel und Landnutzung

Die Leistungsfähigkeit der Natur sinkt dort am stärksten, wo Menschen sich kaum wehren können

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