Dem Osten gehen die Arbeitskräfte aus. Das ist nicht nur in den Arbeitslosenstatistiken, die die Arbeitsagentur veröffentlicht, ablesbar. Denn die fokussieren sich nur auf wenige Zahlen. Paul M. Schröder vom BIAJ nutzt das Material der Bundesarbeitsagentur auch dazu, hinter die Oberfläche zu leuchten, dorthin, wo sichtbar wird, wie sich der demografische Bruch im Osten zunehmend als Aderlass an möglichen Arbeitskräften erweist.

Dazu darf man aber nicht nur auf die Zahlen der offiziell arbeitslos Gezählten schauen, auch wenn hier schon ziemlich deutlich wird, wie die Arbeitslosenzahlen im Osten einfach schon deshalb abschmelzen, weil die seit 2010 halbierten Ausbildungsjahrgänge den Bedarf nicht mehr decken.

So gab es gegenüber September 2019 den erstaunlichen Effekt, dass die Arbeitslosenzahl in Ostdeutschland um 28.163 zurückging, was einem Rückgang um 5,1 Prozent entspricht, während die Zahl in Westdeutschland um 5.720 sogar stieg, ein Plus von 0,3 Prozent.

Aber in diese Kategorie werden ja nur jene Menschen gezählt, die dem ersten Arbeitsmarkt rein theoretisch sofort zur Verfügung stünden. Faktisch stehen sie meist nicht zur Verfügung, weil der gebotene Arbeitsplatz nicht zum Profil des Arbeitsuchenden passt, am falschen Ort ist oder Qualifikationen erfordert, die der Suchende nicht hat und auch mit allen möglichen Kursen nicht bekommt.

Aber daneben gibt es die deutlich größere Zahl von Arbeitsuchenden insgesamt, von denen die „Arbeitslosen“ nur ein Teil sind (54 Prozent).

Berichtet hatten wir ja schon, dass in allen ostdeutschen Bundesländern (außer Berlin) die Arbeitslosenzahlen seit Jahren überdurchschnittlich stark zurückgehen. Im Vergleich zu September 2018 sind es zwischen 3,0 Prozent in Thüringen und satten 9,5 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern. Sachsen ordnet sich hier mit 6,8 Prozent ein.

In den westlichen Bundesländern gab es sogar deutliche Zuwächse in NRW, Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz – die höchsten in Baden-Württemberg mit 4,7 Prozent.

Aber wie sieht es insgesamt mit den Arbeitsuchenden aus, also allen Menschen, die perspektivisch nach einer Anstellung suchen?

Auch hier gab es im Osten deftige Rückgänge zwischen 5,1 Prozent im Thüringen und 8,7 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern. Selbst Berlin verzeichnet Rückgänge von 2,3 Prozent. In Sachsen schmolz dieses Arbeitskräftereservoir um 12.479 Personen oder 5,7 Prozent.

Wirkliche Zuwächse an Arbeitsuchenden verzeichnete nur Baden-Württemberg. Alle anderen westlichen Bundesländer waren hier mit 0,4 bis 3,4 Prozent ebenfalls im Minus. Langfristig wirken sich die niedrigen Geburtenraten in ganz Deutschland also aus als ein schleichender Verlust von Berufsnachwuchs in ganz Deutschland.

Da könnte man jetzt die viel malträtierte Formel vom „lebenslangen Lernen“ zitieren. Aber so ist das deutsche Arbeitslosensystem nicht organisiert. Weder gibt es Instanzen, die die gesellschaftlich notwendig zu besetzenden Arbeitsplätze wirklich ermitteln (man denke nur an Pflegekräfte, Lehrer, Richter, Polizisten, Fahrer für Bus und Bahn usw.), noch eine Instanz, die die staatlich bezahlten Kurse und Umschulungen so organisiert, dass die Arbeitsuchenden auch dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Deswegen heißt das Ding auch Arbeits-Markt und wird nach wie vor von zahlreichen Nonsens-Jobs in Nonsens-Branchen dominiert, die nach wie vor mit Befristungen, Leiharbeit und Niedriglohn operieren.

Ob nun das Anwerben von neuen Arbeitskräften in Spanien oder Mexiko das Dilemma löst, darf bezweifelt werden.

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