Am Donnerstag, 24. Oktober, veröffentlichte das Sächsische Landesamt für Statistik eine kleine repräsentative Wahlstatistik. Die Statistiker wollten nämlich herausfinden, ob Alter und Geschlecht eine wesentliche Rolle bei Wahlergebnis spielen. Zur Analyse der Wahlergebnisse unter geschlechts- und altersspezifischen Aspekten kam deshalb bei der Wahl zum 7. Sächsischen Landtag am 1. September 2019 in 128 Urnen- und 21 Briefwahlbezirken ein gesondert gekennzeichneter Stimmzettel zur Anwendung.
Folglich ließ sich das Wahlverhalten von gut vier Prozent der Wahlberechtigten in rund drei Prozent der Wahlbezirke näher untersuchen. Auf der Grundlage dieser Stichprobe erfolgte die Hochrechnung für den Freistaat Sachsen.
Die Statistiker haben einige ihrer Erkenntnisse dabei herausgefiltert, den aufälligsten Befund aber nicht weiter betont. Den sieht man, wenn man sich die Zahl der Wahlberechtigten nach Altersjahrgängen anschaut. Und unübersehbar ist der gewaltige demografische Bruch zwischen den Alterskohorten der 60- bis 70-Jährigen und 50- bis 60-Jährigen auf der einen Seite und allen jüngeren Alterskohorten.
Meist wird ja nur die Halbierung der Geburtenzahlen in den 1990er Jahren thematisiert. Aber hier wird auch noch deutlich, dass diese Halbierung eine wichtige Ursache hatte: Es waren vor allem die jüngeren Jahrgänge der 20- bis 30-Jährigen die seit 1990 in Scharen den frisch gegründeten Freistaat verließen, weil sie hier auf Jahre hinaus keine Arbeitsstelle fanden und oft auch keine Ausbildungsstelle. Sie waren mobil, sie hatten meist noch keine Familie zu versorgen.
Und da sich diese demografische Tragödie bis in die frühen 2000er-Jahre hinzog, fehlten logischerweise all die Mütter und Väter, die die Kinder hätten bekommen können, die heute schon im Nachwuchs für die Wirtschaft fehlen.
Und natürlich fehlen diese damals jungen Menschen heute auch als Wähler. Sämtliche Altersjahrgänge unter 50 Jahren haben einen deutlich geringeren Einfluss auf das Wahlergebnis, im Grunde einen halbierten. Denn ihre Jahrgänge sind sämtlich nur halb so groß wie bei den Älteren.
Fast 30 Jahre lang profitierte davon vor allem die CDU, die Partei, die die über 60-Jährigen fast schon aus Gewohnheit mehrheitlich wählten. Die Senioren haben auch im Jahr 2019 immer noch einen überproportionalen Anteil an der Wählerschaft und damit auch am Wahlergebnis, denn das Statistische Landesamt kann feststellen, dass „beinahe die Hälfte (43 Prozent) der Wahlberechtigten über 60 Jahre alt waren und deren Wahlbeteiligung (ohne Briefwahl) mit fast 48 Prozent nur minimal unter dem sächsischen Durchschnitt (49,7 Prozent) lag“.
Was freilich nur einen Teil des Wahlausgangs erklärt. Denn natürlich sterben auch die älteren CDU-Wähler irgendwann, genauso wie die älteren Wähler der anderen Parteien. Was eben auch bedeutet, dass der Einfluss der etwas jüngeren Älteren auf das Wahlergebnis wächst, also der 50- bis 60-Jährigen, die mittlerweile die stärkste Alterskohorte bilden, die Babyboomer-Generation. Oder sollten wir sie die Sandwich-Generation nennen, weil es für sie die Gewissheiten der heute über 70-Jährigen nicht mehr gab, aber auch nicht die Zuversicht der jüngeren Generationen, die tatsächlich in die neue Gesellschaft hineinwuchsen?
Dafür spricht das Wahlergebnis. Denn bei den Älteren fuhren mehrere Parteien auch ihre stärksten Ergebnisse ein. Denn die Statistiker können feststellen, dass „sowohl die CDU, DIE LINKE, die SPD als auch die AfD ihre Wählerschaft bei den Direkt- sowie Listenstimmen in den Altersgruppen über 45 Jahren generierten, die der GRÜNEN sich auf die Altersgruppen von 25 bis 60 Jahre konzentrieren und die Hauptwähler der FDP hingegen zwischen 45 und 60 Jahre alt sind“.
Hier ist der Blick ins Detail wichtig, denn sowohl CDU, Linke als auch SPD holten die meisten Stimmen bei den über 70-Jährigen. Die über 70-Jährigen haben diesen drei klassischen Parteien praktisch das Fell gerettet. Die AfD aber holte 32,8 Prozent ihrer Stimmen bei den 45- bis 60-Jährigen, also genau in jenen Alterskohorten, die 1990 zumeist schon im Berufsleben standen und dann die ganze Rumpeltour bis heute miterlebt haben.
Die Grünen holten zwar viele Stimmen bei den Jüngeren. Aber hier macht sich bemerkbar, dass die jüngeren Jahrgänge nur halb so groß sind wie die der über 50-Jährigen. Es münzt sich für sie nicht in einem adäquaten Wahlergebnis um.
Wir haben also in diesem Jahr erstmals eine Verschiebung erlebt: Dominierte in den vergangenen Landtagswahlen der Wille der Senioren über 65 Jahre das Landtagswahlergebnis, machte sich in der Landtagswahl 2019 erstmals der Wählerwille der Babyboomer stärker bemerkbar, der sich freilich nicht allein im Ergebnis für die AfD ausdrückte, dort aber besonders stark.
Was aber heißt das für die Zukunft? Das Ergebnis der Grünen bei den jüngeren Wählern deutet darauf hin, dass sie in dieser Wahl deutlich unter ihren Möglichkeiten geblieben sind. Denn wie so oft bei Sachsenwahlen kommt bei den eh schon halbierten jüngeren Jahrgängen noch hinzu: Sie haben im Schnitt wieder eine deutlich niedrigere Wahlbeteiligung. Oder so formuliert: Sie haben den älteren Wählern wieder die Entscheidung überlassen.
Nur eine Alterskohorte fällt besonders heraus: Denn die höchste Wahlbeteiligung mit deutlich über 50 Prozent gab es bei den 40- bis 50-Jährigen. Ob sich das auch mit den höchsten Stimmenanteilen für die AfD deckt, verrät die Auswertung nicht. Aber man darf auch nicht vergessen: Das ist schon eine von jenen jüngeren Alterskohorten, in der es nur noch halb so viele Wahlberechtigte gibt wie bei den 50- bis 60-Jährigen. Diese Menschen haben schon ein völlig anderes Sachsen erlebt, eines, in dem es gerade für junge Berufsanfänger immer mehr Chancen gab, die Abwanderung aber neue Wege nahm – nicht mehr in den Westen, sondern in die Großstadt.
Es wird sehr lange dauern, bis die jüngeren Alterskohorten wirklich das Wahlergebnis dominieren. Das ist das Problem, das sächsische Politik wohl noch die nächsten 20 Jahre belastet. Denn Politiker, die wissen, dass sie vor allem mit den Stimmen der Älteren gewählt wurden, neigen eben leider nicht dazu, Politik für die Jüngeren zu machen.
Was eben leider auch dazu führt, dass viele Wähler sich von der gewählten Politik nicht wirklich vertreten fühlen und – man schaue auf die AfD – dann auch aus lauter Frust bereit sind, eine völlig irrationale Partei zu wählen.
Was politisches Wegducken mit dem Erstarken des Rassismus zu tun hat
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Keine Kommentare bisher
Ich finde die Darstellung zu den Wahlberechtigten irreführend. Bis 50 Jahre wird in 3- bzw. 5-Jahreskohorten zusammengefasst, ab 50 in 10-Jahreskohorten, das verzerrt das Ergebnis, wenn man nicht genau hinschaut.