Es ist ja ein ursächsisches Thema, bei dem Sachsens Regierung immer wieder versucht zu erklären, warum sie so vehement gegen jeglichen Kohleausstieg ist: das Arbeitskräftethema. Welche Folge hat das, wenn jetzt die Tagebaue und Kohlekraftwerke dichtmachen? Für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung haben sich jetzt Forscher der in der Schweiz ansässigen Prognos AG etwas eingehender mit dem Thema beschäftigt.
Sie gehen in ihrer 50-seitigen Analyse übrigens über die direkt vom Kohleausstieg Betroffenen hinaus und betrachten auch jene Branchen, die heute noch direkt und indirekt von der Kohleverbrennung abhängig sind. Auch die müssen sich ja ändern, wenn Deutschland 2050 klimaneutral sein will. Und sie müssen auch nicht ins Blaue hineinrechnen. Sachsens Spitzenpolitiker tun ja gern so, als gäbe es da jenseits ihrer geliebten Kohlekraftwerke noch gar nichts, als müsste der ganze Bereich der alternativen Energien quasi erst erfunden werden.
Was ja gehobener Unfug ist.
Dafür stehen allein schon zwei Zahlen: Direkt und indirekt sorgt die Kohleverstromung für rund 71.000 Menschen für Beschäftigung. Das fällt in der Lausitz mehr ins Gewicht als etwa in NRW. Aber demgegenüber stehen heute schon rund 1,2 Millionen Beschäftigte, die direkt bzw. indirekt mit regenerativen Energien zu tun haben. Eine Zahl, die deutlich höher werden kann und muss, wenn sich Deutschland und auch das kleine Sachsen wieder darauf besinnen, diese Technologien zu fördern und auszubauen. Schon heute werden 40 Prozent der Strommengen in Deutschland regenerativ erzeugt. Es gibt schon intelligente Energiesteuerungssysteme, die längst im Praxiseinsatz sind, die ersten Speichertechnologien (jenseits der viel diskutierten Batterien) gibt es auch.
Wer sich mit der Materie beschäftigt sieht, dass Deutschland nur endlich ernsthaft in genau diese Technologien investieren muss, dann kann das Land schon binnen weniger Jahre seinen CO2-Ausstoß massiv senken und das Abschalten von Atom-, Steinkohle- und Braunkohlekraftwerken ersetzen.
Aber damit verlagern sich natürlich die Beschäftigungsschwerpunkte. Im Energiesektor werden sie tatsächlich sinken, weil die neuen Anlagen nicht nur intelligent gesteuert werden, sondern auch viel weniger menschliche Arbeit brauchen. Die neue Arbeit fällt anderswo an: „In den einzelnen Branchen fallen die Effekte jedoch unterschiedlich aus. Im Zeitraum 2000 bis 2015 traten die größten positiven Beschäftigungswirkungen im Baugewerbe, im verarbeitenden Gewerbe und bei den Dienstleistungen auf. Für den Bergbau und den Sektor Energieversorgung sind die Beschäftigungswirkungen hingegen negativ.“
Was ja nur logisch ist. Wenn Sonne, Wind und Biomasse die Hauptenergieträger werden, braucht man all die Leute im Tagebau nicht mehr. Wer den Bergbaukumpeln etwas anderes erzählt, verkauft sie für dumm.
Die Ersteller der Studie gingen übrigens davon aus, dass Deutschland seine Treibhausgasausstöße bis 2030 halbiert, bis 2050 sogar um 95 Prozent senkt. Logisch, dass dabei die Kohlekraftwerke schon ab 2020 Stück für Stück vom Netz gehen müssen. Für einen vernünftigen Wirtschaftsminister wäre das eine Herausforderung, bei der er seine Ärmel hochkrempelt und erst einmal richtig in die neuen Technologien investieren würde, statt wie Don Quijote gegen Windmühlenflügel zu kämpfen. Und das gilt nicht nur für den Bundeswirtschaftsminister. Und nicht nur der Wirtschaftsminister müsste zu Potte kommen, wenn bis 2050 wirklich mal um das Absenken der Treibhausgasemissionen um 95 Prozent gekämpft werden sollte.
Dafür wäre nämlich, so die Studie, dieses Handlungspaket abzuleisten:
– umfassende Elektrifizierung von Verkehr (Elektromobilität bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen, Oberleitungs-Hybrid-Lkw im schweren Nutzverkehr) und Wärme (Wärmepumpen, keine elektrische Direktwärmeerzeugung oder elektrische Speicherheizungen mehr);
– konsequente energetische Sanierung des Gebäudebestands auf sehr gute Standards, Neubauten ab ca. 2025 auf Nullenergiestandard;
– konsequente Anwendung sämtlicher Effizienztechnologien bei Elektrogeräten sowie in allen Industrieprozessen;
– Nullemissionen im Stromsystem durch Deckung des Bedarfs von Back-up- und Regelkapazitäten mit synthetischem Gas;
– Konzentration von national verfügbarer Biomasse in der Industrie zur Erzeugung von Prozesswärme (sowohl feste Brennstoffe als auch Biogas als auch ggf. biogenes Synthesegas (Power-to-Gas) mithilfe von erneuerbarem Strom);
– deutlich beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien, um eine vollständige Deckung des Strombedarfs aus Erneuerbaren zu erreichen. Auch die Back-up-Kapazitäten werden mit erneuerbarem Synthesegas betrieben, das zuvor mithilfe von erneuerbarem Strom produziert wurde;
– mehr Flexibilität in der Stromerzeugung, um kurzfristige starke Schwankungen abzufedern;
– Import von Power-to-Liquid und Power-to-Gas Kraftstofflösungen aus Ländern mit sehr guter Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien;
– Einführung von Carbon Capture and Storage (CCS) ist zur Eliminierung von Emissionen aus der Zementproduktion, der Stahlproduktion (sofern diese nicht Direktreduktion nutzt) und Müllverbrennung notwendig;
– deutliche Reduzierung von Emissionen im Tierbestand (vor allem Wiederkäuer) sowie in der Düngung.
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Das ist ein herausforderndes Programm. Aber es ist auch eine echte technologische Vision, das Gegenteil des heute üblichen Gejammers von Politikern, die nicht den Mumm haben, Deutschland die nächste technologische Schwelle zuzumuten. Und die auch nicht begreifen, dass auch diese neuen, klimaschützenden Technologien Wertschöpfung schaffen – und damit logischerweise auch qualifizierte Arbeitsplätze.
Für die übrigens viele Arbeitskräfte fehlen werden, denn mit einigem Recht gehen die Studien-Autoren davon aus, dass das Arbeitskräfteangebot von heute 43 Millionen bis 2050 auf 37 Millionen zurückgeht. Die Grafik zeigt es sehr schön: Im Dienstleistungsbereich rund um Energie wird die Erwerbstätigenzahl weiter ansteigen, im Bergbau wird sie drastisch zurückgehen. Das nennt man dann wohl eigentlich die Modernisierung einer Wirtschaft.
Und im Fazit binden es die Autorinnen und Autoren dann noch einmal zusammen: „Die Ergebnisse zeigen, dass Klimaschutz insgesamt mit positiven wirtschaftlichen Effekten verbunden ist. In der Ex-post-Betrachtung wird deutlich, dass die Bereitstellung von Klimaschutztechnologien und -dienstleistungen in erheblichem Maße Beschäftigung generiert. Die drei Leitmärkte regenerative Energiewirtschaft, Energieeffizienz und klimafreundliche Mobilität umfassen 2018 über 1,2 Millionen Erwerbstätige.“
„Zudem lassen sich für die bisherige Entwicklung im Rahmen der Energiewende auch gesamtwirtschaftlich positive Nettobeschäftigungseffekte feststellen. Mit Blick in die Zukunft zeigt sich, dass der mit der Energiewende verbundene Strukturwandel sich leicht positiv auf die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung auswirken kann. So gehen im Jahr 2050 im Klimaschutzszenario (G95) etwa 43.000 Erwerbstätige mehr einer Beschäftigung nach als im Referenzszenario“, so die Studie. „Diese Größenordnung ist mit Blick auf die gesamte Erwerbstätigkeit zwar sehr gering. Gleichwohl ergibt sich daraus ein klarer Befund: Die Abwägung zwischen Klimaschutz und Arbeitsplätzen in der öffentlichen Diskussion ist vor diesem Hintergrund unbegründet – zumindest aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive.“
Zehn fiese Fragen zum Klimawandel und wie man ihnen mit Fakten begegnen kann
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