In der vergangenen Woche machte ja eine Studie im Auftrag des Paritätischen Gesamtverbandes von sich Reden. Sie zeigt, wie das Geld, das Kindern aus armen Familien zur Verfügung stand, zwischen 2003 und 2013 sogar deutlich gesunken ist, während die Konsumausgaben für Kinder aus reichen Familien deutlich anstiegen. Das hat auch mit „Hartz IV“ zu tun. Anlass genug für Paul M. Schröder, mal wieder nach den „Hartz IV“-Quoten der Kinder zu schauen.

Die sind zwar gesunken. Anders kann es eigentlich nicht sein in einem Land, das seit neun Jahren eine stabile Konjunktur erlebt. Aber sie sinken so langsam, dass das eigentlich nicht mehr zu erklären ist. Da werden Millionen junger Eltern entweder vom Arbeitsmarkt ferngehalten oder – was wohl eher die Realität ist: Sie bleiben in der Bedürftigkeitsfalle stecken, weil die Jobs, in die sie vermittelt werden, für den Unterhalt einer Familie nicht ausreichen. Ein Problem, das zwar einigen Parteien bewusst ist – aber die Regierungen der letzten Jahre haben nie den Mut gehabt, die Kinder aus der Bedürftigkeitsfalle zu holen. Sie haben ihre diversen Kindergeld-Pakete stets so gestrickt, dass sie entweder hochgradig bürokratisch waren oder gar auf die Unterhaltszahlungen der Jobcenter angerechnet wurden.

Das Ergebnis, so Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ):

„In der Bundesrepublik Deutschland lebten Ende 2018 gemäß der Bevölkerungsfortschreibung des Statistischen Bundesamtes 13,597 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter von unter 18 Jahren (Ende 2017: 13,538 Millionen). Gemäß Statistik der Bundesagentur für Arbeit lebten im Dezember 2018 insgesamt 1,953 Millionen (unverheiratete) Kinder und Jugendliche in Familien, die auf SGB-II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Hartz IV) angewiesen waren, amtlich: ,in SGB II-Bedarfsgemeinschaften‘ (Dezember 2017: 2,028 Millionen). Die aus den (unverheirateten) Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahre in SGB II-Bedarfsgemeinschaften und der altersgleichen Bevölkerung durch das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) neu berechnete SGB II-Quote u18 betrug Ende 2018 im Bundesdurchschnitt 14,4 Prozent (144 von 1.000). (Ende 2017: 15,0 Prozent).“

Das ist ein geradezu magerer Rückgang, der eben auch davon erzählt, dass gerade junge Familien mit Kindern auf die Unterstützung der Jobcenter angewiesen sind – und das oft selbst dann, wenn die Eltern beide einen eher miserabel bezahlten Arbeitsplatz haben.

Was dann dazu führt, dass die Zahl der Kinder in Bedarfsgemeinschaften praktisch ähnlich hoch ist wie die offiziell vermeldete Arbeitslosenzahl. Man nehme nur die für Dezember 2018 gemeldete Arbeitslosenzahl für Leipzig von 18.822 und vergleiche sie mit der Zahl der Kinder und Jugendlichen in Bedarfsgemeinschaften, die im Dezember bei 19.759 lag. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Oder eben das Ergebnis einer völlig verfehlten Reform, die gerade die Schwächsten der Gesellschaft immer wieder zum Betteln aufs Amt schickt, was einige Politiker auch noch für eine gelungene Reform halten.

Die 19.759 Kinder unter 18 Jahren bedeuten eben bei 93.820 Kindern unter 18 Jahren eine Quote von 21,1 Prozent. Oder so formuliert: Jedes fünfte Kind in Leipzig lebt in einer Bedarfsgemeinschaft. Trotz „boomenden“ Arbeitsmarktes.

In Sachsen sind es übrigens bei 638.323 Kindern unter 18 Jahren 85.424 Kinder, die in Bedarfsgemeinschaften leben, was auch noch 13,4 Prozent ausmacht, also etwas weniger als der Bundesdurchschnitt. Der Wert ist also irgendwie so eine Art Normalzustand der deutschen Sozialpolitik, die regelrecht stolz darauf zu sein scheint, dass 14 Prozent der Kinder auf die Wohltaten des Jobcenters angewiesen sind.

Wo sie gar nicht hingehören. Darum geht ja der Streit um all die Arten von Kindergeld, die in den letzten Jahren eingeführt wurden, aber nur einer Gruppe überhaupt nicht zugute kamen: der ärmsten.

Kein Wunder, dass sich die Diskussion um Armut und Reichtum im Land immer weiter zuspitzt, denn die Art, wie sich die Wohlhabenden auch noch die Wohltaten der Unterstützung für Kinder sichern, sieht schon ein wenig schäbig aus. Ganz so, als könnten sie einfach nicht genug kriegen, während die wirklich bedürftigen Eltern auf den Ämtern sitzen und riskieren, beim geringsten Fehlverhalten auch noch mit Geldabzug bestraft zu werden.

Sachsen liegt mit der Quote von 13,4 Prozent Kindern in SGB II übrigens noch im „besseren“ Teil der Tabelle, auf einem in diesem Fall eher positiveren 14. Platz. Nur Rheinland-Pfalz, Bayern und Baden-Württemberg haben noch niedrigere Quoten. An der Spitze der Tabelle liegen nicht überraschend die Stadtstaaten Bremen (31,9 Prozent, Platz 1), Berlin (28,1 Prozent, Platz 2) und Hamburg (20,0 Prozent, Platz 4). Nur Sachsen-Anhalt als Flächenland liegt mit 20,3 Prozent noch dazwischen.

Die Großstädte haben seit Jahren die höheren Quoten, nicht nur, weil sie meist auch höhere Arbeitslosenquoten als ihr Umland haben, sondern auch, weil sich hier viele Branchen konzentrieren, die vor allem niedrig entlohnte Dienstleistungsjobs anbieten.

Das trifft auch auf Leipzig zu, das unter den 15 von Schröder ausgewerteten Großstädten auf Rang 7 landet. In diesem Fall erzählt das von einer leichten positiven Entwicklung, denn vor Jahren rangierte Leipzig hier noch unter den Topplatzierten. Doch während in Leipzig sichtlich auch mehr junge Eltern es schaffen, sich aus der erdrückenden Umarmung des Jobcenters zu befreien (oder lieber ganz auf die Gnade des Amtes verzichten, um ihrer Familie den Makel zu nehmen, eine „Hartzer“-Familie zu sein), sind die Quoten der Kinder in SGB II in den vier westdeutschen Städten Essen, Bremen, Duisburg und Dortmund im Lauf der Zeit über 30 Prozent gestiegen, während die Leipziger Quote zumindest leicht sank – auf 21,1 Prozent, etwas mehr als in Hamburg (20,0 Prozent), aber deutlich weniger als in Berlin (28,1 Prozent).

Dass das Arbeitsangebot auch für junge Eltern in Dresden noch einmal spürbar besser ist, zeigen die dortigen Zahlen der Bedürftigkeit: Dort sind 13,3 Prozent der unter 18-Jährigen in einer Bedarfsgemeinschaft registriert, was beinah dem sächsischen Durchschnitt von 13,4 Prozent entspricht.

Chemnitz landet übrigens bei 19,4 Prozent, der Landkreis Leipzig bei 10,7 Prozent und Nordsachsen bei 13,7 Prozent. Leipzig verliert also nach und nach seine Patina als „Armutshauptstadt“, auch wenn das Lohnniveau nach wie vor deutlich unterm Bundesdurchschnitt liegt. Dafür wird sichtbarer, wie sehr die Armut der Kinder sich mit der „Hartz IV“-Problematik verbindet und wie sehr gerade die Großstädte damit zu tun haben, dass ganze Teile der Gesellschaft so niedrige Einkommen haben, dass ihre Kinder jahrelang in „Hartz IV“ leben müssen.

Was manifeste Armut mit fehlenden Aufstiegschancen und einer irrlichternden Gesellschaft zu tun hat

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