Schon im April kannten die Kommentatoren der großen deutschen Zeitungen keine Hemmungen, so richtig auf den Tisch zu hauen: „OECD-Studie: Bei der Steuerlast gehört Deutschland zur Weltspitze“, titelte die „Welt“. „Steuerlast: Deutsche müssen besonders viele Abgaben zahlen“, behauptete die „Zeit“. Das ist natürlich Futter für die Jammerbrigade der Besserverdiener, den Deutschen Steuerzahlerbund, der am 15. Juli seinen Jammertag feiern will, genannt „Steuerzahlergedenktag“. Der Trug steckt schon im Wort.
Bringen wir die Meldung des Steuerzahlerbundes einfach mal so, wie sie reinkam:
„Von 1 Euro bleiben nur 46,3 Cent
Am Montag, 15. Juli, ist der Steuerzahlergedenktag 2019
Der Steuerzahlergedenktag 2019 ist am Montag, den 15. Juli. Ab 21:56 Uhr arbeiten die Bürger wieder für ihr eigenes Portemonnaie. Das gesamte Einkommen, das die Steuer- und Beitragszahler vor diesem Datum erwirtschaftet haben, wurde – rein rechnerisch – an den Staat abgeführt. Damit liegt die Einkommensbelastungsquote für einen durchschnittlichen Arbeitnehmer-Haushalt in diesem Jahr bei voraussichtlich 53,7 Prozent – dies ergibt sich aus aktuellen Prognosen unseres Deutschen Steuerzahlerinstituts (DSi) auf Basis repräsentativer Haushaltsumfragen des Statistischen Bundesamts. Von jedem verdienten Euro bleiben also nur 46,3 Cent zur freien Verfügung. Somit sind die Deutschen im internationalen Vergleich besonders stark belastet: In 34 von 36 OECD-Staaten werden Arbeitnehmer weniger zur Kasse gebeten als bei uns.
Unsere Berechnungen für durchschnittliche Arbeitnehmer-Haushalte umfassen zum Beispiel auch Daten für Singles und Familien. Wie sieht es hier im Einzelnen aus? Bei den deutschen Singles ist die Belastung noch gravierender: Im Durchschnitt werden sie mit 54,7 Prozent belastet – ihr Steuerzahlergedenktag fällt damit auf Freitag, den 19. Juli. Der Steuerzahlergedenktag für Mehr-Personen-Haushalte ist bereits am Sonntag, 14. Juli – hier liegt die Belastungsquote bei 53,3 Prozent. In beiden Fällen bleibt ihnen weniger als die Hälfte des Einkommens zur freien Verfügung. Deshalb ist unsere Forderung eindeutig: Mit dem Steuerzahlergedenktag appellieren wir an die Politik, die Bürger spürbar zu entlasten und nicht ständig neue Ausgaben zu beschließen. Die Einkommensbelastungsquote muss unter die 50-Prozent-Marke fallen!“
Und die Fakten?
Da kann man direkt auf die Zahlen zurückgreifen, die die OECD am 11. April veröffentlicht hat, jene Zahlen, die das oben zitierte Gejammer ausgelöst haben, das sich im selben Tonfall durch alle konservativen Blätter der Nation fortpflanzte. Nicht alle haben denselben Tonfall fabriziert wie „Zeit“ und „Welt“. Denn was die OECD veröffentlicht, ist nicht die reine Steuerbelastung der Einkommen. Es sind übrigens auch nicht alle Steuern, sondern nur Steuern und Abgaben auf das Arbeitseinkommen.
Die Abgaben auf sämtliche Einkommen, die kein Arbeitseinkommen sind (Aktien, Renditen, Mieten usw.) werden überhaupt nicht erfasst. Heißt im Klartext: Das, was die wirklich wohlhabenden im Land an den Staat abgeben, kann die OECD-Statistik nicht preisgeben. Das weiß übrigens auch der Steuerzahlerbund nicht (der sich auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes von 2017 bezieht), der es in seiner Meldung tatsächlich fertigbringt zu suggerieren, es ginge hier nur um Steuerabgaben, das, was der arme Arbeitnehmer an den Staat abgibt, dieses gefräßige Ungeheuer, und dann nie wiedersieht.
Was eine Menge über die Denkweise des Steuerzahlerbundes und der Leute, für die er spricht, aussagt: Für diese Leute ist jeder Euro, der dem „Staat“ in den Rachen geworfen wird, zu viel. Auch wenn sie nur zu gern sämtliche Dienstleistungen des „Staates“ in Anspruch nehmen – von den Autobahnen über Städte und Hochschulen bis hin zur Arbeit von Polizei, Gerichten und Verwaltungen. Als wäre das alles nicht auch für sie da, sondern immer nur für andere.
Aber die Trickserei geht ja noch weiter. Denn die Abgaben, die ja von der OECD auch erfasst werden, sind ja Abgaben für Krankenkassen, Rente und Arbeitslosenversicherung, alles Kosten, die dem Beitragszahler selbst zugute kommen. Es ist also gelogen, dass der Arbeitnehmer bis zum 15. Juli nur „für den Staat“ arbeitet.
Aber da hört die Schwindelei noch nicht auf. Kein einziger Wert, den die OECD für 2018 berechnet hat (und daran hat sich auch 2019 ja nichts geändert) entspricht dem 15. Juli, also der vom Steuerzahlerbund behaupteten 53,3 Prozent Belastung. Nach OECD-Berechnung erreichen nur Alleinverdiener mit 167 Prozent des Durchschnittseinkommens die Belastungsquote von 51,3 Prozent.
Der „durchschnittliche Arbeitnehmer-Haushalt“, den der Steuerzahlerbund zitiert, ist weit entfernt von dieser Belastungshöhe. Ein Doppelverdienerhaushalt mit zwei Kindern und einem Durchschnittseinkommen und einem unterdurchschnittlichen Zweiteinkommen kommt zum Beispiel nur auf eine Steuer- und Abgabenlast von 42,6 Prozent. Alleinerziehende mit zwei Kindern und unterdurchschnittlichem Einkommen kommen auf 31,5 Prozent Belastung.
Wer weiß, was Alleinerziehende in Teilzeitjobs so verdienen, der weiß auch, dass die 31,5 Prozent viel schmerzhafter sind als die 51,3 Prozent für einen alleinstehenden Gutverdiener.
Die OECD greift als Vergleichsmaßstab immer den alleinstehenden Durchschnittsverdiener heraus, der immerhin 49,6 Prozent seines Einkommens für Steuern und Abgaben zahlt. Das ist zwar nach Belgien der zweithöchste Wert in der OECD-Statistik, aber er blendet aus, welche unterschiedlichen Leistungen in den OECD-Staaten hinter diesen Abgaben stehen. Wo läge dann aber der eigentliche Tag, an dem so ein Durchschnitts-Single seine gesamten Abgaben und Steuern erarbeitet hätte? Am 2. Juli. Nicht später.
Was sich der Steuerzahlerbund da herausgegriffen hat, ist wieder eine gut verdienende Ausnahme, nicht der Durchschnitt und schon gar nicht der typische Normalverdienerfall. Logisch, dass der Bund der Besserverdienenden gleich wieder neue Steuersenkungen fordert, und zwar ganz gezielt für die Spitzenverdiener.
Ganz zentral wieder: „Den Einkommensteuertarif reformieren! – Die Mittelschicht in Deutschland ist durch die Einkommensteuer sehr hoch belastet. Es ist absolut indiskutabel, dass selbst Durchschnittsverdiener knapp unter dem Spitzensteuersatz liegen. Die Politik muss den Einkommensteuertarif grundlegend reformieren, damit die Menschen mehr Geld in der Tasche haben – für die Eigenvorsorge, für ihre Familie oder für Bildung. Deshalb schlagen wir als Bund der Steuerzahler vor, den Steuertarif abzuflachen, zugleich sollte der Spitzensteuersatz erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 80.000 Euro greifen. Zudem fordern wir, den Einkommensteuertarif sprichwörtlich auf Räder zu stellen: Für diesen ,Tarif auf Rädern‘ müssen die Eckwerte – vom Grundfreibetrag bis zur Einkommensgrenze des Spitzensteuersatzes – jährlich an die allgemeine Lohn- und Preisentwicklung angepasst werden.“
Das ist wieder ein Märchen für die Dummen. Nicht nur, weil der Spitzensteuersatz mit 45 Prozent sowieso schon deutlich niedriger liegt als zu Helmut Kohls Zeiten. Es zahlt ihn auch keiner, stellt Axel Stommel in seinem sehr profunden Buch „Basics der Ökonomie“ fest. Denn die Steuersätze gelten immer erst ab der definierten Einkommenshöhe – auch für die Gutverdienenden. Für alles, was unter dieser Einkommensgrenze liegt, zahlen sie die niedrigeren Steuersätze, die bis dahin gelten, nur für das, was drüber liegt, zahlen sie den Spitzensteuersatz.
Der Spitzensteuersatz von 45 Prozent gilt übrigens erst ab 254.447 Euro Jahreseinkommen (Werte für 2017), 42 Prozent zahlt man ab 52.882 Euro Jahreseinkommen. Der steilste Anstieg ist tatsächlich zwischen dem Freibetrag von 8.820 Euro (der übrigens auch für alle gilt, das wird fast immer vergessen) und einem Einkommen von 13.621 Euro, wo schon 24 Prozent gelten.
Weil sich das so abstuft, zahlen Deutsche mit Einkommen bis 90.000 Euro in der Regel weniger als 20 Prozent Einkommenssteuer. Und auch die Besserverdienenden bis 250.000 Euro kommen bei der realen Steuerbelastung kaum über 30 Prozent hinaus.
Und natürlich fordert der Bund der Nimmersatten auch „Den Solidaritätszuschlag komplett und für alle abschaffen!“ (also eben auch für die Besserverdienenden, die ihn kaum spüren in ihrer Steuerabrechnung) und „Den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf 2,0 Prozent senken!“.
Basics der Ökonomie: Alles, was Sie schon immer über Wirtschaft, Staat und Steuern wissen wollten
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