Immer wieder schreiben die große Medien von „schwächelnder Konjunktur“. So auch der „Spiegel“ wieder, der die Entwicklung der Arbeitslosenrate im Juni so beschrieb: „Die schwächelnde Konjunktur macht sich auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar: Im Juni waren zwar 20.000 weniger Menschen ohne Job als im Mai – doch dieser Rückgang ist schwächer als in den Vorjahren“. Die Interpretationsschablone stammt ursprünglich übrigens von der Bundesarbeitsagentur.
Die hatte am 1. Juli verkündet: „Der Einfluss der sich abschwächenden Konjunktur zeigt sich am deutlichsten in der Unterbeschäftigung, die auch Veränderungen in der Arbeitsmarktpolitik und kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt.“
Jeder plappert es dem anderen nach. Meist bezieht man sich auf die letzte Äußerung der Ökonomen, die die Bundesregierung beraten und als „Wirtschaftsweise“ bekannt sind, obwohl sie auch nichts anderes tun, als BIP-Zahlen durch den Rechner zu jagen. Mit einer fundierten Analyse der Wirtschaft hat das alles nichts zu tun.
Und ihre Vorgänger vor 30 Jahren hätten ganz sicher den Kopf geschüttelt, wenn all die gefeierten Experten von einer Konjunkturflaute reden, obwohl die Arbeitslosenzahlen immer weiter sinken und die Unternehmen noch immer nach hunderttausenden Fachkräften suchen, auch wenn die BA meint: „Die Nachfrage nach neuen Mitarbeitern bewegt sich auf hohem Niveau, wird aber merklich schwächer. Im Juni waren 798.000 Arbeitsstellen bei der BA gemeldet, 8.000 weniger als vor einem Jahr.“
Es werden also immer noch fast 800.000 Arbeitskräfte gesucht. Und zwar immer weniger als Aushilfsjob, sondern, so die Bundesagentur: „Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sind weiter gestiegen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hat sich die Zahl der Erwerbstätigen (nach dem Inlandskonzept) im Mai saisonbereinigt gegenüber dem Vormonat um 21.000 erhöht. Mit 45,28 Millionen Personen fiel sie im Vergleich zum Vorjahr um 462.000 höher aus. Das Plus beruht weit überwiegend auf dem Zuwachs bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Diese ist im Vergleich zum Vorjahr um 595.000 gestiegen.“
Das bedeutet eben auch: Der simple Vergleich der gemeldeten freien Stellen des Vorjahres mit denen im Juni 2019 ist Quatsch. Denn fast 600.000 sozialversicherungspflichtige Stellen wurden übers Jahr besetzt. Mehr als die Hälfte der jetzt gemeldeten Stellen sind neu dazugekommen. Die Gesamtbeschäftigung ist gestiegen.
Auch in Sachsen übrigens. Hier meldete die Arbeitsagentur zum Beschäftigungsaufbau: „Im April 2019 waren in Sachsen nach ersten Hochrechnungen über 1,62 Millionen Frauen und Männer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Mit einem Zuwachs von 14.600 berufstätigen Menschen hält der Beschäftigungsanstieg gegenüber dem Vorjahr an und liegt bei aktuell 0,9 Prozent.“ Und das ist nur die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Die Gesamtbeschäftigung in Sachsen liegt bei 2,07 Millionen.
Aber auch die Arbeitsagentur Sachsen hält es für wichtig darauf hinzuweisen, dass gerade sv-pflichtige Beschäftigung wächst: „Im langjährigen Vergleich liegt die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit 1,62 Mio. auf recht hohem Niveau. In keinem April seit 1999 waren mehr Menschen in Sachsen beschäftigt. Den Tiefstand erreichte die Beschäftigung in Sachsen im Jahr 2005. Damals waren im April 1,32 Mio. Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt – 292.742 weniger als aktuell.“
Hinter der ganzen Statistik steckt auch eine Art Umverteilung, auf die auch das Sächsische Landesamt für Statistik hinweist: „Einen Rückgang verzeichneten dagegen die marginal Beschäftigten sowie die Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen.“
Noch bis 2010 war die marginale Beschäftigung in Sachsen permanent gewachsen. Gerade im Dienstleistungssektor wurden großenteils nur solche Jobs angeboten – meist mit der faulen Ausrede, sächsische Unternehmen könnten mehr nicht leisten. Allen voran Handel und Gastgewerbe.
Doch schon vorher wanderten Beschäftigte, die sich so nicht mehr ausplündern lassen wollten, in feste Beschäftigungen ab. Der Trend wurde ab 2015 deutlich verstärkt, als nämlich der Mindestlohn eingeführt wurde und sich auf einmal herausstellte, wie viele der Unternehmen, die vorher gejammert und gebarmt hatten, auf einmal Mindestlohn zahlen konnten. Und auf einmal gab es wieder einen richtigen Wettbewerb um Arbeitskräfte. Denn der Bedarf an Arbeitskräften stieg ja in fast allen Branchen weiter an.
Das hörte auch im ersten Quartal 2019 nicht auf, das das Landesamt für Statistik nun ausgewertet hat: „Im ersten Quartal 2019 gab es rund 2.070.000 Erwerbstätige in Sachsen. Im Vergleich zum Vorjahresquartal erhöhte sich deren Anzahl um 0,8 Prozent bzw. rund 17.000 Personen. Diese positive Entwicklung resultierte hauptsächlich aus dem deutlichen Anstieg der Arbeitnehmer ohne marginal Beschäftigte.“
Und auch nach Branchen lässt sich klar untergliedern, wo der Beschäftigungsaufbau besonders deutlich ist.
„Die Wachstumsimpulse in Sachsen kamen aus fast allen Wirtschaftsbereichen“, so die Landesstatistiker. „Im Produzierenden Gewerbe erhöhte sich die Zahl der Erwerbstätigen um 1,7 Prozent bzw. rund 9.600 Personen. Hier trug insbesondere der Bereich Verarbeitendes Gewerbe mit einem Plus von 1,9 Prozent bzw. reichlich 6.800 Personen zur Gesamtentwicklung bei. Auch im Dienstleistungssektor stieg die Erwerbstätigenzahl im Vergleich zum ersten Quartal 2018 um 0,5 Prozent bzw. rund 7.600 Personen. Hier erhöhte sich vor allem die Zahl im Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit um 1,1 Prozent bzw. rund 6.900 Personen.“
So langsam macht sich die hektische Suche nach Lehrer/-innen, Erzieher/-innen und anderen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst in der Statistik bemerkbar. Dazu kommt der riesige Bedarf in allen Pflegeberufen. Das sind natürlich alles keine Branchen mit riesigem BIP, so wie in der exportorientierten Industrie. Logisch, dass das dämpfende Effekte auf BIP und die sogenannte „Produktivität“ pro Kopf hat. Rechnerisch ist der Zusammenbau eines Autos ressourcenaufwendiger als die Pflege eines kranken Menschen. Solange sich die Ökonomen aber auf solche Produktivitätsfaktoren fokussieren, werden sie den Wandel einer Dienstleistungsgesellschaft nicht mal begreifen.
Der findet auch im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie statt. Der steckt im Cluster „Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation“, das einen Zuwachs um 1,0 Prozent bzw. rund 4.700 Erwerbstätige verzeichnete. Hier werden also Programmierer und Sofwareentwickler mit Kassiererinnen und Kraftfahrern in einen Topf geschmissen. Aber Computerfachleute werden genauso gesucht wie Kraftfahrer.
Und dann gibt es zwei Cluster, in denen der Beschäftigungsabbau weitergeht.
Das eine ist der Bereich Grundstücks- und Wohnungswesen, Finanz- und Unternehmensdienstleister, wo die Zahl der Erwerbstätigen um 1,2 Prozent bzw. rund 4.000 Personen zurückging. Aber nicht, weil hier große Entlassungen stattfanden, sondern weil hier statistisch die Zeitarbeit mit drinsteckt. Und auch die Zahl der Menschen in Zeitarbeit sinkt, denn die Unternehmen, wo sie als Leiharbeiter tätig waren (meist im produzierenden Sektor) verwandeln ihre Verträge lieber in Festverträge, als sie jetzt, wo die Fachkräfte knapp werden, noch zu verlieren. Sie sind also statistisch aus dem Cluster „Grundstücks- und Wohnungswesen, Finanz- und Unternehmensdienstleister“ in den Wirtschaftsbereich „Produzierendes Gewerbe gewechselt“.
Was eben auch heißt, dass das Produzierende Gewerbe eher keinen großen Beschäftigungsaufbau hatte. Es hat sich nur die Leiharbeiter als Festangestellte gesichert.
Und dann ist da noch der Wirtschaftsbereich, der seit Jahren nur einen Trend kennt: immer größere Ställe und Felder, immer mehr Technik und Elektronik, dafür immer weniger Menschen, die die ganze Landwirtschaftsmaschine steuern: Die Rede ist von „Land- und Forstwirtschaft, Fischerei“, in denen die Erwerbstätigkeit um 1,5 Prozent bzw. rund 400 Personen sank.
Und dann gibt es noch den kleinen Blitz in die Bewegungen, die durch solche Veränderungen am Arbeitsmarkt ausgelöst werden, denn wenn die neuen Jobs (IKT, Pflege, Lehre, Öffentlicher Dienst) in den großen Städten entstehen, wandern die Arbeitskräfte genau dorthin. Das wird sichtbar, wenn die Statistiker diesen sonderbaren Apfel Berlin nehmen und gesondert hervorheben, weil sie nicht so recht wissen, wo sie ihn hinpacken sollen: „Deutschlandweit stieg die Erwerbstätigenzahl im ersten Quartal 2019 im Vergleich zum Vorjahresquartal um 1,1 Prozent. In den alten Ländern (ohne Berlin) waren es 1,1 Prozent und in den fünf neuen Ländern 0,6 Prozent. Berlin lag mit 2,5 Prozent Anstieg an der Spitze der Länder.“
Ein ähnliches Bild würde man sehen, wenn man Leipzig und Dresden mit dem Rest von Sachsen vergleichen würde. Die modernen Arbeitsplätze entstehen fast alle in den Großstädten.
Ohne eine echte Reform wird die Arbeitsagentur die Arbeitskräftenachfrage nicht mehr meistern
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