Städte sind Orte des Transits, der Möglichkeiten und der Transformation. Darüber hat der Leipziger Sozialforscher Andreas Thiesen 2016 ein ganzes Buch veröffentlicht: „Die transformative Stadt“. Leipzig war ihm dafür ein ideales Forschungsfeld. Und ist es bis heute, wo die Veränderungen immer öfter an Besitzständen scheitern. An der Burgenmentalität von Leuten, denen das Ermöglichen als Strategie ziemlich fremd ist. Lieber richten sie grimmige Kontrollzonen ein.

Und begreifen selbst so disperate Viertel wie den Leipziger Osten vor allem als Raum der Gefahr, nicht als Raum der Chancen. Dabei unterscheidet sich der Leipziger Osten darin nicht wirklich von anderen Teilen Leipzigs. Dazu kommen wir noch.

Denn auch in Leipzig überlappen sich Möglichkeitsräume mit Verbotszonen. Das wollte konservative Landespolitik so. Das ist aus den Köpfen von Politikern, die Veränderung für gefährlich halten, auch nicht herauszubekommen. Genauso wenig wie ihre Angstbilder vom Fremden.

Dabei sieht man die meisten „Fremden“ in Leipzig gar nicht. Ganz zu schweigen davon, dass die Hälfte der Stadtgesellschaft aus „kürzlich Zugezogenen“ besteht. Auch aus Bayern, Hessen und Hamburg, um nur ein paar zu nennen. Die aber nicht separiert werden, weil sie nicht als Integrationsproblem wahrgenommen werden. Eher glauben die Einheimischen, sie müssten erst mal integriert werden.

Man kann schon närrisch werden in Sachsen.

Aber wie ist es mit denen von weiter her? Denen man ansieht, dass sie aus Ländern mit mehr Sonne und anderen Kleidungstraditionen kommen?

Andreas Martin hat in seinem Beitrag im Quartalsbericht sauber aufgelistet, woher die meisten Migranten in Leipzig kommen. Dass die Syrer, die seit 2015 auch in Sachsen Zuflucht fanden, mit 9.059 die größte Gruppe unter den mittlerweile 87.889 Einwohnern mit Migrationshintergrund stellen, war zu erwarten. Leipzig redet nicht nur davon, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht. Leipzig nimmt auch auf.

2011 lag die Zahl der Einwohner mit Migrationshintergrund übrigens nur halb so hoch, bei 44.409. Menschen mit einem Geburtsort im Ausland machten in der Zeit ungefähr die Hälfte des Leipziger Bevölkerungswachstums aus. Und das waren nicht nur Menschen aus Bürgerkriegsländern, zu denen man vielleicht noch die Iraker (2.816) oder Afghanen (2.171) zählen muss.

Aber unter den großen Migrantengruppen sind einige, die man im Leipziger Straßenbild nicht erkennt. Und es sind große: 8.773 Menschen mit Wurzeln in Russland, 5.019 mit welchen in Polen oder 3.491 mit solchen in der Ukraine. Sie alle suchen in Leipzig eine sichere Wohnstatt und einen beruflichen Erfolg. Das trifft auf Vietnamesen (3.430), Menschen aus der Türkei (2.467) und Kasachstan (2.244) genauso zu. Manchmal wollen sie auch dem Zugriff wilder Autokraten entkommen. Und je mehr Autokraten sich auftun in der Welt, umso mehr solcher Menschen, die eigentlich in Freiheit leben wollen,werden auch nach Leipzig kommen.

Aber nicht nur die.

Denn auch für Bewohner der EU ist Leipzig ein attraktives Ziel. Für Italiener (1.983), Ungarn (1.814) oder Bulgaren (1.615), Franzosen (1.544) oder Griechen (1.413). Man kann die ganze Liste durchgehen und merkt schnell, dass das Unkenrufen der hiesigen Menschenfeinde, die sich auf Menschen aus der Welt des Islam eingeschossen haben, tatsächlich vor allem eine kleine Gruppe trifft, die für die Menschenfeinde (scheinbar) leicht erkennbar ist. Man macht eine kleine Gruppe zum „Feind“, versucht sie auszugrenzen und für nicht akzeptabel zu erklären.

Obwohl man selbst nur einer kleinen Gruppe angehört, einer kleinen Gruppe von Leuten voller falscher Menschenbilder und Vorurteile. Und ohne Verständnis für das Wesen einer Stadt, deren Lebenselixier Veränderung ist. Oder sein müsste. Und für eine große Gruppe ist sie das auch. Das sind natürlich vor allem hochqualifizierte, gebildete junge Menschen, die sich in den modernen, international agierenden Leipziger Unternehmen genauso wohlfühlen oder in den hochkompetenten Forschungsbereichen.

Und sie kamen auch 2018 aus Ländern wie Polen, Russland, Italien, Frankreich und Spanien, wenn man von den Syrern und Afghanen absieht, die auch 2018 in Leipzig Zuflucht fanden. Eine besondere Gruppe sind bestimmt die Rumänen, die gleich hinter den Syrern die zweitgrößte Zuwanderungsgruppe stellten. Man trifft sie oft als Bauarbeiter auf Leipziger Baustellen. Ob das repräsentativ ist, weiß ich nicht. Die Daten, was die Zugereisten dann beruflich tun, werden hier ja nicht zusammengeführt.

Aber auch auf der niedrigen Ebene von wenig qualifizierten Berufen kann Integration gelingen, wenn die Betroffenen nicht ghettoisiert werden und genug verdienen, um ein eigenes Leben zu gestalten.

Der Leipziger Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund liegt übrigens inzwischen bei 14,7 Prozent. Und Andreas Martin weist nicht zu unrecht darauf hin, dass Deutschland seit Jahrzehnten ein Zuwanderungsland ist. Unsere rechtsradikalen Herren in Grau behaupten ja gern, sie wollten keine Verhältnisse wie in den großen westdeutschen Städten. Sie tun dann gern so, als könnte Deutschland dann noch funktionieren.

Aber Deutschland hätte dann über 19 Millionen Einwohner weniger. Ganze Industrien würden zusammenbrechen, vom Gesundheits- und Pflegesystem ganz zu schweigen. Denn die verbleibende deutsche Bevölkerung wäre auch noch heftig überaltert. Auch in Leipzig. Die Grauen Herren wären die Allerersten, die wieder Werbebüros in anderen Ländern einrichten würden, um neue „Gastarbeiter“ anzuwerben, damit der Laden nicht zusammenbricht.

Sie machen mit einem falschen Bild der Wirklichkeit Wahlkampf (ihre Kollegen in den anderen Industrienationen übrigens auch). Das Land, das sie mit ihrer Politik bekommen würden, wäre eines, das binnen kurzer Zeit den Anschluss an die führenden Industrienationen verlieren würde. Denn Internationalität bedeutet nun einmal auch, im internationalen Wettbewerb um kluge Köpfe mithalten zu können.

Leipzig wird übrigens auf ganz natürlichem Weg internationaler. Die 14,7 Prozent sind ja nur der Durchschnitt. Da es vor allem junge Menschen sind, die eine Stadt als Ort der Transformation für sich entdecken, bevölkern auch ihre Kinder längst unsere Schulen und Kindertagesstätten. Auch den Kindergarten, vor dem die Nichtsmerker unter unseren politischen Flachfliegern ihre Schweinefleisch-Demo abhalten wollten.

24,1 Prozent der Kinder in den Leipziger Kindertagesstätten haben einen Migrationshintergrund. Ihre Altersgefährten wachsen also ganz selbstverständlich mit dem Wissen auf, dass ihre Freunde auch aus Spanien, Russland, Vietnam, China oder Großbritannien kommen. Sie lernen die Welt nicht als deutschen Erbseneintopf kennen, sondern als eine Vielfalt der Möglichkeiten.

Wer die Welt aber als Möglichkeit denkt, der kommt nicht auf die Idee, dass schweinslederne Vorstellungen von Heimat das Leben bestimmen könnten.

Und noch zum Vergleich aus dem Text von Andreas Martin: „Auch ein Blick auf die Migrantenanteile in ausgewählten Großstädten offenbart gravierende Unterschiede zwischen den Kommunen in den ost- und westdeutschen Bundesländern. 2017 hatte Frankfurt am Main den höchsten Anteil, nämlich 53,1 Prozent. Es folgten Nürnberg (45,6), Stuttgart (44,6), München (43,1), Düsseldorf (41,6), Köln (38,2) und Dortmund (34,2). Für Potsdam wurden 13,5, für Dresden 11,2 Prozent ermittelt.“

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