Als sich im Frühjahr 2018 abzeichnete, dass sich das seit 2014 beobachtete Fahrgastwachstum der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) auf einmal in Luft auflöste, zweifelten wir ja selbst noch an den Zahlen. Vielleicht berappelte sich das ja noch im Jahresverlauf. Aber es berappelte sich nicht. Eine winzige Steigerung von 400.000 Fahrgästen gegenüber dem Vorjahr wurde erreicht, ein winziges Plus von 0,2 Prozent. Kein Wunder, dass der Stadtrat rebellisch wurde.

Denn dieses abrupte Ende in der Fahrgastentwicklung hat mehrere Gründe. Der eine ist die seit zehn Jahren praktizierte Politik, die Kostensteigerungen der LVB komplett auf die Fahrpreise umzulegen, sodass die LVB-Kunden jedes Jahr saftige Fahrpreissteigerungen zwischen 2,5 und 3 Prozent erlebten, doppelt so hoch wie die allgemeine Inflationsrate. Und wahrscheinlich zu Recht vermuteten wir, dass die enttäuschten Fahrgäste oder all jene, die sich auch die LeipzigPassMobilCard nicht mehr leisten konnten oder wollten, auf preiswertere Verkehrsarten umstiegen.

Einige stiegen auch auf die S-Bahn um. Aber gerade auf dem Weg zur Arbeit legte das Fahrrad deutlich zu.

Der Stadtrat zog ja bekanntlich die Reißleine und verordnete den LVB für zwei Jahre ein Tarifmoratorium. Gleichzeitig entschied sich die Ratsversammlung zur Umsetzung des Nachhaltigkeitsszenarios in der Verkehrspolitik: deutlicher Ausbau des ÖPNV-Angebotes.

Denn was 2018 auch sichtbar war, war die Tatsache, dass die LVB punktuell an die Grenze ihrer Belastbarkeit gekommen waren. Und zwar nicht nur am Nadelöhr Hauptbahnhof. Im Sommer schon machte sich bemerkbar, dass man beim Rekrutieren neuer Fahrer völlig ins Hintertreffen geraten war. Erstmals für die ganze Stadt sichtbar mussten nun auch außerhalb der Ferienzeiten eingeschränkte Fahrpläne auf mehreren Linien gefahren werden.

Was übrigens auch im Sommer 2019 noch immer bzw. wieder der Fall ist. Und das betraf nicht nur Linien wie die 2 und die 8, sondern auch eine Linie auf einer der am stärksten frequentierten Strecken, die Linie 10.

Und wer auf der Nord-Süd-Achse unterwegs ist, weiß, was es bedeutet, wenn hier der vorherige 5-Minuten-Takt aus dem Lot gerät. Denn das bedeutet hier nicht nur größere Taktabstände. Schon 2 Minuten mehr „Luft“ zwischen zwei Bahnen bedeuten hier im Berufsverkehr, dass sich ein Drittel mehr Fahrgäste einfindet, die erste Bahn wird voller, das Umsteigen dauert länger. Der mühsam zusammengeschusterte 7-Minuten-Takt der Linien 10 und 11 verwandelt sich in lauter 10- und 12-Minutentakte, während die halbleeren Bahnen den überfüllten „vorderen“ Bahnen hinterherzockeln. Die dann im Lauf des Tages immer seltener Schaffen, ihren Fahrplanrückstand wieder aufzuholen.

So etwas hat Folgen. Das wissen auch die Verkehrsplaner. Denn wenn auf wichtigen Hauptstrecken kein verlässlicher Takt mehr angeboten werden kann, steigen die Fahrgäste aus und um, sichern sich nicht nur verlässlichere Verkehrsmittel, sondern auch welche ohne all die Kalamitäten in überfüllten Bahnen.

Das Problem: Die Stadt Leipzig hat zum letzten Mal 2015 einen neuen Modal Split erhoben. Die Stadt tappt also völlig im Dunkeln, wohin die Fahrgäste abwandern. Deswegen wird immer noch die Zahl von 18 Prozent aller Wege genannt, die die Leipziger mit dem ÖPNV zurücklegen.

2015 war dieser Anteil gegenüber 2013 immerhin von 17,1 auf 17,6 Prozent gestiegen. Die Verkehrsbefragung für 2018 soll erst im Frühjahr 2020 vorliegen. Der Grund, so Michael Jana, Leiter des Verkehrs- und Tiefbauamtes: Die TU Dresden hat von immer mehr Städten die Beauftragung für solche Verkehrsbefragungen. Man kommt nicht mehr so schnell hinterher.

Denn die ersten Zahlen für 2019 deuten für die LVB einen weiteren Verlust von Anteilen an: Nur 39,18 Millionen Fahrgäste wurden im ersten Quartal 2019 mit Bus und Straßenbahn befördert, fast 1,4 Millionen weniger als im Vorjahresquartal. Das sind über 3 Prozent weniger, wo eigentlich mindestens 1 Prozent mehr zu erwarten gewesen wäre, so viel, wie das Bevölkerungswachstum.

Es deutet manches darauf hin, dass das eben nicht nur mit dem Wetter zu tun hat, wie die LVB ihre schwachen Zahlen für 2018 interpretierte. Die Interpretation, dass das mit dem eingeschränkten (Ferien-)Betrieb auf wichtigen Linien zu tun hat, liegt deutlich näher. Denn sie begreift das System dort, wo es die Fahrgäste erleben: bei einer signifikanten Verschlechterung des Angebots. Und das trotz gestiegener Fahrgasteinnahmen und Abonnentenzahlen.

Da wurde eine ganze Reihe Weichen viel zu spät gestellt. Diese Versäumnisse werden in den nächsten Jahren schwer wieder auszugleichen sein.

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