Was zu erwarten war, ist nun passiert: Im April hat die Zahl gemeldeter freier Stellen erstmals die 8.000er-Marke gerissen. Vor einem Jahr waren es noch 7.000, davor 6.000 usw. Gleichzeitig schmilzt die Zahl der arbeitslos Gemeldeten wie Schnee an der Sonne. Nicht nur Leipzig rauscht mit hundert Sachen mitten hinein in die Demografiefalle. Und singt es sich auch noch schön: „Die Arbeitsmarktentwicklung ist weiter sehr gut“, meint der Vorsitzende der Geschäftsführung der Leipziger Agentur für Arbeit Steffen Leonhardi.
Damit ist er nicht allein. Dieselbe Melodie stimmt zum Beispiel „Der Spiegel“ auch für Deutschland an: „Frühjahrsbelebung. Arbeitslosigkeit – niedrigster Aprilwert seit 30 Jahren“. Und dasselbe für Europa: „Vorkrisenniveau. Arbeitslosigkeit in der Eurozone auf tiefstem Stand seit 2008“.
Seit Jahren haben sich Agenturen, Wirtschaftspolitiker und Medien einen Sport daraus gemacht, Arbeitslosenzahlen wie eine Krankheit zu behandeln, die es auszumerzen gilt, egal wie. Sie wird schon lange nicht mehr als Anzeichen dafür gewertet, welche Fachkräfte tatsächlich gebraucht werden, wo vorgesorgt und ausgebildet werden muss. Der Grund ist simpel: Arbeitslose werden wie Möbelstücke behandelt, wie Menschen, die sich nicht zu helfen wissen und die man dann eben dahin verfrachtet, wo sie nicht im Weg rumsitzen.
Ob man sie tatsächlich befähigt, genau jene Arbeitsstellen zu besetzen, die frei sind, spielt so gut wie keine Rolle. Das wäre ein anderes Rollenverständnis. Da müsste man aus der Zuchtmeisterrolle heraus und akzeptieren, dass menschliche Arbeit der eigentliche Wert ist, nicht der gnädig gewährte Arbeitsplatz.
Der Arbeitsplatz erzählt nur von Arbeit, die nicht mehr getan werden kann.
Und so sagt auch Leonhardi: „Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist hoch und die Zahl der Arbeitslosen geht stetig zurück. Gemeinsam mit den Unternehmen geht es darum, durch Qualifizierung die Menschen fit zu machen für die Anforderungen der Arbeitsplätze. Aus Weiterbildung sollen neue Chancen entstehen.“
Was freilich im selben Tonfall seit Jahren erzählt wird, ohne dass sich die Strukturen wirklich verändern. Ohne dass sich auch Schule verändert, denn dass immer noch hunderte junge Menschen jahrelang durch das Jobcenter schleichen, weil sie irgendwie nicht die nötigen Ausbilungs- oder Einstellungsbedingungen mitbringen, ist ein Versagen unseres Bildungssystems, das immer noch den elitären Geist des Aussortierens aus Kaisers Zeiten pflegt, nicht die Schaffung von echter Chancengleichheit und Befähigung zum Ziel hat.
Aber sieht man die verantwortlichen Minister in Sack und Asche gehen? Nicht die Spur. Das System ist wie erstarrt.
Aber Fakt ist nun einmal: Mit dem Denken aus Kaisers Zeiten löst man nicht die Probleme des 21. Jahrhunderts. Die nun einmal auch hausgemachte sind, demografische nämlich: Der Arbeitsmarkt bekommt seit 2010 nur noch halb so viele Auszubildende und junge Fachkräfte. Und das macht nicht nur den Industriebetrieben zu schaffen. Mittlerweile bekommt auch der öffentliche Dienst genauso Probleme wie das Gesundheitswesen.
Auch das hätte nicht sein müssen. Die Aufgaben lagen spätestens seit 2010 auf dem Tisch.
Ein paar Zahlen zum Leipziger Arbeitsmarkt im April:
Insgesamt waren im April 19.343 (Vormonat 19.707) Männer und Frauen in Leipzig arbeitslos gemeldet. Der Rückgang im Vergleich zum März betrug 364 Personen und innerhalb der letzten 12 Monate ist die Zahl der arbeitslos gemeldeten Menschen um 1.985 zurückgegangen.
Der Rückgang bei den unter 25-Jährigen betrug 34, insgesamt gibt es derzeit 1.771 Arbeitslose in dieser Altersgruppe, das sind 126 weniger als vor einem Jahr.
Der Rückgang bei den über 50-Jährigen lag im April bei 240, damit waren im April 5.391, 580 weniger als vor einem Jahr arbeitslos gemeldet.
Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist im zurückliegenden Monat in Leipzig zurückgegangen. Im April waren 4.537 Menschen langzeitarbeitslos, zum März war das ein Rückgang um 107. Im Vergleich zum April 2018 gab es 1.438 Langzeitarbeitslose weniger.
Zum statistischen Zähltag im April betrug die Arbeitslosenquote in der Stadt Leipzig 6,3 Prozent (Vormonat: 6,4 Prozent). Im April 2018 lag sie noch bei 7,1 Prozent.
Im April waren 6.490 Menschen in der Arbeitsagentur Leipzig im Rechtskreis SGB III arbeitslos gemeldet. Das waren 79 weniger als im Vormonat, aber 193 mehr als vor einem Jahr.
Im Jobcenter Leipzig im Rechtskreis SGB II waren 12.853 Menschen arbeitslos registriert. Das waren 285 weniger als im März und 2.178 weniger als vor einem Jahr.
In Leipzig gab es im April 34.438 Bedarfsgemeinschaften. Das sind 53 weniger als im Vormonat und 2.453 weniger als im April des Vorjahres. Das Jobcenter Leipzig betreut aktuell 43.541 erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Im Vergleich zum Vormonat stieg diese Zahl um 44 leicht an. Im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl um 3.143 Personen.
Immer mehr freie Stellen
Beim Zugang an offenen Arbeitsstellen verzeichnete der gemeinsame Arbeitsgeberservice von Arbeitsagentur und Jobcenter Leipzig im April ein Wachstum gegenüber dem Vormonat. Die Wirtschaft und die Verwaltung haben in den zurückliegenden vier Wochen 2.195 freie Stellen, das waren 287 mehr als im März und 424 mehr als vor einem Jahr, zur Besetzung gemeldet.
Dazu kommt: Aktuell sind 2.404 freie Ausbildungsstellen bei der Arbeitsagentur Leipzig gemeldet. Das sind + 68 mehr als vor einem Jahr um diese Zeit. Gegenwärtig sind davon noch 1.357 unbesetzt. Dem stehen 2.339 Bewerberinnen und Bewerber, 42 weniger als im April 2018, um einen Ausbildungsplatz gegenüber. Von diesen suchen noch 1.357 nach einer Ausbildung.
Zwar werden die meisten Arbeitskräfte im Bereich „Rohstoffgewinnung, Produktion, Fertigung“ mit 1.781 gesucht (und davon wieder die meisten über Zeitarbeitsfirmen), gefolgt vom Bereich „Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit“ mit 1.503.
Aber das Hauptaugenmerk dürfte mittlerweile auf dem Bereich „Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung“ mit mittlerweile 1.242 offenen Stellen liegen, wo der enorm wachsende Bedarf an Pflegekräften, Lehrern und Erziehern sichtbar wird, mittlerweile über Jahre aufgebaut auch mit oft genug eher abschreckenden Arbeitsbedingungen. Und daran hat der öffentliche Dienst einen gewaltigen Anteil, auch wenn die diversen unbesetzten Verwaltungsstellen sich dann im vierten Posten „Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht, Verwaltung“ (853) verstecken.
Und alle diese Branchen profitieren so gut wie gar nicht von den Altbeständen an Arbeitslosen. Denn die meisten der älteren SGB-II-Empfänger verschwinden in die Rente, nicht ins neue Arbeitsleben. Noch profitiert Leipzigs Arbeitsmarkt von der anhaltenden Zuwanderung nach Leipzig. Aber schon jetzt wird sichtbar, dass diese ganz und gar nicht genügt, die freien Arbeitsstellen zu besetzen.
Bleibt nur noch der Blick auf die ausländischen Arbeitslosen. Aber der Blick ist ernüchternd: Deren Zahl stieg von März auf April von 3.960 auf 4.009. Augenscheinlich funktioniert ihre Integration in den Arbeitsmarkt mit einigen Schwierigkeiten. Dass die Zahl jetzt stieg, hat natürlich auch mit dem Auslaufen etlicher Bildungsmaßnahmen zu tun. Gegenüber dem Vorjahr ging die Arbeitslosenzahl bei Ausländern zumindest um 4,6 Prozent zurück.
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