Am Samstag, 6. April, hat das „Aktionsbündnis Mietenwahnsinn“ bundesweit zu Demonstrationen aufgerufen. Die Demonstrationen, die unter anderem in Berlin und Leipzig stattfinden, richten sich gegen die soziale Ungleichheit der Wohn- und Lebensverhältnisse. Prof. Dr. Gunther Schnabl vom Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig erklärt im Interview unter anderem, warum Immobilienpreise und Mieten gerade so stark ansteigen und warum vor allem Großstädte von dieser Entwicklung betroffen sind.
Herr Prof. Schnabl, was ist der Grund für den starken Anstieg der Immobilienpreise und Mieten?
Seit dem Ausbruch der europäischen Finanz- und Schuldenkrise im Jahr 2008 hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Finanzmärkte mit billigem Geld geflutet und die Zinsen auf null gesenkt. Sparguthaben und Staatsanleihen verzinsen sich nicht mehr. Das Vertrauen in die Stabilität der Währung schwindet. Die Menschen suchen deshalb Zuflucht in Sachwerten, sodass die Aktien- und Immobilienpreise nach oben geschossen sind. Steigende Immobilienpreise führen bei Neuvermietung zu höheren Mieten. Das „Aktionsbündnis Mietenwahnsinn“ reagiert damit auf die unbeabsichtigten Nebeneffekte der Geldpolitik der EZB.
Warum konzentriert sich der Boom vor allem auf die größeren Städte?
Die sehr lockere Geldpolitik der EZB hat starke Verteilungseffekte. Sie begünstigt in Deutschland die exportorientierten Großunternehmen, weil sehr viel Kapital ins Ausland abfließt, das dort zum Kauf deutscher Güter verwendet wird. Damit bleibt die Wirtschaftskraft vor allem in den Regionen hoch, wo sich die großen Unternehmen konzentrieren, beispielsweise die Regionen um München und Stuttgart. Weil dort höhere Löhne gezahlt werden können, wandern viele Menschen zu. Hingegen steht in Regionen mit überwiegend Klein- und Mittelunternehmen – wie zum Beispiel die meisten Regionen in Ostdeutschland – zunehmend Wohnraum leer.
Können niedrige Zinsen die hohen Immobilienpreise kompensieren?
Für den Immobilienkauf sind Sicherheiten nötig. Also profitieren von den niedrigen Zinsen überwiegend Menschen mit hohem Einkommen, die bereits Immobilien haben. Für junge Menschen, die erst Vermögen bilden wollen und zunehmend später feste Anstellungsverhältnisse erhalten, wird das Eigenheim hingegen unerschwinglich. Sozialer Aufstieg durch Vermögensbildung ist weitgehend unmöglich geworden.
Was ist dran an der These, dass die niedrigen Zinsen auf die Demographie und die Globalisierung zurückzuführen sind?
Die Zinssenkungen, die seit den 1990er Jahren weltweit die Immobilienpreise nach oben getrieben haben, gehen von den USA aus. Um von der Verantwortung der Zentralbanken abzulenken, wurde dort sehr öffentlichkeitswirksam die These geschaffen, dass das sinkende Zinsniveau auf vermehrtes Sparen von alternden Gesellschaften wie Japan und Deutschland zurückzuführen ist. Allerdings ist die These nicht haltbar. Die wachsenden Sparquoten sind nicht bei den Haushalten, sondern bei den Unternehmen zu beobachten. Die Unternehmen profitieren von den billigen Finanzierungskosten und investieren aufgrund schlechter wirtschaftlicher Perspektiven weniger.
Was ist die beste wirtschaftspolitische Therapie gegen die hohen Mieten?
Wenn man wie ein Arzt bei den Ursachen ansetzen würde, dann müsste die EZB die Zinsen erhöhen. Das ist derzeit jedoch politisch unmöglich, weil die hochverschuldeten südlichen Eurostaaten ins Wanken geraten würden. Deshalb doktert man mit Mietpreisspiegeln, Mietpreisbremsen, öffentlichen Wohnungsbauprogrammen und Diskussionen über die Verstaatlichung von Wohnungen an den Symptomen herum. Diese Maßnahmen sind oft unwirksam und teuer. Verstaatlichungen unterminieren das Vertrauen in den Rechtsstaat.
Quelle für das Interview: Medienredaktion der Universität Leipzig
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