Leipzigs Bürgerumfragen erfassen die Leipziger Mietpreisentwicklung im Grunde wie ein Seismograph. Sie beschränken sich bei der Befragung der Bürger eben nicht auf die reinen Angebotsmieten, also das, was gerade auf dem Leipziger Wohnungsmarkt angeboten wird. Sie erfassen das, was die Leipziger wirklich zahlen. Und das hat sich seit 2013 doch spürbar verändert.
Bis dahin wirkte ganz unübersehbar der riesige Puffer von leerstehenden Wohnungen aus den 1990er Jahren, als zwar in Leipzig flächendeckend saniert wurde, viele zumeist jüngere Bewohner aber Jahr für Jahr wegzogen – der Arbeit hinterher in den Westen.
Seit Leipzig freilich selbst wieder zu einem Biotop neuer Arbeitsplätze wurde, von denen ein gut Teil auch für ostdeutsche Verhältnisse recht gut bezahlt wird, hat sich das Ganze umgekehrt. Jetzt gibt es die Arbeitsplätze – dafür fehlen die bezahlbaren Wohnungen für junge Familien und Singles.
Was ja auch die jüngst erst veröffentlichte Deutschland-Umfrage zum Image der Stadt erstaunlich deutlich belegte: 46 Prozent der deutschlandweit Befragten sehen Leipzig als eine Stadt, „die gute berufliche Chancen bietet“. 2010, bei der letzten Umfrage, lag dieser Wert noch bei 26 Prozent. Und im Ost-West-Vergleich wird es noch aussagekräftiger, denn 43 Prozent der Westdeutschen sehen Leipzig so, aber 59 Prozent der Ostdeutschen.
Das hat natürlich Folgen. Mit der zunehmenden Verknappung des Wohnungsleerstands und dem Bau von ausschließlich höherpreisigen Wohnungen steigen nicht nur die Angebotsmieten. Immer mehr Leipziger finden tatsächlich nur noch im höherpreisigen Segment eine Wohnung. Und das lässt nun seit fünf Jahren auch die Bestandsmieten steigen. Nachdem die Mieten vorher zehn Jahre lang immer um die 5-Euro-Marke schwankten, zogen sie 2014 erstmals auf 5,38 Euro je Quadratmeter an, schnippsten 2017 auf 5,62 Euro und erreichten 2018 mit dieser Bürgerumfrage nun ein neues Niveau mit 5,88 Euro.
Und gleichzeitig – das dürfte eigentlich zu denken geben – stiegen auch die Nebenkosten, die 2008 noch bei 94 Cent je Quadratmeter lagen, 2013 erstmals 1,15 Euro betrugen genauso wie 2017, aber 2018 dann auf 1,33 Euro hochschnellten. Und dabei ist an der Grundsteuer ja noch nicht einmal gedreht worden. Augenscheinlich schlagen bei den Neubauten auch spürbar höhere Nebenkosten zu Buche, etwa durch serienweise eingebaute Fahrstühle und Tiefgaragen. Was an dieser Stelle freilich noch eine Vermutung bleiben muss. Aber wenn es so ist, hat das neue Bauen mit sparsamem Bauen wirklich nicht viel zu tun.
Und noch einen Effekt gibt es, auf den Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning am 15. April bei der Vorstellung der ersten Ergebnisse aus der Bürgerumfrage hinwies: War der Anteil der Miete an den Einkommen der Leipziger nach 2013 deutlich gefallen – nämlich von 34 auf 30 Prozent – weil die Leipziger endlich einmal von spürbaren Lohnanstiegen profitierten und der Lohnanstieg in den Folgejahren über dem Anstieg des Mietniveaus lag, so war es damit 2018 wieder vorbei. Jetzt konnten die Statistiker aus den Umfrageergebnissen belegen, dass die Mietbelastungsquote wieder auf die ursprünglichen 34 Prozent hochgeschnellt war.
Und das spielt nun einmal in einer Stadt wie Leipzig eine Rolle, denn 84 Prozent der Leipziger wohnen zur Miete, nur 3 Prozent in einer Eigentumswohnung und weitere 11 Prozent in einem eigenen Haus. Und gerade in den gefragtesten Stadtbezirken liegt der Mieteranteil noch höher – in Leipzig-Süd bei 92 Prozent, in Mitte bei 90 Prozent.
Die Miethöhen sind zwar – etwa im Vergleich zu München oder Frankfurt – eigentlich nicht der Rede wert. Mit dortigen Einkommen kann man das locker bezahlen. Aber viele Leipziger Normalverdiener kommen bei der Entwicklung an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit.
Das logische Ergebnis: Das Problem der Wohnkosten hat sich binnen weniger Jahre zum zweitgrößten aus Sicht der Leipziger entwickelt. In manchen Bevölkerungsgruppen ist es mittlerweile Problem Nr. 1.
2017 deutete sich schon an, dass die steigenden Wohnkosten für viele Leipziger zum Problem werden. Da nannten schon mal 28 Prozent der Befragten die Wohnkosten als größtes Problem. Nur das jahrelang von einigen Medien befeuerte Thema Kriminalität lag mit 50 Prozent noch davor.
Das tat es 2018 mit 42 Prozent zwar auch noch. Aber das Problem Wohnkosten brannte jetzt schon 37 Prozent der Befragten auf den Nägeln.
Die einzige Gruppe, die sich dabei nicht ganz so viele Sorgen macht, sind die älteren Leipziger über 55 Jahre: Für sie sind zwar Wohnkosten zu 25 Prozent ein Problem, aber sie finden mit 60 Prozent die Kriminalität immer noch wichtiger. Man ahnt zumindest, was sie alle für Fernsehsender gucken.
Bei den Eltern mit Kindern unter 15 Jahre rangieren die Wohnkosten mit 43 Prozent an Platz 2 der Sorgen, schlimmer finden sie mit 47 Prozent nur noch die Versorgung mit Kindertagesstätten.
Und ein Problem ist es auch bei den jungen Erwachsenen (18 bis 25 Jahre), die es ja nun wirklich noch nicht so dicke haben. Hier liegen die Wohnkosten mit 35 Prozent der Nennungen auf Rang 1 der Probleme, diesmal gleich vor den Problemen mit dem ÖPNV.
Da muss sich von den Alten in der Leipziger Politik wirklich niemand wundern, wenn die jungen Leipziger mittlerweile auch gegen den Mietpreisanstieg protestieren und auf die Straße gehen.
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