Viel sagt das Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle zur zentralen Rolle der Dienstleistung in Berlin nicht. Aber man beginnt in Halle so langsam umzudenken, gerade vor dem Hintergrund der neuesten Konjunkturerwartungen, die 2019 deutlich nach unten gehen, weil die Industrie weniger Aufträge in den Auftragsbüchern hat. Kann es sein, dass der tertiäre Sektor die 150 Jahre lang dominierende Wirtschaftsform überflügelt? Kann sein.
Der tertiäre Sektor: das ist der riesige, immer mehr wachsende Dienstleistungsbereich.
„Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose konstatiert in ihrem Frühjahrsgutachten, dass der Aufschwung in Deutschland in der zweiten Jahreshälfte 2018 zu Ende gegangen ist, vor allem weil das Verarbeitende Gewerbe aufgrund einer Abkühlung der internationalen Konjunktur und aufgrund von Problemen in der Automobilindustrie schwächelt. Entsprechend hat das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2018 dort, wo das Verarbeitende Gewerbe eine besonders große Rolle spielt, nämlich in Sachsen (1,2 %), Thüringen (0,5 %) und Sachsen-Anhalt (0,9 %), weniger zugelegt als in Deutschland insgesamt (1,4 %)“, stellt Oliver Holtemöller, stellvertretender Präsident des IWH, jetzt fest.
Wobei der sächsische Wert ja ein gemischter ist. Sachsens Staatsregierung sieht ja auch nur immer auf die Industrie, die aber nur ein Drittel zum sächsischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) beiträgt. Sie dominiert bei den Exporten. Das stimmt. Aber schon lange ist auch in Sachsen sichtbar, das es die von Dienstleistungen getriebenen Großstädte Dresden und Leipzig sind, die die Entwicklung in Sachsen dominieren und vor allem die riesige Zahl an neuen Arbeitsplätzen schaffen, die gerade für junge, gut ausgebildete Menschen attraktiv sind.
„Dass die Produktion in Ostdeutschland insgesamt mit 1,6 % etwas höher ausfiel als in Gesamtdeutschland, liegt am starken Zuwachs der Dienstleistungsmetropole Berlin (3,1 %)“, erklärt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Generell sei für den Aufschwung der vergangenen Jahre festzustellen, dass die ostdeutsche Wirtschaft aufgrund der hohen Wachstumsdynamik in Berlin etwas rascher als die gesamtdeutsche expandiert hat.
Das IWH weiter: Für das Jahr 2019 prognostizieren die Institute in ihrem Frühjahrsgutachten aufgrund der Eintrübung der internationalen Absatzperspektiven einen Zuwachs des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von nur 0,8 %. Gestützt wird die Konjunktur durch die konsumnahen Dienstleistungsbereiche, die von den deutlich steigenden verfügbaren Einkommen profitieren. Das gilt für Ostdeutschland in besonderem Maß, auch weil die Arbeitslosigkeit hier im Trend schneller fällt als im Westen. Zudem dürfte die Wachstumsdynamik in Berlin anhalten.
Was im Grunde schon der ganze Ausflug war. Man merkt schon: Mit dem ganzen Wachstumssegment digitale Dienstleistungen beschäftigen sich die Wirtschaftsinstitute noch nicht wirklich. Sie interpretieren den Zuwachs rein über die größere Konsumkraft durch gestiegene Einkommen, nicht durch den Wandel einer ganzen Wirtschaftswelt, in der immer größere Umsätze im Bereich IT und Kommunikation generiert werden.
Was eben auch bedeutet, dass die üblichen Meldungen, deutsche Digitalunternehmen würden international nicht mithalten können, falsch sind. Die meisten sind ganz auf der Höhe der Zeit, aber sie gerieren sich nicht als Marktzerstörer und Gierfraße wie die üblichen, von einer falschen Wirtschaftseuphorie gerühmten IT-Giganten von Facebook über Amazon bis Google und Youtube, deren Geschäftsmodelle nur deshalb so brachial erfolgreich sind, weil die Unternehmen weder die Steuern zahlen, die für deutsche Unternehmen bindend sind, noch die simpelsten Regeln zu Urheberrechten und redaktioneller Verantwortung berücksichtigen. Sie hebeln also – von der Politik geduldet – genau die Regeln aus, die eigentlich einen fairen Wettbewerb erst ermöglichen.
Gerade weil sie die Regeln so massiv missachten, haben sie auch die Milliarden zur Verfügung, um sich auch gleich noch die direkte Konkurrenz vom Markt wegzukaufen und ganzen klassischen Branchen die Geschäftsgrundlage zu zerstören.
Da staunt man eher, wie viele hochkompetente Mittelständler in West und Ost sich trotzdem mit speziellen Angeboten und Lösungen am digitalen Markt behaupten. Noch sind sie da. Noch treiben sie die Entwicklung gerade in den Großstädten voran. Doch die Fixierung der Wirtschaftsinstitute auf die alten Industrien sorgt eben auch dafür, dass auch die von ihnen beratene Politik die ganze Zeit nur wie gebannt auf den Autoexport starrt, die tatsächliche Entwicklung einer Wirtschaft 4.0 aber nicht wahrnimmt.
Der Rest der IWH-Meldung ist dann wieder sehr klassisch: „Allerdings fällt es gerade vielen ostdeutschen Unternehmen immer schwerer, die Produktion auszuweiten, denn hier ist die Knappheit von Fachkräften aus demographischen Gründen besonders groß. Wohl auch deshalb hat der Zuwachs an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Ostdeutschland zuletzt deutlich schneller an Fahrt verloren als in Gesamtdeutschland.
Alles in allem prognostiziert das IWH für das Jahr 2019 einen Anstieg des ostdeutschen Bruttoinlandsprodukts mit Berlin um 1,0 % (Gemeinschaftsdiagnose für Deutschland insgesamt: 0,8 %), nach 1,6 % im Jahr 2018 (Deutschland: 1,4 %). Im Folgejahr dürfte die ostdeutsche Produktion um 1,6 % (Deutschland: 1,8 %) expandieren. Die Arbeitslosenquote nach der Definition der Bundesagentur für Arbeit dürfte von 6,9 % im Jahr 2018 auf 6,4 % im Jahr 2019 und 6,3 % im Jahr 2020 sinken (Deutschland insgesamt 2018: 5,2 %, 2019: 4,8 %, 2020: 4,6 %).“
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